//

Schluss mit Reha, Frau Odenthal!

Film | Im TV: ›TATORT‹ Die Sonne stirbt wie ein Tier (SWR)

Zum Krimi diesmal kein Wort, nein, zuallererst ist das ein Film, der mit Gewohnheiten bricht. Lena Odenthal, völlig verändert, ist auf Reha, sie häutet sich. Nein, sympathisch. Doch nicht allein Odenthal und Kopper (der telefoniert mit Maria in Italien und wie frech ist denn das, dass sie uns das nicht übersetzen), das Drehbuch wirft massiv schillerndes Personal in die Handlung. Von WOLF SENFF

Foto: SWR / A.Kluge
Foto: SWR / A.Kluge
Johanna Stern, die Neue? Oh je, welch überschäumendes Zickenpotential. Auch von den Episodenfiguren hat jede ihren Knacks weg, man muss sich daran gewöhnen in diesem ›TATORT‹. Das überfordert uns? Nein, eher nicht, im Gegenteil, sie trauen uns einiges zu, sie lüften uns die Seele.

Schillerndes Personal

Sie gehen bis an die Grenze. Mussten wir nicht neulich erst einem Mann beim Onanieren zusehen? Das war unerfreulich, war nur peinlich und sollte peinlich sein. Nein, war nicht gut. Diesmal ist das ebenfalls grenzwertig, aber es wird sensibel ausbalanciert durch das Glückserlebnis sieben Filmminuten später beim Billardtisch, eine völlig abgefahrene Szene, und die erlebt der junge Mann auch so.

»Ich lass mir nix anhängen, ich b-bin kein Psycho«, beteuerte er eben noch, nun glauben wir’s ihm fast. Der eine geht zwei Wochen auf Reha, der andere spielt bloß eine Partie Billard, um seine Seele zu pflegen. Weiß man’s vorher? Ach, und es geht alles ganz anders aus, darauf muss man gefasst sein.

Wir glauben kein Wort

Was für ein Fall bzw. Verbrechen aufgeklärt wird? Nachts wurden auf einer Weide Pferde tödlich verletzt, und als das dann wieder geschieht, wird ein Mann ermordet, Angestellter eines Juristen, der sich einen Hof mit Pferden zugelegt hat. Lena Odenthal beendet ihren Reha-Aufenthalt und schaltet sich in die Aufklärung ein.

Schillerndes Personal, richtig, auch die Gattin des Juristen zählt dazu, die aus Statusrücksichten ihre Biographie überarbeitete. Und er? Er engagiert einen Privatdetektiv, um, wie er sagt, den Diebstahl von eintausend Euro aufzuklären, wir glauben ihm kein Wort, nicht eins, alles Lüge.

Traurig wird es leider auch

Kopper chauffiert nicht seinen unvergleichlichen Fiat, sondern schnödes Münchner Fabrikat, und Lena Odenthal ist entschlossen, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen. Darf das Drehbuch das? Ein vertrauter und geschätzter ›TATORT‹ wird auf die Füße gestellt, in neues Schuhwerk, alles wird neu. Vorsicht, der Zuschauer muss auf der Hut sein.

»Ich weiß, einem Menschen zu vertrauen ist unendlich schwer – wenn man sich öffnet, seine Schwächen zeigt, wenn man keine Maske mehr hat, hinter der man sich verstecken könnte.« Das ist etwas pathetisch ausgedrückt, aber darum geht’s in ›Die Sonne stirbt wie ein Tier‹. Ein poetischer Titel, schön aber irgendwie verstiegen, und ach, es wird alles höchst dramatisch, wie es nun einmal üblich ist in einem guten Krimi, und traurig wird es auch, nein, am Ende freut sich niemand, den Täter gefasst zu haben, genaugenommen sind es ja zwei, Sie werden sehen.

| WOLF SENFF

Titelangaben
›TATORT‹ Die Sonne stirbt wie ein Tier (SWR)
Ermittler: Ulrike Folkerts, Andreas Hoppe
Regie: Patrick Winczewski
So, 18. Januar, 20.15 Uhr, ARD

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Family Values zwischen Hunnen und »the Colonies«

Nächster Artikel

Ghost Culture with the Grim Reaper

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Oper als Arbeit

Film | Auf DVD: Die singende Stadt. Calixto Bieitos Parsifal entsteht Wer ein Theater oder eine Oper besucht, sieht auf der Bühne ein abgeschlossenes Kunstwerk. Nicht zu erahnen ist, wie viel Stunden Arbeit von unzähligen Menschen, von denen sich nur ein kleiner Teil nach der Vorstellung verneigt, zu diesem Ergebnis geführt haben. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu verstehen, wenn die Beteiligten verärgert auf jede negative Kritik reagieren. Sie ist ja auch eine Missachtung der Anstrengungen, die sie investiert haben. Von THOMAS ROTHSCHILD

Die Dunkelheit unterm Zucker-Candy – Teil II

Thema | Germany’s Next Topmodel JAN FISCHER hat die erste Folge der neuen Staffel Germany’s Next Topmodel mal gründlich auseinandergenommen. In seinem großen, dreiteiligen Essay findet er unter der bunten Candy-Verpackung der Sendung eine saubere Erzählung von der Dunkelheit am Rande der Stadt.

Ein Konzept, das einleuchtet

Kulturbuch | Scenario 8: Film- und Drehbuch-Almanach Ein Almanach, man kennt das noch, ist ein üblicherweise jährliches Periodikum, fachbezogen, es dient als Nachschlagewerk und informiert über den Stand der Dinge. Bis in den SPIEGEL gelangte seinerzeit die Nachricht vom überraschenden Erfolg des Jahrbuchs ›Schotts Sammelsurium‹. Ein Hype, der schnell in sich zusammenfiel. Dass es anders geht, zeigt ›Scenario‹, ein Film- und Drehbuch-Almanach, der seit einigen Jahren etabliert ist. Von WOLF SENFF

Kein Leben wie ein Gürteltier

Film | Neu im Kino: Ich und du (Italien 2012) Bernardo wer? Er arbeitete mit am Drehbuch für Spiel mir das Lied vom Tod? Lang ist’s her. Führte Regie in dem grandiosen Opus 1900 (Novecento, 302 Min.)? Drehte Der letzte Kaiser? Wann war das? Ach ja, 1968, 1976 und schließlich 1987 – oh, oh, finsteres Mittelalter. Seinerzeit wurde zum ersten Mal einer westlichen Filmproduktion gestattet, in der »Verbotenen Stadt« zu arbeiten. Von WOLF SENFF

Lebensbankrott trifft auf Persönlichkeitsstörung

Film | Im TV: Polizeiruf Familiensache (NDR), 2. November Arne Kreuz (Andreas Schmidt) sieht unfassbar gemein aus, aber was kann er dafür. Er führt Böses im Schilde, dass es uns kalt den Rücken herunterläuft. Das ist die eine ›Familiensache‹, ein Familienvater verkraftet die Scheidung nicht und steigert sich in eine Realität, in der die Tatsachen nicht mehr greifen. »Die Straße vor mir wird immer enger, und dann steh‘ ich vor dieser Wand«. Von WOLF SENFF