Katchunka!

Comic | MADs große Meister: Don Martin

13 Jahre nach seinem Tod steht der Zeichner Don Martin noch immer für den Stil des Satiremagazins MAD. Jetzt beginnt die Veröffentlichung aller Comics, die er dort publiziert hat. ANDREAS ALT hat den ersten Band unter die Lupe genommen.

Don MartinDas erste MAD-Taschenbuch des Bildschriften Verlags erschien 1974 unter dem Titel ›Don Martin hat Premiere‹. Das ist ein Hinweis darauf, dass dieser Zeichner eine herausragende Position hatte – jedenfalls in den deutschen MAD-Ausgaben. Don Martin hatte einen unverwechselbaren Zeichenstil, der zudem zur Freude mehrerer Schülergenerationen nicht allzu schwer nachzuahmen war. Für viele war er der komischste MAD-Künstler.

Bei Panini, wo das deutsche MAD aktuell erscheint, ist Don Martin nun auf den zweiten Platz abgerutscht. In der Reihe MADs große Meister musste er dem Marginal-Kritzler Sergio Aragones den Vortritt lassen. Nun aber wird auch er in drei dicken Bänden geehrt. Er ist also auf dem deutschen Comic-Markt offenbar immer noch eine große Nummer.

Zerknitterte Anatomie und umgeknickte Füße

Ihn die Verkörperung dieses innovativen, wegweisenden US-Satireblatts zu nennen, wäre freilich übertrieben. Seinen Ehrentitel ›MADs Maddest Artist‹ kennt man in Deutschland erst seit Kurzem. Es gab dort wichtigere Namen: Harvey Kurtzman, Al Feldstein oder Wally Wood. Don Martin stieß 1956 nach Grafikausbildung und anschließendem Kunststudium zur Mannschaft des Verlegers Bill Gaines. Da war das 1952 gegründete Comic-Heft seit einem Jahr zum Magazin mutiert und damit der Selbstzensur der US-Comicindustrie entgangen. In der Heftserie, die von Zeichnern der berühmten EC-Horrorserien wie Feldstein, Wood oder Jack Davis gestaltet wurde, hätte er mit seinem Funny-Stil womöglich gar nicht Fuß fassen können. Seine bescheuerten Figuren trugen Namen wie Fred Feinbein, hatten eine zerknitterte Anatomie, vor allem umgeknickte Füße, abenteuerliche Frisuren, gerieten in waghalsige Slapstick-Situationen und gaben dabei Geräusche wie »Splitzz« oder »Katchunka« von sich.

Don Martin war Freiberufler. Er saß nie in der New Yorker Redaktion, sondern lieferte seine abgedrehten Beiträge per Post aus Miami. Privat war er ganz und gar nicht verrückt, sondern ein introvertierter, höflich-zurückhaltender und soignierter Mann. MAD-Redakteur Herbert Feuerstein, der ihn mehrmals persönlich traf, erinnerte er an einen »Senator aus Westvirginia«. 1987 gab Martin seine Zurückhaltung auf und kehrte MAD nach einem längeren Streit über seine Urheberrechte den Rücken. Verleger Gaines hatte seine Zeichner und Autoren zwar immer sehr großzügig bezahlt, sich aber alle Verwertungsrechte und den Verkauf der Originalzeichnungen auf eigene Rechnung vorbehalten. Martin ging zur Konkurrenz, dem Magazin Cracked, laut Feuerstein ging es aber von da an körperlich mit ihm bergab. Er starb Anfang 2000 mit 68 Jahren an Krebs.

Anfänge als Illustrator und Plattencover-Künstler

Sehr viel mehr ist über Martin nicht bekannt. Und das ändert sich auch durch den ersten der drei Panini-Bände nicht. In das Buch sind ein paar Statements befreundeter Comic-Künstler eingestreut. Hella von Sinnen steuert das Vorwort bei, stützt sich darin aber hauptsächlich auf Feuerstein. Peter Bagge weist als Einziger darauf hin, dass Martin anfangs auch als Illustrator und Plattencover-Künstler gearbeitet hat. Also muss das Werk über ihn Auskunft geben. Der erste Band versammelt seine Veröffentlichungen zwischen September 1956 und Juli 1967.
Einen spektakulären Start hatte der MAD-Meister nicht eben. Er parodierte Ratgeber-Rubriken und TV-Werbespots, was zumindest aus heutiger Sicht nur mäßig komisch ist. Bemerkenswert aber: Seine markante Handschrift ist im Wesentlichen von Anfang an da, sein Stil wird nur über die Jahre einfacher und klarer. Und schon einige seiner frühesten Comics zeigen sein Talent, recht simple Gags präzise zu inszenieren und damit absurden Witz zu erzeugen – wie das Laurel und Hardy im Film konnten. Später hat sich Martin häufig Ideen von Don »Duck« Edwing liefern lassen. Seine Stärke war sicher nicht das Erfinden witziger Geschichten.

