Nach coronabedingter vierjähriger Pause öffnet der Internationale Comic Salon in Erlangen in wenigen Tagen wieder seine Pforten. Das Festival, das traditionell alle zwei Jahre von Fronleichnam bis zum folgenden Sonntag (in diesem Jahr 16. bis 19. Juni) dauert, ist seit Jahrzehnten das Zentralereignis der deutschsprachigen Comicszene. Vieles soll so werden wie 2018, wobei die Comicmesse, Ausstellungen und weitere Veranstaltungen damals von der Stadthalle unter anderem in große Zelte in der Innenstadt umzogen. Es sieht so aus, als ob die Comicfans unbeeindruckt vom Ausfall des Salons 2020 wieder in Scharen nach Erlangen strömen werden; Festivalleiter Bodo Birk bleibt im Gespräch mit ANDREAS ALT dennoch mit seinen Erwartungen etwas vorsichtig. Dagegen lobt er das Programm als innovativ: Einen thematischen Schwerpunkt bilden Feminismus und Genderfragen im Comic.
Titel: Muss sich der Comic Salon, wie andere Kulturveranstaltungen, nach der Absage 2020 aus einem Loch herausarbeiten und das Publikum zurückgewinnen?Bodo Birk: Viele Kulturveranstalter müssen feststellen, dass es nicht so leicht ist, an die vorpandemischen Zeiten anzuknüpfen. Wir hatten und haben bislang das Glück, dass bei unseren anderen Veranstaltungen der letzten Wochen und Monate das Publikum zurückgekehrt ist. Auch beim bevorstehenden Internationalen Comic-Salon sind wir zuversichtlich. Wir haben den Eindruck, dass die Stimmung in der Szene sehr positiv ist. In den sozialen Netzwerken kann man eine große Vorfreude spüren. Dennoch sage ich überall: Bitte erwartet nicht gleich wieder einen neuen Besucher*innenrekord! Sicherlich wird es Menschen geben, die sich auch aus Vorsicht nicht gleich wieder ins Gewühl stürzen wollen. Die Pandemie ist schließlich noch nicht vorbei. Wir werden deshalb zumindest in den Messezelten und bei Veranstaltungen, in denen man keine Abstände einhalten kann, darum bitten, Masken anzulegen. Auch wenn es keine Pflicht mehr gibt.
Wie gut hat der digitale Comic Salon 2020 funktioniert? Besteht die Social Media Plattform noch, und wie stark wird sie von der Szene genutzt?
Im Rahmen dessen, was wir uns vorgenommen haben, gut. Wir hatten ja niemals behauptet, einen digitalen Ersatz für das Festival bieten zu können. Wir wollten die Zeit 2020 nutzen, unsere digitalen Kompetenzen zu erweitern und eine dauerhafte Social Media-Plattform zu entwickeln, die künftig auch während der realen Festivals genutzt werden kann. Dass sich vor zwei Jahren um den Start des digitalen Salons herum dann doch so etwas wie ein dreitägiges digitales Festival mit Livestreams, Gesprächsrunden, digitalen Signierstunden usw. ergeben hatte, hatten wir so gar nicht zu hoffen gewagt. Der digitale Salon besteht nun seit zwei Jahren und wird von uns täglich betreut und gepflegt, auch wenn der Traffic zwischendurch natürlich abgenommen hat. Und wir mussten auch erkennen, dass in der schnelllebigen Social-Media-Zeit technische Lösungen eine Halbwertzeit von wenigen Wochen haben. Es musste und muss also ständig nachgearbeitet werden. Während des Salons können alle Aussteller die Plattform für ihre Kommunikation nutzen.
»Die Zelte erhöhten den Ereignischarakter enorm«
Kehrt der Comic Salon einmal in die Heinrich-Lades-Halle zurück? Und warum findet die zentrale Messe diesmal erneut in einem Zelt auf dem Schlossplatz statt?
