Sterben nach Zahlen

Comic | Thomas Ott: The Number 73304-23-4153-6-96-8

Thomas Otts Schabkarton-Comic ›The Number 73304-23-4153-6-96-8‹ findet den Horror im Alltäglichen, lässt ihn in Zahlen gedeihen. In der Edition Moderne wurde nun die dritte Auflage veröffentlicht. CHRISTIAN NEUBERT hat sie sich vorgenommen.

Thomas Ott - THE NUMBER 73304-23-4153-6-96-8Ungeheuer oder Meuchelmörder, Spinnentier oder atomare Bedrohung: Der Horror kommt gerne von außen. Besonders perfide ist er aber, wir wissen das z. B. von Stephen King, wenn er von innen kommt. Wenn er sich in Seele und Gedanken festfrisst und auf monströse Weise im Denken und Fühlen gedeiht. Vielgestaltig, wie er ist, kann der Horror dann alles sein, auch etwas ganz Banales. Eine Nummer etwa, eine Zahl.

Wie man Zahlen zum Verhängnis wird, zeigt zum Beispiel Hans Christian Schmidts Verschwörungs-Thriller ›23 – Nichts ist so, wie es scheint‹. Oder Darren Aronofskys Spielfilmdebüt ›Pi – System im Chaos‹. Ein Mathe-Genie glaubt, dort die Weltformel als Zahlenfolge erhalten zu haben. Er würde sie überall finden, wenn er sie nur sucht, meint sein Mentor. Und behält recht damit. Der Mathematiker folgt den Zahlen bis in den Wahnsinn.

Number of the Beast?

Thoma Ott beschwört mit ›The Number 73304-23-4153-6-96-8‹ ebenfalls den Wahnsinn. Seine unheilvolle Zahlenfolge wurde allerdings nicht wie in ›Pi‹ vom Rechner ausgedruckt. Stattdessen ist sie auf einem kleinen Zettel festgehalten, er könnte aus einem Glückskeks sein. Ein Todeskandidat betrachtet ihn in seiner Zelle – und behält ihn auch bei der Hinrichtung bei sich.

Sein Henker wird den Zettel finden, sich etwas wundern, ihn einstecken – und sich bald noch mehr wundern. Die Zahlenfolge wird nämlich Bestandteil seines Alltags, zufällig zwar, aber offenkundig. Ihm widerfahren angenehme Dinge, die Nummer scheint eine Verheißung zu sein, sie begleitet ihn. Oder folgt er ihr? Man weiß es nicht.

Bald jedoch blitzt unmissverständlich durch, ist, dass die vermeintliche Offenbarung umschlägt, zur Bedrohung wird. Schein und Sein verwischen, Realität wird Wahn. Und das Einzige, auf das man dann noch zählen kann, ist eine gewisse Nummer …

Keine Worte, eine Nummer

Mit dem wortlosen Comic ›The Number 73304-23-4153-6-96-8‹ folgt der Schweizer Comic-Künstler Thomas Ott seinem ureigenen Erfolgsweg. Als ausgewiesener Meister der Schabkartontechnik genießt er internationales Renommee. Mit dem Cuttermesser legt er das Düstere, Makabre, Abwegige, Bedrohliche unter schwarzen Wachsschichten frei. Das sichtbare Ergebnis ist expressiv und intensiv, seine Panels bergen eine Spannung, die sich mit Tusche nur schwer, wahrscheinlicher aber gar nicht erzeugen lässt.

ott_number - LeseprobeDer ungewöhnliche, schwarz-weiß kontrastierte Eindruck passt perfekt zu seinen Arbeiten, besinnt er sich doch mit Vorliebe auf die eher dunklen Erzählformen. Auf Horror und Crime Noir, auf schwarzen Humor und die thrashige Tradition des gepflegten 50er-Jahre-Grusels.

