Im Februar 2020 bricht Josep Rodes für ein Comic-Projekt nach Indien auf. Monate später kehrt er nach Deutschland zurück, mit einem Comic, der so ganz anders ist, als er ihn sich ursprünglich vorgestellt hatte. Mit ›Corona go Home‹ halten wir ein Stück Geschichte in den Händen. Ein Stück dunkle Geschichte, die wir lieber aus unseren Gedächtnissen verbannen würden, doch Geschichte nichtsdestotrotz. Genau das ist ›Corona go Home‹: Ein Stück Geschichte. Josep Rodes Geschichte. JANA FEULNER hat sie gelesen.
Als Josep Rodes im Februar 2020 nach Varanasi, Indien aufbricht, ahnt er noch nicht – wie hätte man das auch ahnen können – dass er Monate später noch immer dort feststecken würde. Schon oft hatte er Indien bereist, in der Stadt Varanasi Freunde gefunden. So erfüllt er sich einen lang ersehnten Traum, als er im schicksalhaften Jahr 2020 erneut nach Indien zurückkehrt; eine Reise, die kurz darauf zum nicht enden wollenden Alptraum umschwingen sollte. Am 11. März ruft die WHO die Pandemie aus. Während in Varanasi zuvor niemand das Corona-Virus so wirklich ernst genommen hat, breitet sich nach kurzer Zeit eine Panik-Welle aus, die das normale Treiben der Stadt in ein dystopisch anmutendes Irrenhaus verwandelt. Die Gesellschaft, die zuvor herzlich und aufgeschlossen war, verwandelt sich in einen grotesken Pulk, der an nichts anderes mehr denken kann als das Virus.
Die ängstlichen Einwohner der Stadt haben für Josep Rodes nun nichts mehr übrig als missbilligende Blicke und rassistische Kommentare. Ausländer werden beschuldigt, das Virus eingeschleppt zu haben. So rufen einige der Leute »Corona go Home!«, wenn sie Rodes auf der Straße entdecken. Während viele der anderen Touristen nun abreisen, entschließt sich Rodes zu bleiben und seine Erfahrungen in seinem Tagebuch festzuhalten, immer in der Hoffnung, die Situation würde sich bald bessern – wie falsch er doch liegen würde. So dokumentiert er wie die Lage in Varanasi sich langsam zuspitzt und lässt dabei tief blicken in die Abgründe der menschlichen Seele. Er berichtet von Hamsterkäufen, Ausgangssperren und dem gewaltsamen Durchsetzten dieser Maßnahmen durch die örtliche Polizei. Die Zustände, die Rodes beschreibt, sind erschreckend und lassen einen mit einem beklemmenden Gefühl zurück.
Der Wandel einer Gesellschaft
In ausdrucksstarken Bildern skizziert er sein Leben in einer Stadt, die, so scheint es, jegliche Menschlichkeit verloren hat. Mit nur wenigen Linien gelingt es Rodes, Impressionen seiner Erfahrungen zu kreieren, die einen mitfühlen lassen mit seinen Schwierigkeiten, seinen Ängsten und den erschreckenden Erfahrungen, die ihm bei seiner Reise begegnen.
Rodes erzählt aus seinem Leben in der Isolation, die ihn Tag für Tag ein Stück weiter in den Wahnsinn zu treiben scheint. Er beschreibt die Hoffnung auf Normalität, die ihn dabei durchhalten lässt. Doch nach fast einem Monat in Isolation versiegt auch der letzte Tropfen Hoffnung – und Rodes entschließt sich, Varanasi zu verlassen. Am 11. März macht er sich auf den Weg zurück nach Hause, aber nicht ohne sein Tagebuch, voll mit Zeichnungen und Impressionen seines Aufenthalts, welches er kurzerhand umwandelt in einen Comic, der uns intime Einblicke gewährt, in eine von dem Virus zerrüttete Welt.
Erschreckende Bilder einer dystopisch anmutenden Welt
Ambitioniert beginnt Rodes seine Geschichte mit klaren Zeichnungen von einer Welt, die kurze Zeit später aus den Fugen geraten sollte. Ein breites Grinsen ziert das Gesicht seines Comic-Ichs, das noch nicht weiß, was auf es zukommen würde. Wie es von einem Reisetagebuch nicht anders zu erwarten wäre, sehen wir Zeichnungen von Abendessen über den Dächern der Stadt, von alten Freunden und dem abendlichen Entspannen am Ufer des Ganges. Nach Ausruf der Pandemie schwingen diese Bilder um in düstere Schreckgespenster einer dystopisch anmutenden Wahn-Welt. Rodes visualisiert seine Ängste in Affektstudien, die vielmehr als metaphorische Manifestation seines eigenen psychischen Zustandes daherkommen, als die bildliche Darstellung realer Ereignisse.
Rodes hält seine Alpträume fest, sowie seine Beobachtungen des täglichen Lebens und stellt beide in seinem Tagebuch nebeneinander, sodass alles zu einem einzigen lebenden Alptraum verschwimmt. Kaum eine Figur in den Bildern grinst nun noch. Auch das Grinsen in dem Gesicht von Rodes Comic-Ich weicht nun anderen Emotionen, wie Angst, Verzweiflung und tiefer Traurigkeit. Er hält seine Erlebnisse fest – unmittelbar, nachdem sie ihm widerfahren sind – sodass der Leser eine lebensnahe Repräsentation davon zu sehen bekommt.
Ganz hinten im Buch klebt dann ein Foto, das uns nach beendeter Lektüre gänzlich zurück in die Wirklichkeit holt und den Zeichnungen von Rodes mit Nachdruck Leben einhaucht und uns klar macht: Rodes erzählt keine Geschichte, er schreibt Geschichte. Sein Comic zeigt die Wirklichkeit. Er dokumentiert, wie das Leben unter Pandemiebedingungen in anderen Ländern aussieht, und lässt dabei tief in die Abgründe der menschlichen Psyche blicken, die durch das Virus ohne Zweifel freigelegt wurden.
Titelangaben
Josep Rodes: Corona Go Home
Tagebuch aus Varanasi
Berlin: Jaja Verlag 2020
100 Seiten, 14 Euro
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