Comic | Tina Brenneisen: Das Licht, das Schatten leert
Mit ›Das Licht, das Schatten leert‹ packt Comic-Künstlerin Tina Brenneisen das Tabuthema Totgeburt an – und verarbeitet den Verlust ihres Sohnes bei dessen Geburt. Das liest man nicht zufällig. Man lässt sich darauf ein, fühlt sich in die Drastik des Themas. Und wird dann doch kalt erwischt. Gelesen Von CHRISTIAN NEUBERT
Nicht wie ein Kinder-, eher wie ein Einkaufswagen schaut das Gefährt aus, das die Schwester ins Krankenzimmer schiebt. Tini wartet schon im Bett, mit Fritzemann an ihrer Seite, ihrem Lebensgefährten. Die Schwester ist gekommen, um ihnen ihren Sohn Lasse zu bringen, den sie eben verloren haben. Damit sie sich verabschieden können. Denn Lasse war eine Totgeburt.
Tini, das ist Tina Brenneisen. Sie arbeitet als Comic-Künstlerin, wurde 1977 in Dresden geboren. Mit ihrem neuen Comic ›Das Licht, das Schatten leert‹ verarbeitet sie den Verlust ihres Sohnes, indem sie ihre Leser an dieser sehr persönlichen Geschichte teilhaben lässt. 2017 wurde sie für den Band mit dem Comicpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung prämiert, der höchstdotierten Auszeichnung für Comics in Deutschland. In diesem Jahr erschien er im Zürcher Verlag Edition Moderne.
Trauerarbeit
Einen Comic wie ›Das Licht, das Schatten leert‹ liest man nicht zufällig. Man weiß, auf welches Thema man sich einlässt, zumindest meint man, es zu wissen. Dennoch ist man kaum auf die Tragik und Drastik vorbereitet, die an das Tabuthema Totgeburt gebunden ist, wenn man erst einmal mit ansieht, wie zweckmäßig, pragmatisch und banal dann eben der Umgang mit ihr ist.
Tina Brenneisen macht diesbezüglich keine Umschweife. Und nimmt einen direkt mit, um den Tod zu treffen. Ab da begleitet man sie. Geht mit ihr ins Taxi, nach Hause, wo sie zunächst bleibt, weil alles andere eine Tortur ist, zumindest eine noch größere. Sich mit den Lebenden auseinanderzusetzen erscheint ihr anfangs unmöglich. Weil der Schmerz erst mal sitzt. Ganz elementar, im eigenen Körper, den sie als Tatort wahrnimmt und dem sie nicht entkommen kann.
›Das Licht, das Schatten leert‹ zu lesen heißt mitzuleiden, Schmerzen zu teilen. Und dabei zu erleben, wie die Protagonistin und ihr Lebensgefährte nach und nach Wege finden, die natürlich nicht schnurstracks aus der Trauer, aber in Richtung von Möglichkeiten für ein Weiter, ein Weiterleben weisen. Das beeindruckt aufgrund der Intimität, die Brenneisen mit dem Comic zulässt. Und aufgrund der sprachlichen Feinheiten, die das schonungslos intime Moment überindividuell greifbar machen, ohne ihr Alter Ego Tini weit von sich als Autorin wegzurücken.
Wenn Brenneisen möchte, hält sie die Leserinnen und Leser auf Distanz. Meist hält sie sie jedoch nah dran, den Tränen nahe – immer auch ihren eigenen. Humor spielt dennoch eine Rolle. Wobei es schön zu beobachten ist, dass aus dem gezwungenen Galgenhumor der Trauerarbeit wieder freier, sich freuender Witz entsteht.
Nah dran, den Tränen nahe
Hinsichtlich der Zeichnungen, der farblichen Gestaltung und der Panelaufteilung ähnelt ›Das Licht, das Schatten leert‹ Manu Larcenets Meisterwerk ›Der alltägliche Kampf‹ – was direkt ein Stichwort liefert: Mit dem Verlust des Kindes sieht sich Brenneisen einem alltäglichen Kampf ausgeliefert, in dem sie sich nicht nur ihrer Trauer, sondern auch problematischen Beziehungsgeflechten stellen muss, deren Dysfunktionalität sich gerade durch die tragische Ausnahmesituation umso klaffender auftut.
Nachdem ›Das Licht das Schatten leert‹ Brenneisens persönliche Geschichte ist, wird sie in dem rund 230 Seiten starken Comic auch nicht auserzählt. Das mit der Trauer kennt kein Finale. Man hat es geahnt. Und freut sich, dass der Comic zunehmend Abstand zu sich selbst nehmen kann, obwohl er bis zum Schluss an sein Thema gebunden ist – und dass er dort auf Konfrontationskurs geht, wo alles nur noch vage und zur Floskel wird. Wie könnte er auch anders?
Titelangaben
Tina Brenneisen: Das Licht, das Schatten leert
Zürich: Edition Moderne 2019
340 Seiten, 29 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander
Reinschauen
| Leseprobe
| Webseite von Brenneisens Verlag Parallelallee