Herzallerliebste Privatheit

Film | Im Kino: Eltern (Kinostart am 14.11.13)

Den Unterschied zwischen grünem Tisch und Bodenhaftung, den zeigt Eltern. Wenn ein Elternteil sich beruflich verändert, ist im realen Leben Alarm angesagt. Da kann man vorher am grünen Tisch noch so übereinstimmende Absprachen treffen – der Teufel lauert im Detail. Dem argentinischen Au-pair-Mädchen rutscht denn auch unwillkürlich heraus, dass endlich diese so reibungslos organisierte deutsche Familie ihrer eigenen Familie in Südamerika ähnlich wird. So kann’s gehen. Von WOLF SENFF

elternZu Beginn herrscht eitel Frieden, Eintracht, Eierkuchen. Konrad (Charly Hübner) gibt den Vollzeitpapa, Christine (Christiane Paul) arbeitet als Ärztin und hat Karriereambitionen. Die Rollen sind so unmissverständlich verteilt, dass Konrad sich anhören muss, er klinge »wie eine Ehefrau aus den Fünfzigern«. Dabei, so viel ist klar, kann es nicht bleiben (Drehbuch: Jane Ainscough, Robert Thalheim).

Schön ist es, auf der Welt zu sein …

Bei dem liebevollen Papa sind die kleinen Schätzchen zu selbstsicheren, klugen Prachtexemplaren herangereift, Käthe (10) und Emma (5), und selbstbewusste Lieblinge, wie jeder weiß, bringen Leben in die Bude. Zumal wenn sie den ruhenden Pol ihrer kindlichen Welt, den Papa, verlieren sollen. Der will von nun an als Theaterregisseur arbeiten, nun muss sich jeder neu orientieren, das Au-pair-Mädchen sorgt zusätzlich für Irritationen. Wir erleben die Kraft familiären Zusammenhalts, die Beharrlichkeit menschlicher Bindung, und ebenso die immensen Versuchungen, die so heimtückisch in der Berufswelt lauern. Wie wird die Familie zu guter Letzt dastehen, Au pair inklusive?

In diesem engen Rahmen von Privatheit bewegt sich Eltern, der Film ist mal lustig, mal traurig, Hamster Specky stirbt und wird beigesetzt. Emmas Geburtstag wird zu Hause gefeiert, mit viel Hallodri, ganz kindgemäß, wie schön, und der Papa sucht nicht etwa Arbeit, weil Geld fehlen würde, sondern aus Daffke, er will zurück ins wirkliche Leben, das kann man verstehen. Nett eben, gefällig, alles im Lot. Aber rettet das unseren Film? Eltern mit dem Anspruch einer Til-Schweiger-Familie für die Großen? Schielt Eltern heimlich auf den Geldsegen von Keinohrhasen?

Weit und breit so gar keine Probleme

Eltern ist ein Film über Angehörige der Mittelschicht, die zurzeit, wie jeder weiß, beträchtlich ausdünnt. Die Einkommensschere klafft bedrohlich, die konservative Politik in diesem Lande gibt sich alternativlos und sieht keinen Anlass, gegenzusteuern. Besorgnis um gesellschaftliche Befindlichkeit bzw. strukturell bedrohlichen Wandel ist allerdings in Eltern kein Thema, Eltern bleibt da sprachlos, harmlos, unbedarft. Bisschen Realitätsbezug hätte man dem Film gewünscht.

Die Abläufe sind unaufdringlich inszeniert, es knistert nicht vor kalkulierter Dramatik, das wirkt soweit angenehm professionell. Über das neue wirkliche Leben von Konrad hätte man jedoch gern mehr erfahren, außer dass es die üblichen Rivalitäten und klamaukiges Herumgezicke im Ensemble gibt. Man freut sich, Maren Eggert in einer Nebenrolle zu sehen, doch wie Konrads neues Theater-Ensemble sich zusammensetzt, die Herkunft der einzelnen Schauspieler, und ob sie alle aus Spaß dabei sind, das bleibt offen. Kultur ist heute, weiß man, längst nicht mehr so locker zu etablieren wie noch vor wenigen Jahren. Einfach mal so Hebbels Nibelungen inszenieren, das läuft realiter gar nicht.

