Comic | Internationaler Comic Salon Erlangen 2014: Auf der Suche nach dem deutschen Genrecomic, Teil 1
›Gung Ho‹ war das »Flaggschiff« des ›Cross Cult‹-Verlags auf dem diesjährigen Comicsalon – und das absolut zu Recht, darf man das Album doch ohne Übertreibung als die spannendste und gelungenste deutsche Genrepublikation der letzten Zeit bezeichnen. Der erste Band ist 80 Seiten stark und erscheint gleichzeitig auch als lohnenswerte limitierte Vorzugsausgabe mit ausführlichem Bonusmaterial. Von BORIS KUNZ
Zack und Archer, zwei Waisen im Teenageralter, beides jugendliche Problemfälle für die Gesellschaft und sympathisch coole Rebellen für den Leser, erreichen Fort Apache, eine abgelegene Siedlung mitten in Europa – mitten in der Gefahrenzone. Denn Europa ist überrannt von der »Weißen Plage« und außerhalb der gesicherten Zäune herrscht das Gesetz des Dschungels. Für Zack und Archer ist dieser Ort die letzte Auffangstation vor dem endgültigen Rauswurf aus der menschlichen Solidargemeinschaft. Hier müssen sie sich einfügen und lernen, nach den Regeln zu leben. Doch alte Gewohnheiten sind schwer abzulegen – gerade wenn die Hormone anfangen, verrückt zu spielen …
Ein originelles Setting, das sich nach Genre anfühlt, ohne nur altbekannte Muster zu wiederholen: Lebendige Charaktere, coole Dialoge, Artwork auf hohem internationalen Niveau und eine Erzählweise, die die Sogwirkung eines Blockbusters entwickelt und sich gleichzeitig nicht nur für die Action Zeit nimmt, sondern auch dafür, die Protagonisten und ihre Welt ausführlich zu erzählen – bei ›Gung Ho‹ stimmen einfach alle Zutaten. Ein Album, das große Hoffnungen weckt.
In der Einleitung erfährt man auch die Bedeutung des Titels: ›Gung Ho‹ ist ein aus dem Chinesischen abgeleiteter Amerikanismus. Er beschreibt als Slangbegriff für ›hitzköpfig, übermotiviert, ohne Rücksicht auf Verluste‹ die Attitüde der Protagonisten. Doch die ursprüngliche Bedeutung lautet ›motiviert, engagiert‹ und ›in Harmonie zusammenarbeiten‹ – und beschreibt damit die beiden kreativen Köpfe hinter der Serie: Die Münchner Comicmacher Benjamin von Eckartsberg und Thomas von Kummant, mit denen sich BORIS KUNZ auf dem Comic Salon ausgiebig über ihr Werk unterhalten hat.
Das ›Gung Ho‹-Team im Gespräch
TITEL: Was gibt es zur Entstehungsgeschichte von ›Gung Ho‹ zu erzählen?
Thomas von Kummant: Benjamin und ich kennen uns vom Münchner Comicfest, da hat er das Plakat gezeichnet und ich habe Illustrationen für den Katalog gemacht. 1996 haben wir hier in Erlangen zusammen das Comicseminar bei Paul Derouet gemacht. Benjamin war damals in einer Münchner Ateliergemeinschaft namens ›Die Artillerie‹, ein Zusammenschluss von Illustratoren, in dem z.B. auch Uli Oesterle vertreten ist. Da hat mich Benjamin auch hineingeholt.
Ich hatte damals in München bei einem Comicwettbewerb mitgemacht, bei dem der ›Ehapa‹-Verlag in der Jury saß, und die haben mir damals einen Sonderpreis fürs Artwork gegeben. Ziemlich schnell danach kam Michael Walz von ›Ehapa‹ auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich den zweiten Teil der Goethe-Biographie zeichnen möchte. Ich hätte dafür allerdings in 4 Monaten 48 vollkolorierte Seiten zeichnen sollen, deswegen habe ich Benjamin gefragt, ob er für mich die Farben machen könnte. Das war unsere erste Zusammenarbeit.
