Kulturbuch | Hochuli: Vegan / De Montalier: Roh
Vielleicht darf‘s nach dem großen Schlemmen mal wieder etwas weniger sein?
Die Rede vom »Falschen falschen Hasen« – einem veganen Gericht, basierend auf zerkrümelten Reiswaffeln – hielt SUSAN GAMPER bis gestern für eine ›urban legend‹. Nun hat sie 400 Gramm veganes Zwiebelmett im Kühlschrank. Aus zerkrümelten Reiswaffeln.
Warum der Brotaufstrich ›Zwiebelmett Plus‹ heißt, wo es doch eher ›Minus‹ heißen müsste, ist mir schleierhaft. Ich habe ihn zubereitet, wie es mir der freundliche Schweizer Koch Philip Hochuli empfahl: Reiswaffeln zerbröseln, lauwarmes Wasser dazu; mit Tomatenmark, Zwiebeln, Senf und Würzdingen würzen. Ich kann (nach der Befragung einiger Testesser – darunter meinem Vater, der immer Butter unter die Leberwurst schmiert) folgende Bilanz ziehen:
* Konsistenz: seltsam, puffig-matschig
* Zwiebeln: zu viel, zu roh … zu lange
* Conclusio: zu viel Irritation, zu wenig Mett
Gekonnt ausbalanciert
Andere der 100 Rezepte in ›Vegan. Die pure Kochlust‹ von Philip Hochuli hingegen sorgen bei veganen und nicht veganen Naschkatzen für helle Freude: Die »Gefüllten Zucchini im Bolognese Style«, zum Beispiel. Dazu die oberleckere »Auberginenpfanne mit roten Linsen«? Und zum Nachtisch eine »Schokomousse«, bei der Veganer, Vegetarier und Flexitarier Arm in Arm dahin schmelzen!
Hochuli empfiehlt in seinem zweiten Kochbuch die vegane Küche als gesund, umwelt-, klima- und tierschützend. Er markiert gluten-, soja- und zuckerfreie Rezepte und ruft uns auf: »Go for Bio!« Seinem Programm, »junge vegane Küche« anzubieten, die »genial unkompliziert« ist, bleibt er treu. Die Rezepte, die uns da aus der Schweiz zuteilwerden, sind schlüssig und sinnvoll konstruiert. Das Kochbuch folgt der üblichen Vorspeisen-Gemüse-Hauptgerichte-Süßigkeiten-Struktur. Es lädt ein, zum Blättern, Lesen und Kochen. Gekonnt balanciert Hochuli vegane Rezeptideen aus: Wir finden Gerichte, die nur auf Gemüse basieren ebenso wie solche, die mit Ersatz für tierische Produkte funktionieren. Als Neuling freue ich mich über die einführenden Hinweise zum veganen Einkaufen, staune über Seidentofu, Edelhefe und Mandelmus (»Must-Have«!).
Gojibeeren! Tierschutz! Gesundheit!
Allein: Vegane Kochbücher, -Blogs und -Vlogs gibt’s momentan zu Hauf. Ob sie nun auf Tierschutz oder Selbstoptimierung (Attila – die-Speerspitze-der-Bewegung – Hildmann) abheben, an Rezepten ohne tierische Produkte mangelt es auch 2015 nicht. Drum fehlt mir bei Hochuli leider etwas: Sein Konzept sei es, »junge, unkomplizierte und vielfältige« Gaumenfreuden anzubieten. Die kommen aber leider etwas vorhersehbar und bieder daher. Neben den überraschenden, mutigen und kreativen Rezepten von Nicole Just zum Beispiel wirken die von Hochuli nicht »unkompliziert« sondern brav und langweilig.
Regale in Buchhandlungen biegen sich unter aberdutzenden von Büchern zu Cakepops und Steaks, zum Selbsteinkochen und Selbsträuchern. Zum allgemeinen Interesse, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, sich für gute Zutaten, gutes Zubereiten und ein gutes Leben zu begeistern, passt auch der Trend zu veganer Ernährung. Längst kann man in Discountern Sojabratlinge erwerben. Das Getreide muss nicht mehr zuhause von Hand gemahlen, die Nussmilch nicht selbst durchs Leinentuch gewrungen werden – wozu gibt’s Biomarkt-Ketten? In jeder mittelgroßen Stadt sind Zutaten und Equipment erhältlich, Absonderliches (Gojibeeren!) mindestens im Internet. Mit der Verfügbarkeit und der gesellschaftlichen Erwünschtheit (Tierschutz! Gesundheit!) stieg die Akzeptanz des veganen Lebensstils auch im wenig urbanen Raum. Selbst in der waldlichen Heimat, in der noch vor zehn Jahren auf Vegetarier mit dem Finger gezeigt wurde (»Isst keine Wurst!«), erntet man heute mit dem Verzicht auf tierische Produkte eher Interesse als Gespött.
