//

Die Liebe zu Antihelden

Comic | Interview mit Katharina Greve

Katharina Greve war mit ihrem neuen Comic ›Die dicke Prinzessin Petronia‹ auf dem Comic-Festival München zu Gast. Obendrein waren dort Werke von ihr im Rahmen einer Ausstellung zu sehen, die Cartoons und Comics zeigten, die in der Titanic erschienen. CHRISTIAN NEUBERT hat mit der Künstlerin gesprochen.

TITEL: Betrachtet man Deine Veröffentlichung, dann meint man, Du hast erst spät zum Comic gefunden: Deine künstlerische Karriere beginnt nach Deinem Architekturstudium. Du hattest doch bestimmt aber schon zuvor mit Comics zu schaffen, oder?
Katharina Greve: Ich habe tatsächlich schon für die Schülerzeitung Cartoons und Comics gezeichnet, aber dann erst mal 20 Jahre lang nichts in dieser Richtung gemacht. Ich habe dann erst wieder im Jahr 2004 mit dem Zeichnen angefangen, da war ich 32. So gesehen bin ich da wirklich ein Spätzünder.

Neubert - Greve

Architektur spielt in Comics gerne mal tragende Rollen, z.B. bei François Schuiten und Benoît Peeters, bei Marc-Antoine Mathieu, bei Mathias Gnem oder Lucas Harari. Sprechen Dich Comics, die einen starken Architekturbezug haben, besonders an?
Ja, das mag ich. Bei mir ist selbst ist es dann aber doch eher der technisch reduzierte Strich, der in solche Richtung en weist. Meine technische Zeichner-Ausbildung sieht man meinen Werken an. Ich konstruiere meine Bilder, bin auf der Ebene der Zeichnungen bestimmt kein großer Künstler. Es ist aber schon auch so, dass ich mir Zeichnungen, die klar und reduziert umgesetzt sind, sehr gerne ansehe.

Dann bist Du bestimmt auch Anhänger der Ligne Claire. Sind das die Comics, die gleich zu Beginn für Dich bedeutsam waren?
Die Ligne Claire mag ich sehr gerne. Meine persönlichen ersten Comic-Helden waren jedoch Asterix & Obelix. Das waren die Comics, die ich gelesen habe, bevor ich lesen konnte. Meine Mutter musste mir die vorlesen – und hat das wahrscheinlich gehasst.

Deine Figuren sind gerne Helden aus der zweiten Reihe – Menschen, denen etwas Unglaubliches passiert, die sich von der Schwerkraft emanzipieren oder von der Mutter auf einen winzigen Planeten ausquartiert werden. Was reizt Dich am Underdog?
Naja, meine Petronia ist ja durchaus VIP, sie ist ja Prinzessin. Aber ich mag Antihelden. Verlierer, die einfach ein bisschen trottelig sind und Sachen nicht so gut auf die Reihe kriegen – egal, ob sie Fahrstuhlführer oder Prinzessin sind.

Du schaffst sowohl groß angelegte Erzählungen als auch kleine humorvolle Strips – was sich in der Arbeitsweise sicher stark unterscheidet. Was fällt Dir leichter?
Ich würde mich da als Konzeptkünstlerin bezeichnen – und zwar insofern, als dass es bei mir erst um die Idee geht, bevor ich mich auf das jeweilige Medium konzentriere. Neben Comics und Cartoons schaffe ich ja z.B. auch genähte Objekte .

Das heißt, die Darstellungsweise folgt der Idee – und entsprechend auch der jeweilige Look.
Ja genau. »Form follows function«. Der alte Architektenspruch.