Kurz darauf kam ›Ehapa‹ an die Rechte von einigen Buchtiteln, unter anderem auch ›Die Chronik der Unsterblichen‹ von Wolfgang Hohlbein. Ich habe Michael Walz gefragt, ob er nicht für so ein Projekt Autoren mit Zeichnern zusammenbringen möchten. So wurde ich gefragt, ob ich ›Die Chronik der Unsterblichen‹ umsetzen möchte. Und das Skript dazu hat Benjamin geschrieben. Dieser Comic hat wiederum in Frankreich sehr eingeschlagen, wo wir auch verlegt wurden. Und unser Schweizer Verlag (›Paquet‹) hat uns dann gefragt, ob wir beide nicht etwas Eigenes machen wollten.
Benjamin von Eckartsberg: Die Idee zu ›Gung Ho‹ hatte ich natürlich schon ein paar Jahre vorher, hatte sie aber nicht komplett geschrieben, sondern immer nur einige Ideen festgehalten. Die habe ich Paquet gepitched, und als der es machen wollte, habe ich angefangen zu schreiben. Dann hat Thomy mit dem Zeichnen angefangen.
Ihr habt also nicht aus Eigeninitiative den Stoff an ›Cross Cult‹ herangetragen?
Eckartsberg: ›Cross Cult‹ ist tatsächlich nur der deutsche Lizenznehmer. Im Prinzip wurde dieser Comic von einem Schweizer Verleger für den französischen Markt gemacht. Für den deutschen Markt hatten wir dann ein paar Angebote und haben uns für ›Cross Cult‹ entschieden.
Hattet ihr ausschließlich ›Gung Ho‹ im Angebot, oder hattet ihr ein Portfolio von Ideen?
Eckartsberg: Ich habe schon auch andere Ideen in der Schublade, aber ›Gung Ho‹ war das, worauf wir am meisten Lust hatten.
Kummant: Benjamin hat mir die Story zum ersten Mal 2005 auf einer Signierreise gepitched, und zwar die Anfangsszene, die mir sehr gut gefallen hat. Von da an haben wir immer wieder über das Projekt gesprochen und konnten uns auch vorstellen, dass dieser Comic vielleicht auch tatsächlich erfolgreich werden könnte.
Eckartsberg: Damals hatte ich mir das Setting überlegt und die Regeln der Welt, und ich hatte auch Ideen für einzelne Szenen und Figuren, aber den Schritt zur Ausarbeitung der Story habe ich erst nach dem grünen Licht vom Verlag gemacht. Dann habe ich mit Treatment, Storyline und Dialogen angefangen.
Postapokalyptische Lagerfeuerromantik
Wie würdest du ›Gung Ho‹ denn in knappen Worten beschreiben?
Eckartsberg: Es ist eine postapokalyptische Genregeschichte, erzählt aus dem Blickwinkel einer Gemeinschaft in einer Siedlung, die sich hinter Mauern vor einer äußeren Bedrohung verschanzen muss. Diese Siedlung ist wie ein Dampfkessel, der durch innere Konflikte immer mehr unter Druck gerät. Die Geschichte ist aus der Sicht von verschiedenen Teenagern erzählt, wobei aber auch die Erwachsenen eine große Rolle spielen. Es ist keine Kindergeschichte, es geht um erwachsene Themen, der Schwerpunkt liegt aber auf den Jugendlichen.
