Traditionsbewusst und Zukunftsträchtig

Comic | Alexis Martinez/Gunther Brodhecker: Das Tagebuch Des Ricardo Castillo

Ein spätes Comic-Debüt, das seinen Weg vom F.A.Z.-Feuilleton in einen bibliophilen Band gefunden hat: Martinez und Brodhecker überzeugen mit Das Tagebuch Des Ricardo Castillo. Auch CHRISTIAN NEUBERT.

CASTILLO
Ein Comic-Kind von alten Vätern: Alexis Martinez und Gunther Brodhecker, beide jenseits der Vierzig und Kollegen in einer Werbeagentur, haben mit Das Tagebuch Des Ricardo Castillo ein spätes Comic-Debüt vorgelegt. Auf den Spuren Hergés wandelnd, entführen die beiden als Zeichner/Autor-Gespann ihre Leser in die verschneite Landschaft Neu-Frankreichs – des heutigen Kanadas – zur Hochzeit des Pelzhandels.

Ursprünglich haben sie erste Passagen des ehrgeizigen Projekts für eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt realisiert. Dort konnten sie die nötigen Kontakte knüpfen, um die abenteuerliche Geschichte als fortlaufende Serie im Feuilleton der F.A.Z. zu veröffentlichen. Die drei bisher erschienenen Episoden haben sie nun gebündelt und im eigens aus der Taufe gehobenen Verlag herausgebracht – im Originalformat, als schön editierten Leinenband.

Von einem, der ausziehen musste und das Abenteuer fand

Der titelgebende Held, Ricardo Castillo, ist als heimlich praktizierender Jude aus seiner spanischen Heimat vertrieben worden. In seinem neu-französischen Exil verdingt er sich als Kartograph. Schnell gerät er an den egozentrischen Jean Pierre André Beauchamp, der eine glorreiche Zukunft als Entdecker für sich vorsieht, und den einfältig-gutmütigen Laurent Tronchet. Von nun an ist die Kartographie ein vernachlässigbares Geschäft. Vielmehr gilt es, angetrieben vom Ehrgeiz Beauchamps, sich an aufregende Aufgaben wie die Entdeckung der Nordwestpassage zu machen.

Die Geschicke des Castillo werden in den Abenteuern, die er durchlebt, vorrangig durch Beauchamps Visionen und Rivalen wie feindseligen Pelzräubern bestimmt. Das hat Tradition: Man blicke nur in die Tim & Struppi-Bände. Das Handeln des Reporters Tim wird praktisch komplett von äußeren Umständen bestimmt, während er als Figur einen nahezu eigenschaftslosen Kontrast zu den anderen Charakteren bildet. Da man in Rückblenden und in Form von Tagebucheinträgen jedoch Details aus der Vergangenheit und über die Wünsche des Castillo erfährt, verbleibt Brodheckers und Martinez´ Held nicht ganz so konturlos wie Hergés unsterbliches Musterbeispiel.

In bester Tradition

In die Tim & Struppi -Tradition hat Martinez auch seine Zeichnungen gestellt. Eine gute Wahl: Der vorrangig durch Hergé berühmt gewordene Ligne Claire-Stil eignet sich vortrefflich, um abenteuerliche Geschichten zeitlos und ansehnlich zu verpacken – und auch um deren märchenhafte Aspekte glaubhaft und greifbar unterbringen zu können.

Martinez´ Strich atmet spürbar den Geist dieser Zeichenschule im allgemeinen und dem von Hergé im Speziellen. Gerade die Figur des Tronchet scheint einem Haddock wie aus dem Gesicht geschnitten. Als bloße, wenn auch überaus gelungene Hommage darf man Martinez´ Zeichnungen jedoch nicht abtun – zumal aufgrund seiner filigranen Linienführung und angesichts der Proportionen der Figuren auch ein Willy Vandersteen den Illustrationen zu Ricardo Castillo Pate steht. Martinez arbeitet äußerst präzise und schafft es, den Zeichnungen einen eigenständigen Look inklusive lebendigem Schwung zu verleihen. Die angewandten Graustufen fügen sich dabei angenehm in die Bildkompositionen und verleihen der Eislandschaft Neu-Frankreichs eine Optik, die nie langweilt.

Mehr davon!