Die unmerkliche Verwandlung des »Dr. Jekyll«

Ein typischer Comiczeichner ist Don Martin anfangs nicht gewesen. Relativ selten verwendet er Sprechblasen. Meist verzichtet er auf feste Panels. Das deutet eher auf einen Cartoonisten hin, der sich in die Comicbranche verirrt hat. Das erste Soundwort im Buch ist »Uuuuurp!«, das Rülpsen einer fleischfressenden Pflanze. Erstmals zur Perfektion gereift ist sein Zeichenstil meiner Ansicht nach 1963 in Dr. Jekyll und Mr. Hyde, einem Comic, dessen Pointe über zwei Seiten hinweg meisterhaft verzögert wird. Interessant wäre, wie er zu den Comics und zu MAD kam – vielleicht ist darüber ja mehr in Band 2 oder 3 zu erfahren.

Ein erster herausragender Beitrag ist für mich Das Schachspiel von 1958, wo die beiden Spieler in neun Bildern ihre Haltung nur minimal verändern und dennoch ein erschreckendes Drama abläuft. Ab 1959 wird Martin zunehmend kühner: Menschen verwandeln sich in Geldautomaten oder Brummkreisel, werden zu einem Haufen Gummi zusammengeknetet oder beim Sturz durch eine Harfe in Scheiben geschnibbelt. Am Ende wird sogar der Kopf eines Friseurkunden geteert und flach gewalzt.

Der klassische MAD-Leser vermisst die »Abt.«-Rubrizierung, offenbar eine Spezialität des deutschen MAD bis 1994. Die kurzen Einleitungstexte zu vielen der Comics haben nicht besonders viel Esprit – sie mögen richtig übersetzt sein, aber Herbert Feuerstein hat damals daraus viel mehr gemacht. Trotz kleinerer Abstriche: Es ist faszinierend, die Kunst des Don Martin in dieser geballten Form zu studieren. Und für einige Stunden bester Unterhaltung taugt der Wälzer allemal. Panini will das Don-Martin-Gesamtwerk bis 2014 komplett vorlegen.

| ANDREAS ALT

Titelangaben
MADs große Meister: Don Martin. Die MAD-Werke der Zeichner-Legende.
Band 1: 1956 – 1967. Aus dem Amerikanischen von Oliver Naatz und Mathias Ulinski.
Stuttgart: Panini Comics 2012.
340 Seiten, 49,90 Euro.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Der Himmel voller Blut

Nächster Artikel

Vom Kern bis zum Kompost, vom Ei bis zum Knochen

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Gratis Comic Tag 2018

Comic | Gratis Comic Tag Einen Feiertag für Comic? Den gibt es! Mit dem »Gratis Comic Tag«! Er findet diesen Samstag statt, also am 12. Mai – bei allen teilnehmenden Händlern. Sein Name ist dabei Programm: Einschlägige Verlage drucken spezielle Verschenk-Exemplare ihrer Erzeugnisse. 18 Verlage sind in diesem Jahr beteiligt, insgesamt winken 35 Gratis-Comic-Hefte.

Die Fabel der neurotischen Katze

Comic | Alexander Braun (Hrsg.): George Herrimans ›Krazy Kat‹ George Herrimans Comic-Strips der Serie ›Krazy Kat‹ gelten als Pionierwerke der Comickunst, noch lange bevor Comic-Hefte oder Graphic Novels gesellschaftsfähig wurden. Über zehn Jahre, von 1935 bis 1944, zeichnete Herriman einseitige Strips in der Sonntagsausgabe der US-amerikanischen Zeitung ›Evening Journal‹. Die Handlungsstränge zwischen einer Katze, einer Maus und einem Hund legen damit das Fundament für viele Zeichner und gelten die Inspiration für viele weitere Geschichten – von »Tom & Jerry« bis zu Charles M. Schulz‘ ikonischem »Charlie Brown«. So war es längst überfällig, dass der Comic-Experte Alexander Braun nun sämtliche Sonntagsseiten

Kleiner Vogel, großer Krieg

Comic | Little Bird 1 – Der Kampf um Elder's Hope

Darcy van Poelgeests und Ian Bertrams preisgekrönter Comic ›Little Bird‹ zeichnet ein dystopisches Amerika am Abgrund eines Glaubenskriegs. ›Der Kampf um Elder´s Hope‹, der erste Band der Miniserie, liegt bei Cross Cult in deutscher Übersetzung vor. CHRISTIAN NEUBERT hat ihn gelesen – und ist dabei vom Glauben an Vorschusslorbeeren abgefallen.

Die Quadratur der Kreise

Comic | Martin Panchaud: Die Farbe der Dinge

In seiner ersten langen Comic-Erzählung erzählt Martin Panchaud eine tragikomisch-aberwitzige Story über einen Londoner Teenager. Indem er sich dabei optisch auf Gefilden bewegt, die eher an Planskizzen als an klassische Comics denken lassen, steckt er die Grenzen seines Mediums neu ab. Von CHRISTIAN NEUBERT

»Watchmen« des Horrors?

Comic | Alan Moore (Text) / Jacen Burrows (Zeichnungen): Providence Bd. 1 und Bd. 2 Mit der Comicreihe »Providence« wandeln Kult-Autor Alan Moore und Zeichner Jacen Burrows auf den Spuren von Horror-Altmeister H.P. Lovecraft. Alleine aufgrund dieser Namen folgt CHRISTIAN NEUBERT den verschlungenen Pfaden nur allzu gern.