Eine Rückkehr in die Heinrich-Lades-Halle ist durchaus denkbar. Vor vier Jahren waren wir mit der Messe in Zelthallen umgezogen, weil die technische Infrastruktur in der Heinrich-Lades-Halle saniert wurde. Der Salon hatte sich dadurch vollständig in die Erlanger Innenstadt verlagert. Der Schlossgarten spielte plötzlich eine zentrale Rolle, und die Ausstellungen im Kunstpalais, im Stadtmuseum und in den leerstehenden Ladengeschäften der nördlichen Altstadt rückten stärker in den Fokus. Vor allem aber war der Salon plötzlich Teil des städtischen Lebens und wurde auch von den Erlanger*innen viel positiver wahrgenommen. Die Zelte erhöhten den Ereignischarakter des Festivals enorm. Daher hatte sich der Stadtrat im Nachgang des 2018er Salons entschieden, auch 2020 noch einmal auf die Zeltlösung zu setzen. Der Auftrag wurde bundesweit ausgeschrieben und erteilt. Dann kam die Absage. Die Zeltfirma hätte darauf bestehen können, die vereinbarte Summe trotzdem zu erhalten, ließ sich freundlicherweise aber darauf ein, den Auftrag einfach um zwei Jahre zu schieben. Von daher standen die Zelte 2022 nicht zur Diskussion. Man muss festhalten, dass die Kosten natürlich höher sind als die Miete des Kongresszentrums, von dem unvorstellbar hohen logistischen Aufwand für uns einmal abgesehen, solche riesigen Hallen im Innenstadtbereich aufzubauen, mit Strom und Infrastruktur zu versorgen, Verkehrsplanung, Sicherheit … Wir werden das im Nachhinein alles bewerten, auch vor dem Hintergrund des Klimaschutzes, dann wird der Stadtrat entscheiden.
Gibt es Raummangel, oder waren die Veranstaltungen gut unterzubringen?
Der Internationale Comic-Salon Erlangen ist ein großes Festival, und die Erlanger Innenstadt ist überschaubar. Raummangel ist unser beherrschendes Thema. In diesem Jahr nutzen wir weit über 30 verschiedene Veranstaltungsorte. Ein ganzes Team war wochenlang damit beschäftigt, mit Besitzer*innen leerstehender Immobilien zu verhandeln. Wir mieten in diesem Jahr rund 15 Ladenleerstände an. Die Orte müssen geputzt, teilweise mit Holzwänden versehen und für die Ausstellungen ertüchtigt werden. Seit 1. Mai haben wir ein mehrköpfiges Team im Einsatz, das diese Orte herrichtet. Dazu müssen Räume für Vorträge, Gespräche, Lesungen, Pressegespräche, Konzerte, Partys, Preisverleihungen usw. gefunden werden. Noch heute, während wir miteinander sprechen, fehlen uns einige Räume für organisatorische und infrastrukturelle Funktionen …
Was sind für Sie Highlights im Salon-Programm?
Unsere großen Projekte, die wir schon für 2020 vorbereitet und seitdem weiterentwickelt haben: Die Ausstellung »Vorbilder*innen. Feminismus in Comic und Illustration« mit Arbeiten von 30 verschiedenen Künstler*innen, sortiert nach Oberthemen wie »Strong Female Lead«, »Gender Reverse« oder »Body & Sex Positive«. Das Großprojekt »Populäre Bilder«, in dem die Kunst- und Comic-Szene der Demokratischen Republik Kongo aus Sicht der Künstler*innen vor Ort präsentiert wird. Für beide Ausstellungen sind aufwendige Videoproduktionen und exklusive Arbeiten entstanden. Die Ausstellungen von Cathrine Meurisse, Birgit Weyhe, Liv Strömquist, LuYang und die Will-Eisner-Retrospektive des Schauraum: Comic + Cartoon Dortmund. Die Gespräche mit afrikanischen oder ukrainischen Künstler*innen, das umfangreiche Lesungsprogramm, die Max und Moritz-Gala und natürlich »Kinder lieben Comics!«, das Kindercomicfestival im Rahmen des Salons mit alleine mehr als 50 Veranstaltungen …
»Innerhalb der Programmstruktur wird alles alle zwei Jahre neu erfunden«
Gibt es wichtige Neuerungen im Programm im Vergleich zum Salon 2018?