Genau in diese Bresche schlägt eben auch ›The Number 73304-23-4153-6-96-8‹, sein zehnter Comic. Ursprünglich 2008 in der Edition Moderne erschienen, liegt seit September nun die dritte Auflage vor. Der Band ist wie alles von Ott: eine unbedingte Empfehlung. Vorausgesetzt, man kann den düsteren Erzähltraditionen etwas abgewinnen. Ein kleines bisschen genügt!

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Thomas Ott: The Number 73304-23-4153-6-96-8
Zürich: Edition Moderne 2016 (3. Auflage)
144 Seiten, 29 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Homepage des Künstlers

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Massenmörder und Bach-Musik

Nächster Artikel

»…dem zeitlosen Jazz ins Netz gehen…«

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Verrückte Katzen und fliegende Kinder

Comic | Pioniere des Comic. Eine andere Avantgarde Abseits einer kleinen Nischenszene auf Festivals ist es der Kunstgattung des Comics bislang in Deutschland nicht gelungen, als gleichwertig mit den anderen der sogenannten Hochkultur anerkannt zu werden – anders als beispielsweise in Ländern wie den USA, Frankreich und Belgien. Das möchte der Kurator Alexander Braun gerne ändern und hat eine Comic-Ausstellung in einem renommierten Kunstmuseum konzipiert: ›Pioniere des Comic. Eine andere Avantgarde‹ heißt die Ausstellung, die seit vergangenem Donnerstag und bis zum 18. September in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main besuchbar ist. PHILIP J. DINGELDEY hat sie sich angesehen.

Aller guten Dinge sind drei (oder vier)

Comic | Comicserien BORIS KUNZ ist am Ball geblieben, was die Fortsetzungen einiger besonderer, hier schon besprochener Comicserien über Band zwei hinaus noch weiter zu bieten haben und widmet sich in diesem Rundumschlag dem jeweils dritten bzw. vierten Band. Los geht es mit Sweet Tooth Band 3: Die Flucht / Band 4: Bedrohte Arten

Irgendwo in Europa

Comic | Internationaler Comic Salon Erlangen 2014: Auf der Suche nach dem deutschen Genrecomic, Teil 1 ›Gung Ho‹ war das »Flaggschiff« des ›Cross Cult‹-Verlags auf dem diesjährigen Comicsalon – und das absolut zu Recht, darf man das Album doch ohne Übertreibung als die spannendste und gelungenste deutsche Genrepublikation der letzten Zeit bezeichnen. Der erste Band ist 80 Seiten stark und erscheint gleichzeitig auch als lohnenswerte limitierte Vorzugsausgabe mit ausführlichem Bonusmaterial. Von BORIS KUNZ

Der Glanz vergangener Zeiten

Comic | Antonio Hernández Palacios: El Cid Neben dessen Westernepen ›Manos Kelly‹ und ›Mac Coy‹ bringt der ›avant‹-Verlag auch die Mittelalterserie ›El Cid‹ des großen spanischen Comiczeichners Antonio Hernández Palacios in einem würdigen Prachtband heraus. Für ältere Leser bedeutet das ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten aus dem ›Kauka‹-Verlag, für Neueinsteiger wie BORIS KUNZ den Beginn einer faszinierenden Erzählung, die ein großes Epos hätte werden können.

Alle Wondrak-Kolumnen in einem Band

Gesellschaft | Janosch: Herr Wondrak, wie kommt man durchs Leben?

Das muss man eigentlich gar nicht erwähnen: es ist ein Muss für alle Janosch-Fans, diese 350 Janosch-Zeichnungen von Wondrak und dessen Ansicht zu allen wichtigen Lebensbereichen. Sie kennen doch Wondrak? Den »Held des Alltags«, diesen schnauzbärtigen, immer in gleicher Latzhose gekleideten, Pantoffel tragenden Mann, der irgendwie, so gestreift an Tiger und Bär erinnert. Der immer so leicht missmutig, zumindest desinteressiert schaut, dabei auch ein wenig an Ekel Alfred erinnert, der auch nie um eine Antwort oder Erklärung verlegen war. Ein wunderbarer Band – meint BARBARA WEGMANN