In letzter Zeit wurde oft der Vergleich mit ›The Walking Dead‹ an mich herangetragen, wobei ich aber nicht finde, dass ›Gung Ho‹ wirklich damit zu vergleichen ist. Natürlich ist die Grundsituation ähnlich, doch es geht uns gar nicht darum, möglichst viel Gräuel darzustellen, sondern im Kern um den Grundkonflikt von Jugendlichen, die in einem System aufwachsen müssen, dessen Regeln sie nicht mitbestimmt haben. Ab einem gewissen Punkt müssen diese Teenies entscheiden, ob sie konform gehen mit diesen Regeln oder dagegen rebellieren. Durch die Gefahr von außen stehen die Figuren aber unter einem viel größeren Druck. Es geht darum, wie die Hormone von Teenagern und ihre ganz normalen Bedürfnisse mit dem äußeren Zwang kollidieren und wie unterschiedlich sie auf diese Situation reagieren. Es ist auch eine Geschichte über den Zerfall einer Gemeinschaft von innen heraus, aber im Grunde kann man es als Coming of Age Story in postapokalyptischem Setting bezeichnen.
Ich hatte mir zu Anfang nur überlegt: Wenn man hier und heute jemand ist, der sich nicht an die Regeln hält und aus jeder Gemeinschaft herausfliegt, dann durchläuft man wahnsinnig viele Stufen, wird durch verschiedene Institutionen aufgefangen, bevor man wirklich ganz unten ankommt. Wenn man aber in einer Gesellschaft lebt, die durch Ressourcenknappheit und äußere Bedrohung jeden Tag um das Überleben kämpfen muss, wie hoch ist dann die Toleranz für solche destruktiveren Kräfte in der Gesellschaft? Vermutlich muss dann recht schnell die Konsequenz kommen: Wenn du dich hier nicht einfügst, dann schmeißen wir dich raus, und das beutetet in diesem Fall fast ein Todesurteil. Da gibt es keine sozialpädagogischen Zwischenstufen mehr, da geht es knallhart um die Frage: Bist du ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft oder nicht? Diesen Ansatz fand ich reizvoll für eine Geschichte.
Man erfährt ja sehr lange nicht, was diese äußere Bedrohung ist und könnte eine Zeit lang auch vermuten, dass bald ein paar Zombies um die Ecke kommen. Warum habt ihr euch gegen Zombies entschieden?
Eckartsberg: Mir war die genaue Art der Bedrohung bei der Grundidee noch gar nicht so wichtig. Damals war ›Walking Dead‹ noch sehr in den Anfängen. Thomy ist jemand, der nicht so gerne blutige Gedärme und Gemetzel zeichnet, zumindest nicht in dem Ausmaß, wie es für eine ordentliche Zombiegeschichte notwendig wäre. Ich fand seine Anregung durchaus berechtigt, da etwas anderes zu erfinden. Zum einen, weil das Genre damals schon am Anfang dieses großen Revivals stand, und ich das Gefühl hatte, die Pfade dort könnten bald recht ausgetreten sein. Zum anderen hat dieses Genre ein Gewaltlevel für eine Leserschaft ab 18 aufwärts. Das fand ich bei dem Thema schade, weil es ja bei uns schließlich um Jugendliche geht. Deswegen brauchten wir etwas Eigenes, was die Serie definiert und absetzt.
Kummant: Außerdem bliebe bei Zombies viel weniger Spielraum für unseren Humor.
Eckarstberg: Ja, es hätte den Ton sehr verändert und fast einen Kriegscomic daraus gemacht. Man sieht ja eben bei ›Walking Dead‹, wie da die Menschen gegenseitig für sich eine viel größere Gefahr sind, als die Zombies selbst. Klar wird sich bei uns der Level der Gewalt im Vergleich zum ersten Band noch deutlich steigern, doch das soll bei uns nicht im Vordergrund stehen. Man kann viel schwerer Szenen erzählen, in denen auch einmal die Teenagerromantik zu ihrem Recht kommt, wenn man von Anfang an so knüppelhart zur Sache gehen muss. Menschen, die täglich in Gedärmen stehen, haben vermutlich gar keine Nerven mehr, sich noch auf jugendliche Kapriolen einzulassen. Da hätten viele unserer Zwischentöne nicht mehr ihren Platz gefunden.
