Roman | Franzobel: Rechtswalzer
In seinen Geschichten taucht der österreichische Autor Franzobel (Jahrgang ’67) mit Vorliebe hinab in die gesellschaftlichen Untiefen der Alpenrepublik. Zu seinem neuen Kriminalroman Rechtswalzer (erschienen im Frühjahr 2019) dürfte ihn aktuell die (kürzlich geplatzte) Mitte-Rechts-Koalition aus ÖVP und den Freiheitlichen angeregt haben. Darin spinnt der Autor die aktuelle fatale politische Entwicklung weiter und erzählt vom Jahr 2024. Eine Rezension von HUBERT HOLZMANN
In seinem Vorspruch zu Rechtswalzer zitiert Franzobel den französischen Skandalautor Michel Houellebecq, der in seiner Unterwerfung von 2015 ein dystopisches Bild des zukünftigen Frankreich gezeichnet hat. Allerdings verortet Franzobel sein futuristisches Österreichbild weniger aus einer kulturpessimistischen Position, sondern schreibt seinen Roman »für alle linken Füße«.
Dass er in seinem Vorblick allerdings ebenso wie sein französischer Kollege reale Geschehnisse vorwegnehmen wird, mag unbeabsichtigt gewesen sein. Aber auch hier folgte dem Kriminalroman Rechtswalzer, in dem er die dubiosen Hintergründe des rechten Erfolgs malt, das reelle politische Beben vom Mai 2019, das durch die bekannte »satirische« und beinahe preisverdächtige Filmleistung auf Ibiza ausgelöst wurde und das politische Gefüge des Landes mächtig durcheinander gerüttelt hat. Das lässt die Geschehnisse im Roman in einem neuen Licht erscheinen. Auch Franzobel bringt bereits dunkle Machenschaften von lokalen Baulöwen und unbekannten Investoren, die mit osteuropäischer Mafia verstrickt sind, ans Licht. Auch in seinem Buch arbeiten politisch rechtsextreme Kreise im »Untergrund«. Auch bei ihm geht es um viel Geld, um Geld aus dubiosen Quellen.
»LIMES« – die neue völkische Grenzziehung
Nun aber zurück zu Franzobels Story: Österreich im Jahr 2024 wird von einer neuen autoritären Partei, der LIMES-Bewegung, regiert, deren Machtanspruch totalitär und auf eine starke Führerfigur zugeschnitten ist. Das historische Vorbild wird sichtbar, jedoch auf aktuelle Erfahrungen mit Flüchtlingsbewegungen und neuen Volksfeinden übertragen. Doch dieses Machtstreben wirkt zunächst noch sehr unterschwellig, wird nur an einzelnen Randfiguren wie den »Trenchcoat-Männern«, einer neuen Geheimpolizei, sichtbar. Denn scheinbar ist alles beim Alten geblieben. Das alltägliche Leben spielt sich wie immer ab.
Jedenfalls beginnt der Roman für Franzobels Helden Malte Dinger, der eine Szene-Bar, das »Gin-Ding« betreibt, völlig harmlos. Dinger ist ein Gutmensch und Linker, der sich mit seiner Frau Elvira während der Flüchtlingswelle um Syrer gekümmert hat, aber ansonsten prinzipiell politisch kaum in Erscheinung tritt. Vielmehr genießt er ein durchaus chilliges Leben ohne große Pflichten. Nur seinen kleinen Sohn bringt er für gewöhnlich morgens zur Schule.
Ein solcher Morgen wird für ihn schicksalsbestimmend, denn ein kleines Detail in seinem Leben beginnt, aus dem Ruder zu laufen. Als Dinger seinen Sohn zur Schule begleitet hat, ertönt auf dem Platz davor die Melodie von »Spiel mir das Lied vom Tod«, was sich als Klingelton eines herrenlosen Handys herausstellt. Die Melodie ist Vorzeichen für Schlimmes, der Showdown für Dinger nimmt seinen Anfang. Als der nämlich den Anruf annimmt, meldet sich eine unbekannte Stimme, die ihm das Ende seines glücklichen Lebens prophezeit: »Hör zu, Arschloch … Du bist raus, kapiert? Du hast ausgeschissen in der Welt!«
Das Unheil nimmt seinen Lauf
Franzobel greift in dieser Szene aus dem Vollen. Denn als Dinger wenig später in die U-Bahn steigt, gerät er in eine Fahrscheinkontrolle. »Dinger wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass Worte einen Geschmack besäßen, aber dieses ’Fahrscheinkontrolle’ schmeckte nach Rostblumen und brackigem Regenwasser.« Er verliert seine coole Grundstimmung augenblicklich, als er merkt, dass er seine Monatskarte nicht dabei hat. Bildhaft schildert der Autor Dingers Verunsicherung: »Das Malte-Dinger-Universum schrumpfte auf diese Monatskarte zusammen.« Sein Verstand setzt aus und er reagiert völlig panisch.
Die Monatskarte hat seine Frau, ihm fehlen drei Euro, um die Strafe direkt zu begleichen, er gibt einen falschen Namen an, als seine Personalien aufgenommen werden und prügelt sich zu allem Überfluss mit einem herbeieilenden Polizisten. Wie beim Fall eines Dominosteinchens beginnt eine Reihe von Katastrophen. Und wie in einer schlechten »Klamotte« zieht sich die Schlinge um Dingers Hals immer enger zu. Fast wirkt das Ganze komisch. Und nur unterschwellig lassen Bemerkungen der Kontrolleure, die »notorische Schwarzfahrer« als »Volksschädlinge« titulieren, den Atem stocken. Das lässt aufhorchen.
