Raus aus dem Club

Musik | Toms Plattencheck

Pupkulies & Rebecca sind kein Duo, sondern ein aus Janosch und Rebecca Blaul sowie Sepp Singwald bestehendes Trio, das sich bereits auf vier Alben zwischen Clubmusik auf der einen und Folk oder auch Chanson auf der anderen Seite austobte.

Pupkulies-Rebecca-Cover
Ihr neues Album heißt Tibau, nach dem Musiker Tibau Tavares, der P & R gar zum Quartett macht – und der entscheidenden Anteil hat an einer neuen musikalischen Fokussierung. Janosch verbrachte einen Teil seiner Kindheit auf den Kapverden. Aus dieser Zeit kennt er den Insulaner Tibau, der mittlerweile aktiver Komponist und Musiker auf der Inselgruppe ist. Seine Virtuosität an der Gitarre und seine Stimme stellt er in den Dienst verschiedener musikalischer Strömungen. Ob Morna (so was wir der kapverdische Fado), poppige Coladeira oder rhythmische Uptempo-Stücke (Fuana) –Tibau hats drauf. Das Album entstand dann auch teilweise auf der Insel Maio, wo Tibau am klassischen 6-String, aber auch an der 12-String oder Cavaquinho (einer Art Ukulele) die Basis legte, bevor die Endproduktion in Deutschland erfolgte. Tibau funktioniert wunderbar zwischen House Grooves, eingängigem Pop und Weltmusik-Flair. Die Stücke wirken dabei völlig harmonisch, der Stilmix kommt alles andere als konstruiert rüber. Statt englisch oder deutsch zu singen, bedient man sich auf Tibau auch passend dem kapverdischen Crioulo, die von Tibau und Rebecca übernommenen Vocals fügen sich bestens in das bunte Soundgeflecht ein. Anspieltipps: das hitverdächtige Momento, das wunderschöne Djarmai Azul, das afrikanisch geprägte Batuk na rua …

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Und gleich mehr zum Thema »Clubmusik + entschleunigender Exotikfaktor«: Der Berliner Alex Barck gönnte sich samt Familie ein Jahr auf der Insel La Reunion im indischen Pazifik – auch hier ist neuer Einfluss titelgebend. Der umtriebige Barck – u.a. DJ, Jazzanova-Mitglied und A&R-Manager scheint die Auszeit genossen zu haben und dürfte sich angesichts der zahlreichen Gäste, die er für Reunion lud, keine Sekunde gelangweilt zu haben. Gleich drei Songs präsentieren die tolle Stimme des Schweden »Ernesto« Bäckelie, klasse auch die Vocals von Pete Josef aus Bristol (The White Lamp) oder der auf Reunion geborenen Christiane Salem. Reunion ist die perfekte Mischung aus Clubsozialisation und euphorischem Popappeal – auf höchstem internationalen Niveau und mit gehörig soulig-gefühlvollem Einschlag. Es ist schwer, das Album zu Ende zu hören, weil man bereits die ersten beiden Tracks Doubter (Bäckelie) und Re-Set (Pete Josef) sofort in den Repeat-Modus setzt. Als Orientierung mag hier Jamie Woon passen. Spinning around entwickelt sich zu einer Art Like ice in the sunshine in style. Gute Laune ist hier absolut garantiert, der Sommer wird automatisch verlängert.