Bei uns sind die ersten zwei Bände noch leichter im Tonfall und nehmen sich Zeit für die Figuren, ohne dass schon ständig geballert wird. Natürlich kann auch bei uns jederzeit etwas passieren, aber das schwingt eher als Gefühl mit und gibt der Ferienlagerromantik da eine ganz reizvolle Komponente.
Die Traumsituation
Es sind ja bereits fünf Bände der Reihe angekündigt. Wie genau ist denn die Story jetzt schon durchgeplant?
Kummant: Benjamin hat schon alles fertig geschrieben.
Eckartsberg: Die Story ist abgeschlossen und steht im Prinzip – bis auf ein paar kleinere Änderungen, die vielleicht noch kommen werden. Aber auch die Dialoge sind schon geschrieben.
Kummant: Das heißt, jetzt bin ich dran.
Und wie lange schätzt du, wirst du für die Umsetzung insgesamt brauchen?
Kummant: Ich brauche immer etwa 16 Monate für 80 Seiten.
Eckartsberg: Wir sind so etwa 2019 fertig mit der Serie.
Kummant: Mein Zeichenstil ist schon relativ aufwändig. ›Paquet‹ hat eine DeLuxe-Ausgabe im Großformat mit 20 Seiten Bonusmaterial veröffentlicht – die man natürlich auch erst einmal zusammenstellen muss. Es ist also nach wie vor ein harter Zeitplan für mich.
Musst du denn nebenher auch andere Jobs machen?
Kummant: Momentan arbeite ich nur an ›Gung Ho‹ und kann mich auf voll darauf konzentrieren.
Das klingt aber nach einer sehr luxuriösen Situation für deutsche Verhältnisse.
Kummant: Absolut. ›Paquet‹ hat zum Glück genug Vertrauen in das Projekt. Benjamin konnte sich bislang komplett aufs Schreiben von ›Gung Ho‹ konzentrieren, und ich kann mich jetzt die nächsten fünf Jahre komplett aufs Zeichnen konzentrieren. Wenn es den Erfolg hat, den der Verlag sich erhofft.
Eckartsberg: Das ist natürlich eine traumhafte Situation. Jetzt ist nur die Frage, ob die Verkaufszahlen das auch rechtfertigen werden, aber im Moment ist es ein echter Traum, dass man sich voll auf ein Projekt konzentrieren kann. Das hatten wir bei den Chroniken der Unsterblichen nicht. Deswegen zog sich das auch mehr in die Länge, was dann von der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird, als hätte der Zeichner keine rechte Lust auf das Projekt.
Wie sind denn die bisherigen Reaktionen auf ›Gung Ho‹?
Eckartsberg: Das erste Feedback kam ja schon Anfang 2013, als wir in Frankreich den ersten DeLuxe Band herausgebracht haben. Das sind die ersten 40 Seiten. Dann kam der zweite DeLuxe Band mit den nächsten 40 Seiten sowie ein normaler Band mit den kompletten 80 Seiten. Diese Aufsplittung wurde erst recht spät vom Verlag entschieden. Deshalb beziehen sich die ersten Rezensionen auf die ersten 40 Seiten, die eigentlich gar nicht dafür konzipiert wurden, auf diese Weise veröffentlicht zu werden. Dann hieß es sehr häufig: Es sieht wahnsinnig toll aus, die Geschichte ist vielversprechend, aber man muss erst mal sehen, wo es überhaupt hingeht. Die Rezensionen sind bis jetzt aber eigentlich immer positiv.
In Deutschland ist er gerade erst erschienen, da hatten wir bis jetzt schon gutes Feedback in ein paar Zeitungsberichten, aber wie es letztlich bei den Lesern ankommt, da muss man noch etwas abwarten.
Kummant: Natürlich hatten wir jetzt beim Signieren gutes Leserfeedback, aber in so einem Rahmen triffst du natürlich auch nur auf die Leute, die begeistert sind. Deswegen sind die Publikumsreaktionen, die man mitbekommt, etwas einseitig.