Beim Web-Comic ›Das Hochhaus‹, der Woche für Woche um ein Stockwerk erweitert wurde, hast Du Dir allerdings eine ungewöhnliche Arbeitsweise aufgelegt. Da war die Story-Entwicklung bestimmt eine besondere Herausforderung, oder?
Ja, alleine schon durch den Zeitdruck, den ich mir da gemacht habe. Die Folgen erschienen immer dienstags. Ich habe mir vorgenommen, dass da das jeweils neue Stockwerk immer morgens um 8 Uhr online ist. Nur einmal habe ich die Frist nicht einhalten können. Da hat mein WLAN-Router nicht funktioniert und ich musste in ein Internetcafé – und das wiederum hat erst um 9 Uhr geöffnet.

Um mal beim Hochhaus zu bleiben: Kennst Du die Comic-Reihe ›Ausgeflippt‹ von F. Ibanez, dem ›Clever & Smart‹-Zeichner, bei dem ebenfalls Geschichten anhand einer Hochhauskulisse erzählt wurden?
Inzwischen schon. Ich kannte das vorher nicht. Aber Leser vom ›Hochhaus‹ haben mir davon erzählt, haben mir Links geschickt, so à la: »Das ist doch wie…« Ich war ganz frappiert, dass es da in diese Art schon etwas gibt. Wobei das Haus in diesen Geschichten und die Ansicht darauf ja immer gleich bleiben. Bei mir wächst die Geschichte mit dem Haus. Diese ›Ausgeflippt‹-Comics sind übrigens auch nicht die ersten Comics, die so funktionieren. Das hab ich ebenfalls von den Lesern erfahren, innerhalb der Zuschriften, die ich für ›Das Hochhaus‹ bekommen habe. Das aufgeschnittene Haus als Comic geht wohl zurück bis zur vorletzten Jahrhundertwende.

Das Hochhaus hast Du mit 102 Episoden abgeschlossen, indem Du ihm ein Dachgeschoss aufgesetzt haben. Was meinst Du: Gibt’s vielleicht noch Geschichten vom Haus gegenüber?
Oder von den Wohnungen auf der Rückseite des Hauses, in die man nicht reingucken kann… das behalte ich mir vor. Ich weiß es noch nicht genau. Die Idee ist für mich erst mal ausgereizt. Gerade hätte ich das Gefühl, mich selbst zu kopieren.

›Das Hochhaus‹ ist ja ein Paradebeispiel für einen Web-Comic, der die Möglichkeiten für Darstellungsformen, die das Internet bietet, gekonnt ausnutzt. Findest Du es generell reizvoll, solche Möglichkeiten zu erkunden? Und hast Du vielleicht Blut geleckt, auch weiterhin mit solchen Erzähl-Experimenten überraschen zu wollen?
Reizvoll ist das definitiv. Aktuell habe ich aber keine Idee, die in diese Richtung weist. Natürlich könnte man jetzt Seiten untereinander montieren und auf diese Weise eine ununterbrochene Panel-Reihe erzeugen. Wenn das aber kein en unmittelbaren Sinn ergibt, finde ich das eher langweilig. Es bedarf da eben etwas, für das auch in dieser Hinsicht gilt: Form follows function. Einen Stoff, bei dem etwas fehlen würde, wenn man ihn nicht genau so darstellt.

Aktuell regiert ja Deine ›Dicke Prinzessin Petronia‹. Was wäre Petronias erste königliche Handlung, wenn sie jetzt die Thronfolge antreten könnte?
Sie würde höchstwahrscheinlich ihren Cousin, den Kleinen Prinzen, ins Verließ werfen und all seine Standbilder in die Luft sprengen.

Wie ist denn Dein persönliches Verhältnis zum Kleinen Prinzen?
Es ist eine Hassliebe. Als Kind fand ich das Buch natürlich toll. Ich hab den Kleinen Prinzen auch ständig als Weihnachtsmärchen gesehen. Später, als ich selbständig denken konnte, fand ich das allerdings eher kitschig. Auch der Zitatenschatz, der sich aus dem Kleinen Prinzen speist. Der begegnet einem ja immer wieder, in all seiner Gefühlsduseligkeit. Ich arbeite mich schon länger an ihm ab.