cibelleDie in Brasilien geborene Musikerin Cibelle veranlasste die internationale Presse mit drei Alben bereits zu ausgiebigen Lobeshymnen. Sie vermischt ihre Clubmusik mal mit Freak Folk, mal mit einem Tropicalista-Hauch und wird für ihre Genre-Sprünge geliebt. Die Brasilianerin wird gerne als Gesamtkunstwerk oder visionäre Avantgardistin rezipiert, was es nicht einfach macht, sich nur auf die Musik zu konzentrieren. Die wirkt auf Unbinding mit Anklängen an 90´s Club-Sounds zunächst mal eher rückwärtsgewandt, die Vocals entfernen sich von früherer Neo-Bossa-Wärme durch die Entfremdungen und Überzeichnungen, die sie durch die Nachbearbeitung des Produzenten Klose erfahren. Das wirkt zunächst etwas aufgesetzt arty farty – und ruft in Verbindung mit verschwurbelten Statements der Künstler zum Album, den im Titel auftauchenden Sonderzeichen und dem Coverartwork eher Skepsis hervor. Ich bin beim ersten Hören geneigt, das Ganze für völlig überbewertete und überinterpretierte Durchschnittsware zu halten. Nach vier- oder fünfmaligem Hören hat sich aber eine nicht erwartete Sogwirkung und Begeisterung ergeben. Die Fragen, was hier bewusst mit mehrfachen Spiegelungen vom alten Hut zum heißen Scheiß gedreht wird; inwiefern die Sichtweise einer jungen, weiblichen Brasilianerin auf Musik, die ehemals junge, (mehrheitlich) männliche Europäer abfeier(te)n, die Dinge mehr verschiebt, als die richtigen Produktionskniffe (mit einer »severe Justapoistion of wet an dry«) zur rechten Zeit; ob die innige Liebe zur Imperfektion hier Teil der Annäherung an Perfektion ist, scheinen letztlich zweitrangig. Die Platte funktioniert plötzlich bestens!

NilsOb 1+1 nun 2 ist, oder das Ergebnis auch mal mehr als die Summe der Einzelteile – entscheidend ist, dass eine Einheit entsteht. Das ist der Fall auf 1/1 von Nils Petter Molvaer und Moritz von Oswald. Der norwegische Trompeter Molvaer ist spätestens seit seinem auf ECM erschienenen Solo-Debut Khmer als Brückenbauer zwischen Jazz und Elektronik äußerst respektiert und erfolgreich. Zuletzt agierte er auf seinen Alben mit einem eher reduzierten Klangkonzept. Moritz von Oswald hat eine erstaunliche musikalische Entwicklung hinter sich. Nachdem er in den frühen 80ern Mitglied von Dorau & die Marinas und Palais Schaumburg war, wandte er sich Ende der 80er dem produzieren von Clubmusik zu, wobei – in aller Kürze – die Eckpunkte Detroit-Techno und Dub immer wieder eine gesonderte Rolle spielen sollten. 2008 schuf er mit Detroit-Legende Carl Craig ein Album der »ReComposed«-Reihe der Deutschen Grammophon, auf dem Musik von Ravel und Mussorsky mit Ambient- und Minimal-Ansätzen konfrontiert wird. Im Live-Projekt Moritz von Oswald Trio agiert er zusammen mit Max Loderbauer und Vladislav Delay. Der Hintergrund der beiden Musiker lässt schon darauf schließen, dass auch auf 1/1 zwar Traditionslinien des Jazz im gedanklichen Gepäck vorzufinden sind, Genre-Grenzen aber keine Beachtung finden. Die acht Tracks schweben traumwandlerisch einem unbekannten Ziel entgegen. Die Songtitel verweisen überwiegend auf eine Vorwärtsbewegung auf der Zeitachse (Step by step, Development, further, future), trotz düsterer Stimmungsanteile kommt keine pessimistische oder beklemmende Atmosphäre auf. 1/1 ist elegante, melancholische Musik für die nächtliche Autofahrt auf leeren Strecken. Mal übernehmen Molvaers lyrisch anmutende Trompetenstöße die Führung, mal schiebt sich die, teils dissonante elektronische Raumgestaltung Oswalds in den Vordergrund der Wahrnehmung, während die Trompete immer wieder neue Abzweigungen nimmt und verhallt. Auffallend ist dabei, dass hier zu keiner Zeit ein Musiker das Geschehen dominieren will und dass der Umgang mit Pausen und Auslassungen sehr bewusst erfolgt. Ob im leicht technoiden Development oder im 15-minütigen Wechselspiel namens Transition, es kommt keine Sekunde Langweile auf. Reduktion und stetige kleine Haken ergänzen sich bestens. Ein Werk, das sowohl ECMKunden als auch Denovali-Jünger gefallen sollte – und auch sonst jedermann empfohlen sei!

| TOM ASAM

Titelangaben
Pupkulies & Rebecca: Tibau – Normoton/ Alive/Finetunes
Alex Barck: Reunion – Sonar Kollektiv / Alive
Cibelle: Unbinding – Crammed Disc/ Indigo
Nils Petter Molvaer + Moritz von Oswald: 1/1 – Emarcy / Universal

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