Eckartsberg: Ich denke aber schon, dass die Leute auch sehen, wie viel Arbeit da drin steckt, und dass das kein durchschnittliches Projekt ist. Es gibt hierzulande wenig Projekte, die so angegangen werden, das wäre auch bei uns ohne den Umweg über Frankreich gar nicht möglich gewesen. Es gibt in Deutschland wenig Versuche, in diesen Entertainmentbereich vorzustoßen. Es gibt viele Graphic Novels, auch viele interessante Künstler, die sich allerdings selten so richtig auf Entertainment ausrichten.
Es gibt zum Beispiel jetzt ›Malcolm Max‹ von Ingo Römling und Peter Mennigen: Das ist Genre, Entertainment, hohes zeichnerisches Niveau, dann gibt es die ›Wolkenvolk‹-Geschichten von Kai Meyer, aber sonst fallen mir schon nicht mehr viele Versuche ein, so was hier hinzukriegen. Deswegen haben wir jetzt eine andere Aufmerksamkeit, als wenn es 20 oder 30 solcher Titel im Jahr gäbe. Eine Genregeschichte auf internationalem Niveau hier zu machen, das passiert nicht oft.
Kummant: Das hat den einfachen Grund, dass der deutsche Markt nicht so groß ist. Deswegen nehmen die Verlage nicht das Geld ein, um die Künstler so lange bezahlen zu können. Wenn du aber hier den Anspruch hast, etwas sehr filmisch und in einem atmosphärischen Stil zu erzählen, dann ist es im Grunde genommen unmöglich, das allein für den deutschen Markt hinzukriegen.
Gebäudearrangements mit Weitblick
Ihr seid ja auch sehr beeinflusst von Film.
Eckartsberg: Unser Ziel ist es, das Gefühl von großem Kino zu erzeugen. Wie auch immer man das schafft, aber bei uns führt dieser Weg über viel Arbeit.
Kummant: Benjamin und ich haben beide schon viel für Filme gearbeitet als Storyboarder oder Konzept-Zeichner. Daher kommt unser Einfluss.
Eckartsberg: Ich habe schon als Kind Filme geliebt, immer etwas mehr als die Comics. Film hat dich einfach noch mehr in seiner Gewalt, durch den Schnitt, durch die Musik, durch die Schauspieler. Uns liegt das Filmische deswegen, weil wir den Leser hineinziehen wollen. Es gibt viel illustrativere Arten von Comics, da sind die Sprünge zwischen den Panels viel größer, es gibt viel mehr erklärenden Text, das erzeugt ein anderes Gefühl.
Wir aber wollen es dem Leser so leicht wie möglich machen, in die Geschichte einzutauchen. Das fängt schon beim Layout an. Deswegen haben wir ein recht strenges Raster für unsere Panels, ohne wilde Bildmontagen, in denen man sich erst einmal zurechtfinden muss. Wir halten das bewusst einfach in der äußeren Form, um die Wahrnehmung des Lesers besser kontrollieren zu können.
Um beim Beispiel Film zu bleiben: Benjamin ist der Autor, Thomas so etwas wie der Kameramann – aber wer wäre der Regisseur? Wer von euch teilt die Seiten auf und inszeniert die Handlung?
Kummant: Ich bekomme von Benjamin eine Art Dialogskript. Den nächsten Schritt, das Storyboard, behalte ich mir vor. Dann reden wir über meine Aufteilung, denn natürlich hat Benjamin auch eine große Erfahrung im visuellen Erzählen. Wenn Benjamin dann einen besseren Vorschlag hat, übernehme ich den gerne, aber ich habe schon großen Spaß an Auflösung und will mich da auch erst einmal nicht einschränken. Aber es wird viel darüber gesprochen und auch viel gekürzt, weil ich oft dazu neige, mir zu viele Bilder auszudenken. Wenn wir dann alles entschieden haben, muss ich das Layout für die Comicseite finden.