Schade. Sobald sich Probleme andeuten, gibt das Drehbuch nichts her. Eltern will ein Familienidyll bleiben – in deutschen Medien gibt’s ein schwarzes Dreieck zwischen Fukushima, Detroit, Syrien, in dem alles, was politikverdächtig ist, ratzfatz versenkt wird, gnadenlos, seit Längerem schon. Man staunt, dass Charly Hübner ein so biederes Drehbuch goutiert. Aus dem Polizeiruf kannte man ihn noch anders.

»Das Volk soll sich nicht versammeln, sondern zerstreuen« – so äußerte sich bereits Fürst Metternich (1773-1859), die Straußschen Walzer lobend, über Sinn und Zweck kulturellen Schaffens. Eltern (Regie: Robert Thalheim) stellt sich in eine lange Reihe belangloser Publikumsbespaßung und wird morgen vergessen sein.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Eltern, 99 Min.
Kinostart: 14.11.2013
Regie: Robert Thalheim
Darsteller: Christiane Paul, Charly Hübner, Paraschiva Dragus

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wie Faust im Jammertal

Nächster Artikel

Klarer Tim, klarer Struppi

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Zwischen Selbstjustiz und Schuld

Film | Im Kino: Intrigo – Tod eines Autors »Wenn ich dich nicht besitzen darf, bekommt dich keiner.« Frei nach diesem Motto scheinen die Beteiligten in ›Intrigo: Tod eines Autors‹ zu agieren. Manche direkt, andere auf indirektem Wege. Die Frage aller Fragen lautet: »Wer wird am Ende gewinnen?« Inwieweit die Moral noch zu Wort kommt oder ob da noch etwas ganz anderes dahinter steckt, findet ANNA NOAH heraus.

Offen-verworren und brillant-stringent

Film | Neu auf DVD: Die Wolken von Sils Maria Sils Maria ist ein Ortsteil von Sils, welcher in der Schweiz, Kanton Graubünden liegt. Dank des angenehmen Klimas und der schönen Lage zog es viele Schöngeister dorthin, die in Ruhe ihre Inspiration finden wollten. So auch der Regisseur Wilhelm Melchior, welcher eine Neuauflage seines erfolgreichen Theaterstückes ›Die Malojaschlange‹ plant. Von ANNIKA RISSE

Wie die Welt sich dreht

Film | Im Kino: The Grandmaster (Wong Kar-Wai) Vielleicht war das bereits ein frühes Signal für das Bröckeln des Westens und seiner Lebensweise, man weiß es nicht. Man soll seine Texte nicht mit »vielleicht« beginnen, vielleicht ist das ein Signal dafür, dass auch die Texte bröckeln, wer weiß das schon, es bröckelt und zittert, wo niemand es vermutet hätte: bei den Banken, der Gesundheitsvorsorge, den Werksverträgen usw. usf., und die Lernäische Schlange reckt ihre Köpfe, jene Hydra, die wir bei Homer endgelagert wähnten, als Merkel ist sie uns auferstanden, Europa liegt in Schockstarre. Von WOLF SENFF

Verfluchte Liebe: Kino, Film

Comic | Charles Berberian: Cinerama / Blutch: Ein letztes Wort zum Kino Comicschaffende und das Medium Film – im Reprodukt Verlag erschienen jüngst zwei Bände, deren Urheber jeweils ureigene Blicke auf das Kino werfen: Charles Berberians ›Cinerama‹ und Blutchs ›Ein Letztes Wort Zum Kino‹. CHRISTIAN NEUBERT hat sich das Comic gewordene Double Feature vorgenommen.

Cyber-Alptraum oder nahe Zukunft?

Film | Im Kino: Ghost in the Shell Was macht einen Menschen aus? Braucht man ein organisches Herz, um menschlich zu sein? Oder reicht das bloße Gehirn? Ist es die Sterblichkeit – oder sind es die Erinnerungen, die den Menschen von der Maschine unterscheiden … wird es bald keinen Unterschied mehr geben? ANNA NOAH über die Realfilm-Adaption des Cyberpunk-Anime-Klassikers Ghost in the Shell.