//

Rufschädigend

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Der Irre Iwan (MDR), Neujahrstag, 20.15 Uhr

»Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie?« – »Dreiundsechzig, nein, entschuldigen Sie, zweiundsechzig. Ich hatte Frau Kleinert noch mitgezählt!« Korrekt gezählt ist unverzichtbar, und Sie merken schon, dieser Film will witzig sein, das könnte ja ein wertvoller Vorsatz sein, und kühler Witz, klug gehandhabt, kann jeden ›TATORT‹ bekömmlich würzen. Von WOLF SENFF

Foto: MDR / Wiedemann&Berg / Anke Neugebauer
Foto: MDR / Wiedemann&Berg / Anke Neugebauer
Wir erinnern uns an den Vorläufer ›Fette Hoppe‹ von Weihnachten 2012, auch da trat Dominique Horwitz unter ›Bogdanski‹ auf, allerdings war er damals ein Kutscher und immerhin haben sie jetzt für ein kurzes Bild die schicke Kutsche aus der Requisite gerollt. Auch ›Fette Hoppe‹ war eher ein Schwank, ein Volksstück denn ein ›TATORT‹. Man kann verstehen, dass man der Willy-Millowitsch- oder Henry-Vahl-Tradition wieder Leben einhauchen möchte, wir leben politisch gesehen eh in konservativen Zeiten, und Weihnachten oder in diesem Fall Neujahr darf schon mal lustig sein.

Ein schönes Beispiel

Dennoch bleibt es stets eine hochsensible Angelegenheit, ein feststehendes Genre verbiegen zu wollen, der Zuschauer hat Erwartungen, die erfüllt werden möchten. Nun ist der Zuschauer durchaus geduldig, und längst gehört eine ›TATORT‹-Parodie wie die aus Münster zum ehernen Bestand und wird geliebt.

Doch ›Der Irre Iwan‹ gibt uns ein schönes Beispiel dafür, wie man es auf keinen Fall anfassen soll. Er übertreibt maßlos. Der Witz, anfangs noch einigermaßen pfiffig, nutzt sich ab, wird schal und ist dann nur noch klamottig, quietschfidel, er macht sich zum Affen. Und je mehr von den Zusammenhängen aufgeblättert wird, desto lächerlicher werden auch die.

Sexistisch grundiert

Zentrale Figuren sind eineiige Zwillinge, deren einer uns als tiefgefrorene Leiche begegnet, zuvorkommenderweise schon im Sarg deponiert. Die Herren lernten sich überhaupt erst im Erwachsenenalter kennen und stellten dann allerlei Unfug mit ihren Ehe- und anderen Frauen an, »wir führen eine offene Ehe«, bekennt die eine, doch das Gegenteil ist richtig, soweit es die Frauen betrifft, und nein, von den weiteren bemühten Verwicklungen wollen wir gar nichts wissen.

Was mit zunehmender Dauer des Films ebenfalls stört, ist die teils locker hingeworfene, teils schmierige sexistische Grundierung. Welche Leute möchte man damit erreichen? »Sex sells«? Und wie komisch ist es, die Zuschauer am Neujahrstag mit Szenen aus einem Swinger-Club zu amüsieren? Ein Mann, wie furchtbar lustig, rennt nackt durchs Leichenschauhaus.

Neunzig Minuten klebriger Film…

Ach je, das ist thematisch unendlich langweilig. Das ist das eine. Das andere ist das verkrampfte Bemühen, das Geschehen als einen hübsch klamottigen Schwank zu inszenieren. Dazu gehört selbstverständlich auch der beschwörende Hinweis auf »ganz fiese Typen: Krimtartaren«, oh je, lustig lustig. Krim? War da was? Hm. Der irre Iwan? Politik für Klippschüler, vulgo: für bildungsferne Schichten, auch das noch.

Und wozu sollte das nun gut sein? Gediegene Unterhaltung? Schlüpfrig und gefühlt zeitgemäß? Ein Vorbote der närrischen Tage? In Weimar? Oder doch lediglich neunzig Minuten des Neujahrstags mit Film verkleben? Schade eigentlich. Und enttäuschend, dass durchaus respektable Darsteller sich auf rufschädigende Drehbücher einlassen.