Gleiches gilt für die Story: Auch wenn die einzelnen Episoden infolge des ursprünglichen Zeitungsstrip-Turnus etwas Hoppla-Hopp abgehandelt werden, lassen sie nie die nötige Spannung vermissen, um den Leser nachhaltig an sich zu binden. Eine Prise leisen Humors darf man in Brodheckers und Martinez´ ambitioniertem Gemeinschaftsprojekt ebenfalls erwarten.

Man kann nur hoffen, dass die abenteuerliche Reise von Ricardo Castillo fortgeführt wird. Das Ende der vorläufig letzten Episode deutet glücklicherweise schon mal darauf hin – übrigens auf ein Ziel, dass – soviel sei verraten – auch Tim schon besuchen durfte. Und wer weiß: Vielleicht gibt´s die weiteren Episoden dann auch in Farbe…

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Alexis Martinez (Zeichnungen)/Gunthr Brodhecker (Text): Das Tagebuch Des Ricardo Castillo
Frankfurt: M-B-Verlag 2013
48 Seiten. 20 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ausgebuffte Kampagnen

Nächster Artikel

Romantik, Zigaretten und andere Kicks

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Der Held der einfachen Wege

Comic | Frank Miller (Text), David Mazzucchelli (Zeichnungen): Daredevil: Auferstehung Der Comic-Superheld Daredevil hatte es nie leicht: Anfangs stand er im Schatten älterer und größerer Helden. Als er dann doch in der letzten Dekade wieder populärer wurde, versaute der grässliche Kinofilm ›Daredevil‹ von Mark Stephon Johnson (mit Ben Affleck in der Hauptrolle) den Hype. Doch nun versucht das Marvel-Universum, die Beliebtheit des maskierten Schutzteufels wieder mit einer TV-Serie zu reanimieren. Passend dazu erschien nun auch der Comic-Klassiker ›Daredevil: Auferstehung‹ von Frank Miller und David Mazzucchelli aus dem Jahr 1986 endlich auf Deutsch – in der Übersetzung von Alex Rösch. Von

Guter Einstand

Comic | Mark Long/Jim Demonakos/Nate Powell: Das Schweigen unserer Freunde Étienne Davodeau: Die Ignoranten Ein halbes Jahr hat das neue Ehapa-Imprint ›Egmont Graphic Novel‹ nun auf dem Buckel. Das Sub-Label hat sich einem Comic-Segment verschrieben, das sich vorwiegend an eine erwachsene Leserschaft richtet. Zwei der ersten Graphic Novels, die in das Verlagsprogramm aufgenommen wurden, sind die Werke ›Das Schweigen unserer Freunde‹ und ›Die Ignoranten‹. Von CHRISTIAN NEUBERT

Conan reloaded

Comic | Conan der Barbar 1 – Die Königin der Schwarzen Küste Autor Brian Wood widmet sich in einer neuen Conan-Reihe den Abenteuern des jungen Cimmeriers und seiner ersten großen Liebe, der Piratenbraut Belit. Beeindruckend in Szene gesetzt wird die Reihe von den taltentierten Künstlern Becky Cloonan und James Harren. Von BORIS KUNZ

Sex And The City

Comic | Lydia Frost / Kalonji: In Bed In ihrem Debüt als Comicszenaristin führt Lydia Frost ihre Leser ›In Bed‹ – in die Betten fremdgehender Anhänger der New Yorker High Society. Kalonji findet dafür die passenden Bilder – ohne vor expliziten Details zurückzuschrecken. Von CHRISTIAN NEUBERT

Wanderer zwischen den Welten

Comic | Ein Interview mit Jeff Lemire Unter den kanadischen Gästen, die dieses Jahr auf dem Comicsalon in Erlangen mit einer eigenen Ausstellung ihr Werk vorstellten, war neben einigen hierzulande noch kaum bekannten Künstlern ein Name, an dem man seit nun fast einem Jahrzehnt nicht mehr vorbeikommt, wenn man sich für moderne Comics interessiert: Jeff Lemire. Man kennt ihn als eigenwilligen Zeichner von Graphic Novels ebenso wie als Autoren von Superheldencomics mit einem sensationell hohen Output. BORIS KUNZ wollte schon lange wissen, wie der Kerl das anstellt, und hat ihn deshalb zum Interview getroffen.