Eckartsberg: Wobei es eine Vorstufe im Skript gibt, die man schon auch wie Schnittanweisungen lesen kann, auch wenn sie nicht so detailliert sind. Wenn Szenen miteinander unterschnitten werden, muss ich das aber ganz klar schreiben. Und ich gebe auch sehr genau vor, was die Figuren während des Dialogs machen. Damit ist auch schon ein Grundrhythmus da. Ich schreibe nicht einfach: »Verfolgungsjagd«, sondern beschreibe das relativ kleinteilig. Die Freiheit, die Thomy hat, ist die, wie viele Bilder er letztlich verwendet und welchen Blickwinkel er dabei einnimmt.
Der große Unterschied von einem Filmstoryboard zum Comic ist der, dass ein Film unendlich mehr Bilder zur Verfügung hat und in viel mehr Kameraeinstellungen aufgelöst wird. Im Comic macht man viel größere Sprünge. Deswegen neigt Thomy dazu, erst einmal mehr Bilder zu machen als nötig, und dann gehen wir gemeinsam drüber und überlegen uns, worauf man verzichten und dadurch das Tempo erhöhen kann, damit wir mit den 80 Seiten hinkommen.
Sind die 80 Seiten eine Vorgabe des Verlags?
Eckartsberg: Die Vorgabe war eigentlich 46 Seiten. Vier Bände mit 46 Seiten war der Wunsch des Verlegers. Aber damit habe ich mich beim Schreiben erst einmal nicht aufgehalten, weil man das vorher auch schwer einschätzen kann. Zuerst einmal wollte ich eine runde Geschichte haben. Dann habe ich geguckt, wie viel das ungefähr ist, und habe festgestellt, dass wir fünf Bände brauchen und dass wir auf 80 Seiten gehen müssen, wenn wir nicht zu viele Bilder auf eine Seite quetschen wollen. Das hat der Verleger Gott sei Dank akzeptiert.
Wie ist denn der technische Vorgang beim Artwork? Warum ist es so aufwändig?
Kummant: In Frankreich gibt es ja viele ganz tolle Zeichner, die hervorragend mit der Linie umgehen können. Um nicht versuchen zu müssen, die im Zeichnen zu schlagen, habe ich mir gedacht, ich mache es ganz ohne Linie. Meine Technik ist eher eine Collage, allerdings den modernen Sehgewohnheiten angepasst, wie sie auch durch die Zeichentrickfilme der letzten Zeit beeinflusst sind.
Ich habe ausgeschnittene Silhouetten und gehe im Grunde so vor, als würde ich mit einem Schwamm die Farbe auftragen und die Formen aufs Bild aufkleben.
›Gung Ho‹ entsteht dabei zu 100 % am Rechner, komplett digital. Auch das Storyboard, das am Anfang noch aussieht wie eine Strichzeichnung, habe ich nur am Tablett gemacht. Da kann ich immer wieder direkt drübergehen und auf der nächsten Ebene meine Collage anlegen. Das ist ein viel einfacherer Workflow für mich. Trotzdem ist der Stil sehr aufwändig, weil ich dabei bis zu den Hintergründen sehr detailreich bin. Natürlich muss man das nicht so machen. Es gibt gute Bespiele, die auch funktionieren, wo man im Hintergrund nur Dinge andeutet. Aber für den detaillierteren Stil bin ich mittlerweile auch bekannt, und das kann die Art unserer Geschichte auch gut vertragen. Für eine andere Story würde ich vielleicht einen weniger aufwändigeren Stil wählen. Für mich hat natürlich auch das analoge Arbeiten etwas reizvolles, aber auf digitalem Weg war es für mich einfacher, die ganzen Lichtstimmungen zu erzeugen.
Die sieht man ja besonders in dem Showdown im ersten Band, der komplett bei Sonnenuntergangslicht stattfindet.