Das Comic-Festival stellt in diesem Jahr Cartoons und Comics aus, die in der Titanic erschienen. Du selbst steuerst dem Satiremagazin regelmäßig Arbeiten bei. Siehst Du Dich als Satirikerin da oft von der Wirklichkeit eingeholt?
Klar. Es geschehen Sachen, die so abstrus sind, das s man sie gar nicht mehr in Witze packen kann. Trump ist da natürlich ein Paradebeispiel. Mit Satire kann man den kaum toppen.

Katharina Greve

Du verfügst erwiesenermaßen über seherische Fähigkeiten: 2013 hast Du mit einem Cartoon den Papst-Rücktritt mit exaktem Datum vorausgesagt. Lass die Welt doch noch einmal an dieser Gabe teilhaben: Womit dürfen wir demnächst rechnen?
Das ist leicht: Dass mir der nächste Interviewpartner eine ähnliche Frage stellt.

| CHRISTIAN NEUBERT
| Foto: KATHARINA GREVE

Titelangaben
Katharina Greve: Die dicke Prinzessin Petronia
Berlin: Avant-Verlag 2019
104 Seiten. 20 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Die dicke Prinzessin Petronia – in TITEL kulturmagazin
| Internet-Comic: ›Das Hochhaus‹

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Klassentreffen der Buchverrückten

Nächster Artikel

Der Tod zu Gast auf der Trabrennbahn

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Ein moderner Robin Hood?

Comic | Andy Diggle (Texte), Jock (Zeichnungen): Green Arrow. Das erste Jahr Eigentlich inspiriert die Geschichte von Robin Hood, der von den Reichen nimmt und den Armen gibt, nur noch Kinder. 1941 schufen jedoch Mort Weisinger und George Papp den Comic-Superhelden »Green Arrow«, der, nach dem Exempel von Robin Hood, mit Pfeil und Bogen bewaffnet, das Böse in Form von Kriminellen mit Schusswaffen, spielend leicht besiegt. Dies führte auch zur prominenten Adaption des Helden in der neueren US-amerikanischen TV-Serie ›Arrow‹. Von PHILIP J. DINGELDEY

Freude mit Trauergeschmack

Comic | Maeva Rubli, Anisa Alrefaei Roomieh : bei mir, bei dir

Eine bewegende Migrationsgeschichte in kunstvollen Bildern: Der Comic »bei mir, bei dir« von Maeva Rubli, Anisa Alrefaei Roomieh lädt die Leserschaft an einen runden Tisch, um den Erzählungen einer Geflüchteten aus Syrien Raum zu geben. Von ARDITA JANUZI

Traditionspflege und Experimentierfreude

Porträt | Der Splitter-Verlag

Wer in Deutschland, dem ewigen Entwicklungsgebiet der Neunten Kunst, Comics verlegt, der muss ein Enthusiast, ein Missionar sein – und natürlich ein solider Geschäftsmann, eine solide Geschäftsfrau. In unregelmäßigen Abständen wollen wir die Verlage vorstellen, die sich dem wechselvollen Handel mit Alben und Heften, mit Serien und Graphic Novels widmen. Den Anfang macht der in Bielefeld ansässige Splitter Verlag. Von SVEN JACHMANN

Jenseits von Gotham City

Comic | B.Azzarello/ M.Casali (Texte); G.Camuncoli/ D.Latorre/ G.Parel/ J.Lee (Zeichnungen): Batman: Europa Es ist eine Binsenweisheit unter den Lesern von Batman-Comics, dass dieser Superheld zwar willens ist, seine Gegner oder Informanten zu Brei zu schlagen und zu foltern, aber dass er die Grenze beim Töten zieht, und diese Grenze ist freilich moralisch und menschenrechtsphilosophisch noch problematischer, als das ansonsten sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gesetzes agierenden Dunklen Ritters. Von PHILIP J. DINGELDEY