Genuss und Experimentierfreude
Ungläubiges Staunen löst nun ein Bekenntnis zur rohen Ernährung aus. Wer weiter gehen will, wem vegetarisch und vegan zu mainstreamig sind, dem sei empfohlen, sich der Rohkostbewegung anzuschließen. Diese ist natürlich vielfältig: Die meisten setzen auf vegane Ernährung, manchen schmeckt allerdings auch Fisch- und Fleisch-Tatar. Anhänger der Urkost-Diät naschen mitunter Moos – alle Rohköstler vermeiden verarbeitete und erhitzte Nahrungsmittel. Die Idee dahinter: Ab etwa 40 Grad werden Enzyme usw. im Essen zerstört. Ziel ist es, Natürliches, Energiereiches zu sich zu nehmen – Nahrung soll »living and raw« sein.
Auch dafür gibts natürlich Hilfestellung: In den Untiefen des Internets finden wir Hilfe, Informationen, Rezepte und sogar Partnerbörsen. Buchhändler haben esoterische, politische, fröhliche und einladende Angebote für die »RawVolution« – eines sei hier empfohlen:
Die Kochbuchautorin Delphine De Montalier ist keine Rohköstlerin. Mit »Roh« lädt sie uns ein, unsrem Körper und Geist Gutes zu tun. Sie selbst will sich »gesund ernähren, die besten Produkte verwenden, den authentischen Geschmack von Früchten und Gemüse wiederfinden und aus dem Vollen der Natur schöpfen.« Sie empfiehlt uns regionales und saisonales Einkaufen, gibt Vorratstipps (nicht-pasteurisierter Honig, Tamari-Sojasoße) und Hinweise zu Geräten und Werkzeugen (Saftpresse, Dörrgerät). Sie erläutert, wie man Sprossen selbst zieht und wie man mit rohem Fisch und Fleisch umgeht. Denn ja: Frau De Montalier präsentiert in ihren ›115 Rezepte(n) – unverfälscht und natürlich‹ auch nicht-vegane Gerichte. Eine ganze Menge sogar. Für manche Neugierige mag‘s eben doch ein Klecks Sahne oder ein Eckchen Chorizo sein. Einige Gerichte werden leicht erwärmt oder kurz gebraten – charmant: Hier stehen offensichtlich Genuss und Experimentierfreude im Vordergrund. Rezepte, die komplett roh sind, sind dann aber (gut mitgedacht!) entsprechend markiert.
Wie schön: Ich fühle mich direkt motiviert, Neues auszuprobieren (»Ententartar mit Khaki«). Vertraute Genüsse werden liebevoll inszeniert (»Rohe Rote Beete, Walnuss und Grapefruit«) und süße Leckereien (»Ananassorbet mit Salbei und Ingwer«) machen Lust auf mehr. Das entspannte Layout und die liebevollen Illustrationen von Jane Teasdale machen ›Roh‹ zu einer Augenweide. De Montaliers persönliche Tipps und Hinweise zu den Rezepten, die guten Ideen der Gast-Rezeptlieferanten (allesamt hochsympathische französische Köchinnen und Köche) runden den Eindruck ab: Hier hat man eines der guten Bücher in den Händen. Ohne Missionseifer, mit viel Kreativität holt es mich ab, nimmt es mich mit und ist es mir ein guter Freund beim Erkunden des Ungekochten.
Titelangaben
Für Einsteiger:
Philip Hochuli: Vegan – die pure Kochlust
Junge vegane Küche, genial unkompliziert
Aarau und München: AT Verlag 2014
200 Seiten. 19,90 Euro
| Leseprobe
Für Ausprobierer:
Nicole Just: La Veganista
Lust auf vegane Küche
München: Gräfe und Unzer 2013
192 Seiten. 16,99 Euro
| Leseprobe
Für Experimentierfreudige:
Delphine De Montalier: Roh
115 Rezepte – unverfälscht und natürlich
(Aus dem Französischen übersetzt von Barbara Buchwalter)
Aarau und München: AT Verlag 2014
257 Seiten. 24,90 Euro