Natürlich besteht der Internationale Comic-Salon weiterhin aus Messe, Börse, Ausstellungen, Bühnenprogramm, Comic Podium, Comic Film Fest, Max und Moritz-Preis usw. Aber innerhalb dessen wird doch alles alle zwei Jahre neu erfunden. Das Ausstellungsprogramm war vielleicht noch nie so ambitioniert wie in diesem Jahr. Der Anspruch, den wir an Ausstellungen stellen, hat vielfach nichts mehr mit viertägigen Festivalausstellungen zu tun. Wir versuchen die Themen inhaltlich zu durchdringen wie bei jahrelang vorbereiteten Museumsausstellungen. Auch das Podiumsprogramm wird nach meiner Beobachtung immer fokussierter auf gesellschaftlich relevante Fragestellungen. Und auch organisatorisch wird man einige Entwicklungen beobachten können: Das Zelt am Hugenottenplatz gibt es nicht mehr, dafür passiert deutlich mehr im Schlossgarten, der jetzt wirklich zum Zentrum des Salons wird. Noch nie gab es außerdem eine so intensive Bespielung der Altstadt, das Kinderprogramm ist das größte aller Zeiten. Was es in diesem Jahr nicht gibt, ist das Stickeralbum. Hoffentlich zu verschmerzen …
Um die vor einigen Jahren aufgekommenen Comic Conventions ist es ruhiger geworden. Kann der Comic Salon seine konzeptionelle Ausrichtung beibehalten?
Wir haben in den Conventions nie eine Konkurrenz für den Internationalen Comic-Salon gesehen. Nicht, weil uns keiner das Wasser reichen kann, sondern weil unsere Ausrichtung doch eine andere ist. Die Conventions sind weiterhin sehr erfolgreich und erreichen Zehntausende von Besucher*innen, teilweise mehr als der Comic-Salon. Als Kulturamt der Stadt Erlangen legen wir größeren Wert auf Ausstellungen, auf diskursive Veranstaltungen und das Bühnenprogramm. Der Comic-Salon ist ein klassisches Kulturfestival mit einem starken Fokus auf dem künstlerischen Comic. Weitere Veranstaltungen in Deutschland mit kommerziellerem oder auch mit noch stärkerem Kunst-Charakter befördern die Bedeutung der grafischen Literatur insgesamt. Und das ist gut so.
»Die Leute haben keine Vorstellung, was wir unter zeitgenössischem Comic verstehen«
Der Comic-Markt wächst – dennoch scheinen Vorurteile gegen Comics in Deutschland nicht ausrottbar zu sein. Muss Ihrer Ansicht nach am Image des Mediums weiter gearbeitet werden? Oder kann man sich in der Nische einrichten?
Der Markt wächst ja nur in einigen Teilbereichen. Nach wie vor machen Mangas den größten Teil am Umsatz aus. Ein Segment, in dem wir in Erlangen ja nicht unbedingt unsere Stärke haben. Auch im Bereich der Publikationen von Youtube-Stars und Influencern liegt nicht unsere Kernkompetenz. Der Schwerpunkt des Internationalen Comic-Salons liegt bei den klassischen Comics, den Graphic Novels und den Kunst-Comics. Und das sind alles drei natürlich nach wie vor Nischen. Wir brauchen uns nicht einzubilden, dass es in der breiten Bevölkerung, ja, nicht einmal in den Kreisen besonders kulturinteressierter Mitbürger*innen auch nur ansatzweise eine Vorstellung davon gäbe, was wir heute unter zeitgenössischem Comic verstehen. Seit Jahrzehnten sind wir in den Wochen vor dem Salon mit Infoständen in der Fußgängerzone präsent und haben den Eindruck, bei den Erklärungen immer wieder von vorne anfangen zu müssen. Es liegt immer noch viel Aufklärungsarbeit vor uns.
Ist bereits ein Ausblick auf den Comic Salon 2024 möglich?
Ausgeschlossen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Reinschauen
| Webseite des ICSE