Und dass Dinger, der sich als »Paul Glücksmann« ausgibt, vom Kontrollduo als »jüdisch« und mit der »Hochfinanz« verbandelt erkannt wird, zeigt, wie es mit den typisch antisemitischen Klischees im Wien von 2024 steht. Die Situation ist für Dinger nun kein Spaß mehr, sondern bitterer Ernst, dem er nicht mehr entrinnen wird. Die Hetzjagd beginnt.
»Lange bleibe ich nicht«
Das Resultat des misslungenen Vormittags lautet: U-Haft in der JVA Josefstadt – das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz mag Franzobel Pate gestanden haben. Auch LIMES hat in Österreich die Haftdauer auf 96 Stunden hochgesetzt, bevor ein Anwalt informiert werden kann. Dinger muss einsitzen. Im Knast wird es für ihn extrem bedrohlich. Denn das anwesende Personal sorgt für das nötige Kolorit. Die Besetzung: ein Dealer, ein Geschäftsmann, der mit minderjährigen Prostituierten herumgemacht hat, zwei randalierende Fußballfans, einige Obdachlose, ein Transvestit.
Nicht mehr ganz so harmlos sind einige georgische Bandenmitglieder und hartgesottene Nazi-Typen, die sich hinzugesellen und die Malte das Leben schwermachen. Es kommt zu Schlägereien, Folter, einer Knastrevolte und einem Lynchmord. Die Gefängnisaufseher schauen teilnahmslos zu. Es trifft nie den Falschen.
Maltes Zellenkollege tanzt da etwas aus der Reihe. Es ist der ehemals angesehene Lobbyist und bekannter Wirtschaftsmensch Godehard Persenburg, dem jedoch eine Schmiergeld-Affäre zum Verhängnis geworden ist. Als Wirtschaftskrimineller abgestempelt, wird er von den »Saubermännern« der LIMES-Bewegung hinter Gitter gebracht. Neuerdings gilt es nämlich, die alte Elite zu zerstören. Trotz allem zeichnet sich Persenburg auch nicht durch Solidarität aus. Dinger hat im Gefängnis keinen Verbündeten. Auch seine Anwälte vermögen ihm nicht zu helfen.
LIMES – »Wir für euch«
Nur »LIMES« stiftet einen neuen Gemeinschaftssinn, verkündet einen neuen, »wahren Sozialismus«, mit einer Verfassung, die einen neuen Nationalismus befördert. Parteisymbole, die wie der »Gesslerhut« verehrt werden müssen, prägen den Alltag, ein Arbeitsdienst wird eingerichtet, es gibt Erziehungslager und auch für den Abbau der wachsenden Alterspyramide wird gesorgt. Rentner werden auf Kreuzfahrtschiffen geparkt. Die sich als One-Way-Lösung vergleichbar der Reichsbahn aus furchtbaren Zeiten herausstellen. – Soweit die politische Utopie. Vor diesem politischen Hintergrund scheint Dingers Schicksal hoffnungslos.
Parallel dazu findet die Polizei ganz in der Nähe des Wiener Spittelbergs eine Leiche, die furchtbar zugerichtet ist. Ob diese das Opfer von merkwürdigen Sexspielchen geworden ist oder vielleicht doch aus anderen Gründen auf das Übelste hingerichtet, bleibt offen. Auch Kommissar Groschen, »korpulent, ein grüblerischer Biertrinker, Eigenbrötler«, die Haare »wie bei John Travolta«, den die neuen politischen Errungenschaften kalt lassen, bleibt ratlos, untersucht den strangulierten, wie eine »Weihnachtsgans« verschnürten Toten. Der Fall ist zunächst nicht zu lösen. Vielmehr schiebt sich ein zweiter Fall dazwischen. Auch die Bedeutung der »Snuff-Videos« ist unklar.
Also alles auf Anfang. Groschen ermittelt unter dem Druck der Justiz, die eine schnelle Lösung einfordert. Er lässt sich von Dienstanweisungen scheinbar nicht beeindrucken und nutzt weiterhin seine Kontakte zu Underdogs und Kleinkriminellen, für die LIMES eigentlich eine andere Lösung im Auge hat. Und Groschen verfolgt eine Spur, die ihn mitten hinein in die dubiosen Machenschaften der neuen Regierung führt. Und in Kreise, die alle am Wiener Opernball zugegen sein werden. Auf dieses gesellschaftliche Ereignis, das die Zeiten überlebt hat, scheint sich dann auch alles zuzuspitzen.
Groschens Fall wird kompliziert. Er ermittelt in alle Richtungen. Es tun sich Fragen auf: War Dengels Verhaftung wirklich nur Zufall? Wusste der Tote aus der Strozzigasse etwa zu viel? Und hat der komentenhafte Aufstieg von LIMES wirklich ohne Geldgeber, ohne Medienmagnaten und einflussreichen Hintermännern und -frauen stattgefunden, die am neuen System mitverdienen wollten? – Franzobel bleibt uns die Antwort nicht schuldig. Rechtswalzer ist eine rabenschwarze, bitterböse Kriminalsatire – besonders für »Linksfüße«!
Titelangaben:
Franzobel: Rechtswalzer
Wien: Zsolnay 2019
414 Seiten. 19 Euro
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