Eckartsberg: Gerade solche Überstrahlungseffekte kann man in anderen Zeichenstilen zwar so andeuten, dass der Leser versteht, was gemeint ist, aber er braucht mehr Vorstellungskraft dafür. Unser Showdown geht ja nachmittags los und dauert bis abends, und diesen Zeitverlauf sieht man an der Lichtveränderung vom grelleren Nachmittagslicht über die länger werdenden Schatten …
Außerdem ist es uns wichtig, dass der Handlungsort, die Siedlung und ihre Umgebung ein konkreter Ort für den Leser wird. Es gibt oft Comics, in denen die Hintergründe eher nur Atmosphäre vermitteln: Da ist dann eben irgendeine Großstadt im Hintergrund. Dadurch, dass bei uns aber fünf Bände immer wieder am gleichen Ort spielen, sollte es bei uns so werden wie das Dorf von ›Asterix‹, in dem man sich als Leser irgendwann auskennt. Es soll eine Welt werden, die erfahrbar ist für den Leser, und keine Kulisse, die im Hintergrund hin- und hergeschoben wird.
Wobei ich glaube, dass ihr die Siedlung wesentlich genauer ausgearbeitet habt, als es das Dorf von ›Asterix‹ jemals war.
Eckartsberg: Ja, weil sich das Asterixdorf immer wieder mal geändert hat. Allerdings hat es doch in jedem Band einen Wiedererkennungswert – wie auch bei uns die Figuren die Siedlung zwar auch verlassen werden, aber trotzdem wird sie immer wieder eine Rolle spielen. Deswegen mussten wir diesen Ort für uns definieren. Ich habe eine grobe Skizze gemacht, wie alles angeordnet ist, aus der Thomy dann eine genauere Karte gemacht hat. Das ist dann auch für seine Arbeit wichtig, denn so weiß er aus jedem Blickwinkel, was im Hintergrund zu sehen sein muss. Dann merkt man auch als Leser, dass man immer weiß, wo man ist.
Das hatte viel Vorbereitungsarbeit zur Folge, denn es spielen Gebäude erst im fünften Band eine große Rolle, die aber im ersten Band schon zu sehen sind. Hier wird schon definiert, wie der Ort aussieht, der für die Actionszenen viel später noch immer Sinn machen muss.
Kummant: Das ist der Vorteil daran, dass die komplette Geschichte schon geschrieben ist. Deswegen kann ich jetzt alles auf das hin konzipieren, was am Ende auch gebraucht wird. Also ist ein fertiges Skript für mich eine große Hilfe.
Problematische Straßenmarkierungen
Mir sind auch die ausdifferenzierten, lebendigen Figuren aufgefallen. Hast du mit fotografischen Vorlagen gearbeitet?
Kummant: Ganz unterschiedlich. Bei einer Figur, die erst im zweiten Band auftaucht, hatten wir tatsächlich einen Schauspieler im Auge. Ansonsten habe ich die Figuren frei erfunden. Wir haben halt viel skizziert, Benjamin hat auch ein paar Entwürfe gemacht. Außerdem muss man dabei ja auch definieren, wie abstrakt der Stil wird, in dem man arbeitet. Am Anfang wollte ich es etwas abstrakter machen, aber jetzt haben wir einen ganz passenden Stil gefunden, und für diese Findungsphase hatte ich etwa 2 Monate lang Zeit.
Eine Sache hat mich beim Lesen etwas verwundert: Das Setting wirkt sehr mitteleuropäisch, die Namen der Figuren dagegen sehr amerikanisch.
Eckartsberg: Es ist schon Absicht, dass man das nicht zu genau verorten kann. Am Anfang heißt es nur: »Irgendwo in Europa«. Ich habe schon überlegt, ob wir einen konkreten Ort nehmen sollen. Von der Atmosphäre her könnte das ja ein Sommer sowohl in Deutschland als auch in Italien, Spanien oder Frankreich sein. Wir haben uns aber bewusst dafür entschieden, den Ort nicht zu sehr zu konkretisieren, damit nicht irgendein Klugscheißer dann sagen kann: »Moment mal, so sieht es da aber gar nicht aus.« Das hätte uns zu sehr eingeengt.