… und ein Vorschlag, das Problem zu händeln

Vielleicht, da läuft in Kürze eine Serie an, ›Unter Gaunern‹, Vorabendprogramm, ab Dienstag, 27. Januar, das ist ein vielversprechender Schwank, die Tochter der Schulzens, die auf ihre generationenübergreifende Ganoventradition große Stücke halten, Familienehre muss sein, das Töchterchen besteht die Abschlussprüfung an der Polizeischule mit Glanz und Gloria, wie unsäglich peinlich, das Schwarze Schaf der Familie.

Und die übrigen Schulzens haben keine Ahnung von nichts, da kommt Spannung auf. ›Unter Gaunern‹ ist nicht einmal so hemmungslos klamottig wie unser ›Irre Iwan‹ – vielleicht lässt man beim ›mdr‹ die Kirche im Dorf und dreht zur Abwechslung mal einfach wieder ›TATORT‹, und falls dennoch eine/einer lieber Schwank will und quietschvergnügte Filme drehn, die/den lobt man dafür und empfiehlt sie/ihn wärmstens weiter ins Vorabendprogramm?

| WOLF SENFF

Titelangaben
TATORT: Der Irre Iwan (Mitteldeutscher Rundfunk)
Ermittler: Christian Ulmen, Nora Tschirner
Regie: Richard Huber
Do., 1. Januar, ARD, 20:15 Uhr

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Krass kann hilfreich sein

Nächster Artikel

Roh ist das neue Vegan

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Die Oper des 20. Jahrhunderts schlechthin

Film | DVD: Alban Berg – Lulu Nur zwei Jahrzehnte liegen zwischen der Entstehung des Rosenkavaliers und der Fragment gebliebenen Lulu. Was aber bei der Oper von Richard Strauss irritiert (und manche Fans gerade begeistert), dass Hugo von Hofmannsthal ein völlig anachronistisches Libretto beigesteuert hat, trifft auf Alban Bergs zweite Oper nicht zu: Hier haben mit Wedekinds Stück, das er aus seinem Erdgeist und der Büchse der Pandora kombiniert hat, und der Komposition des Schönberg-Schülers zwei Kunstformen zusammengefunden, die auf der Höhe der Zeit standen und bis heute den Anspruch der Modernität bewahrt haben. Von THOMAS ROTHSCHILD

Durchgeknallte Freundeskreise

Film | TV: Tatort – Todesspiel (SWR), 19. Januar Eine Clique um die Dreißig, Konstanzer Boheme, bunt zusammengewürfelt; wer auf sich hält, ist dabei: Vom steinreichen Privatier über Boutiquenbesitzerin und Hedgefondsmanager zum Superstarwettbewerbszweitplatzierten bis zur traumatisierten, abgelegten Ex in der Klinik – sortiert von einer Kommissarin Blum (Eva Mattes), die zielstrebig und unbeirrbar ermittelt wie eine, Kompliment, Miss Marple at her best. Auf so tragfähigem Fundament wurde TATORT seit gefühlten Ewigkeiten nicht gedreht. Man vergisst zu schnell. Von WOLF SENFF

Schluss mit Reha, Frau Odenthal!

Film | Im TV: ›TATORT‹ Die Sonne stirbt wie ein Tier (SWR) Zum Krimi diesmal kein Wort, nein, zuallererst ist das ein Film, der mit Gewohnheiten bricht. Lena Odenthal, völlig verändert, ist auf Reha, sie häutet sich. Nein, sympathisch. Doch nicht allein Odenthal und Kopper (der telefoniert mit Maria in Italien und wie frech ist denn das, dass sie uns das nicht übersetzen), das Drehbuch wirft massiv schillerndes Personal in die Handlung. Von WOLF SENFF

Unprätentiös…

Film | Im TV: Kalter Engel (MDR), 4. November …kommt er uns auf den Bildschirm, und das ist ein denkbar guter Einstieg für Erfurt. Eine mitreißende Eröffnungsszene, dramatisch mit Musik unterlegt. Klar, dass diese Verfolgungsjagd erfolgreich endet. Von WOLF SENFF

Vor den »Kindern des Olymp«

Film | DVD: Hafen im Nebel

Ein Mann, eine Frau und ein Hund entfernen sich nach hinten in die öde Landschaft eines Hafens. Es sind Bilder wie dieses, die die Magie einer Filmkunst prägen, die nahezu ausgestorben und fast vergessen ist. Das Primat der Aktion, der aggressiven Bewegung hat, was man Atmosphäre nannte, verdrängt. Von THOMAS ROTHSCHILD