Roman | Dolores Redondo: Alles was ich dir geben will
Eine weit reichende Familiengeschichte, ein Doppelleben, ein tödlicher Unfall und das alles vor bezaubernder Kulisse: Dolores Redondo malt Bilder mit ihrem Roman und schafft neben viel Spannung auch eine bezaubernde Atmosphäre, an der der Duft von Gardenien nicht ganz unschuldig ist… Von BARBARA WEGMANN
»Wie es aussieht, ist der Wagen auf gerader Strecke und bei guter Sicht von der Straße abgekommen. Es scheint kein weiteres Fahrzeug beteiligt gewesen zu sein.«
Das, was der Schriftsteller Manuel von der Polizei hört, ist ein Schock für ihn. Doch der nächste große Schock lässt nicht lange auf sich warten: der 44jährige Álvaro, mit dem Manuel seit längerem verheiratet ist, hat offenbar ein Doppelleben geführt. Nicht etwa bei einer Tagung in Barcelona sei er gewesen, so die ermittelnden Beamten, sondern ganz in der Nähe des Adelsanwesens seiner Familie habe sich der Unfall ereignet. Seit drei Jahren bereits trage Álvaro den Titel des Grafen von Santo Tomé, eine »der ältesten galicischen Grafschaften«.
Álvaro, sein Mann, sein Lebensgefährte, sein Geliebter, ein Adliger, ein Lügner? Für Manuel bricht eine Welt zusammen, Álvaros Familie ist verstört, abweisend und alles andere als hilfreich, den Sachverhalt aufzuklären. »Es war nicht nur für Sie ein Schock, wissen Sie…Die Familie hat kürzlich erst von Ihnen erfahren.« So erklärt es der Anwalt. Mit einer Beziehung habe man sicher gerechnet, aber sicher nicht mit einer Heirat. Dass Álvaro zudem auch noch homosexuell gewesen sei, das sei für den Vater »inakzeptabel« gewesen.
Damit nicht genug: Manuel wurde von seinem Mann als Alleinerbe eingesetzt, eine Nachricht, die nicht gerade zur familiären Harmonie beiträgt. Manuel ist zerrissen. »Álvaro hatte ihn belogen und betrogen wie einen verliebten Schuljungen«. Wut über Álvaros Doppelleben, Trauer über dessen Tod, Zweifel an allen Geschehnissen. Und überhaupt: War es wirklich ein Unfall? Oder vielleicht Mord? Vieles scheint dafür zu sprechen.
Auf gut 600 Seiten holt die im Baskenland geborene und studierte Juristin Dolores Redondo weit aus. Figuren, Landschaften, Zusammenhänge, Hintergründe, frühere Geschehnisse, die ins Heute reichen, all das beschreibt sie lebhaft und wunderbar zu lesen, sie erzählt so lebendig, als säße man bei einem guten Vino Tinto gemeinsam am Tisch und würde ihr gebannt lauschen. Dialoge und Landschaftsbeschreibungen halten sich unterhaltend die Waage, die Kapitel sind überschaubar und lassen die gut 600 Seiten vergessen. Zumal: es wird immer spannender und mysteriöser.
Zusammen mit einem »eigensinnigen« Polizisten der Guardía Civil und auch ein, zwei Freunden Álvaros geht es auf Spurensuche, und zunehmend lässt Manuel, der erst vor allem die Flucht ergreifen will, dann aber doch bleibt, nicht locker. So entwickelt sich der Roman zu etwas ganz Besonderem: ein Schuss Thriller, ein Teil Familiengeschichte, eine wunderbare Kulisse als Hintergrund und natürlich eine große Liebe zweier Männer, die ihre wahre Bedeutung erst nach dem Tod des einen offenbart.
Na klar: ein wenig Herz-Schmerz ist dabei, Klischees, die sich zwischen Arm und Reich, Adel und Nicht-Adel, Lüge und Wahrheit oder Moral, Sitten und die Ansicht über sie bewegen. Ausgesprochen runde und bestens in Szene gesetzte Charaktere, besonders die Hauptfigur des Manuel, glaubhafte Geschehnisse und eine spannende, gut durchdachte Story lassen kleinere Längen an manchen Stellen des Romans leicht vergessen. Und immer wieder ist da die Rede von Gardenien, jenen Blumen mit dem so verführerischen, »betäubenden« und einzigartigen Duft … Lesenswert und spannend!
Titelangaben
Dolores Redondo: Alles was ich dir geben will
München: btb 2019
606 Seiten, 22.- Euro
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