Die Figurennamen sind aber nicht amerikanisch sondern multinational. Da gibt es schwedische oder deutsche Namen, englische Namen, muslimische Namen… Meine Vorstellung war: Erstens haben wir mittlerweile in Europa multinationale Gesellschaften, zweitens sind die Siedlungen ja eine Sammelstelle für Flüchtlinge aus allen Himmelsrichtungen.
Kummant: Man kann es auch so verstehen, dass die Bedrohung von außen die verschiedenen europäischen Nationen zu einem Schmelztiegel gemacht hat.
Eckartsberg: Weil die Menschen verstreut wurden und sich jetzt wieder neu sammeln. Flüchtlinge aus verschiedenen Gebieten verschlägt es irgendwo hin. Insofern fand ich diese Durchmischung der Namen ganz okay. Das gibt der Geschichte auch noch mal einen ganz eigenen Ton. Das Problem ist ja auch immer, ob die Namen in Übersetzungen noch funktionieren. In der Deutschen Fassung sagen sie jetzt auch »Miss Kingsten«, weil es einfach besser klingt als »Frau Kingsten« oder »Herr Soundso«. Das hat für mich als Deutschen immer gleich so einen spießigen Klang, das klingt in unserem Konstrukt etwas komisch. Darum mogeln wir uns um eine klare Länderdefinition etwas herum.
Die ist auch nicht notwendig, weil eure Geschichte mehr von ihrer speziellen, eigentümlichen Atmosphäre lebt.
Eckartsberg: Schwierig wird es, wenn die Figuren die Siedlung verlassen und auf Autobahnen oder Straßenschilder treffen. Da können wir dann mit den Bezeichnungen und Ortsnamen auch nicht zu konkret werden. Jedes Land hat unterschiedliche Straßenmarkierungen. Dann müssen die Schilder eben sehr überwachsen oder verrostet sein … Auf jeden Fall wollten wir nicht von Amerika erzählen, das hat man schon zu oft gesehen, wir fanden es ganz schön, ein europäisches Setting zu haben.
Ihr seid ja schon oft in Erlangen gewesen. Wie ist euer Verhältnis zu dem Festival?
Kummant: Erlangen ist ein sehr großes und schönes Festival. Verglichen mit Angouleme ist es hier wesentlich angenehmer, die Leute sind relaxter und der Andrang ist nicht so gewaltig. Das ist für uns dort immer schon sehr anstrengend.
Eckartsberg: Wir haben natürlich auch sehr nostalgische Gefühle in Erlangen, weil wir schon 96 das erste Mal hier waren, als junge, hungrige Zeichner, die auch gerne mal einen Comic machen wollten. Eigentlich hat Erlangen unsere Entwicklung als Comicschaffende mitbegleitet, von den Anfängen bis jetzt, wo wir mit Sachen auf den Markt kommen, auf die wir richtig stolz sind.
Kummant: Auch die anderen Künstler zu treffen, macht großen Spaß, der Austausch der hier stattfindet. Gerade vorhin haben wir Kai Meyer getroffen, oder Uli Oesterle.
Eckartsberg: Und man sieht, dass die anderen mit der Zeit auch älter werden …
Dann danke ich euch sehr für dieses Gespräch!
Titelangaben
Benjamin von Eckartsberg (Text), Thomas von Kummant (Zeichnungen): ›Gung Ho‹ Band 1: Schwarze Schafe
Ludwigsburg: Cross Cult 2014
80 Seiten, 22 Euro
Vorzugsausgabe: 128 Seiten, 35 Euro
Reinschauen
| Die Chronik der Unsterblichen
| Der französische Verlag Paquet
| Blog von Benjamin von Eckartsberg
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