Kulturbuch | Attila Hildmann: Vegan for you(th)
Attila Hildmann hat eine Mission: Unsterblichkeit. Tatsächlich unvergessen wird er sein, als der Mann, der der veganen Community ein Gesicht gab, und was für eines: Fit und frisch, stark, glücklich – und irre jung. Nachdem in bisherigen »Challenges« schon der Trübsinnigkeit (›Yegan for fun‹, 2011) und der Moppeligkeit (›Vegan for fit‹, 2012) der Kampf angesagt war, widmet sich Hildmann nun mit ›Vegan for you(th)‹ tatsächlich dem Endgegner. Von SUSAN GAMPER
Der Dreißigjährige sendet schon seit zehn Jahren auf allen Kanälen: Vegane Rezepte im Onlineportal, erste Kochbücher (›Vegan Kochbuch Vol. 1‹ bis ›Vol. 3‹), Kochshows live und via Youtube, Kochkurse und Medienpräsenz von ›Schrot&Korn‹ bis ›TV Total‹. Er hat es geschafft aus seinem Lebenstil eine Marke zu machen – inklusive Logo und Credo: »Vegan, Fitness, Livestyle, Spaß«.
Gefeiert wird der »zukünftige Kultkoch« als Shootingstar der veganen Szene. Die Szene selbst sieht’s kritisch: Geht es Hildmann doch mehr um die Optimierung des Einzelnen, als um ethisch-moralische Überzeugungen. Auch in ›Vegan for youth‹ werden Tierrechte, Umweltschutz usw. eher am Rande thematisiert. Das Buch kreist um die Frage: »Ist Altern heilbar?«, bzw. die Feststellung, dass dem so ist. Hurra! Schlüssel zum Glück ist die Hildmann’sche »Triät« aus pflanzlicher Ernährung, Sport und Meditation.
Schokolade, Matcha-Tee und Cabernet Sauvignon
Natürlich gilt Attila Hildmann Dank und Respekt dafür, dem Verzicht auf tierische Produkte einen neuen Drive verpasst zu haben. Eine tolle Idee, breitenwirksam und niederschwellig – gleichzeitig auch strukturiert und motivierend ein Programm zur Steigerung der Lebensqualität anzubieten. Klug, das ganze multimedial aufzubereiten: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die »Challenger«, können ihren eigenen Fortschritt (auch öffentlich) dokumentieren und rückmelden – dienen so wieder als Multiplikatoren für’s Konzept. Die entstandenen Vorher/Nachher-Bilder erinnern verdächtig an bekannte Abbildungen in Dauerwerbesendungen und Magazin-Annoncen (»Ab-Master« und Co.) – und sollen beweisen: Es ist möglich! Glück, Fitness und Jugend – nur eine Challenge entfernt.
In ›Vegan for youth‹ benennt der Autor, den Regeln des Storytelling folgend, zunächst die »Brandherde«: Kahle Stellen auf dem Kopf, Augenringe und ähnliche Unbill. Hildmann ist nicht nur Physikstudent (eine Abbildung der Vordiploms-Urkunde findet der geneigte Interessent auf seiner Website) sondern augenscheinlich auch Liebhaber von Grafiken mit Null-Aussage. Ein schick/gruslig mit Totenkopf verziertes Tortendiagramm teilt uns die Aufteilung der Sterbefälle 2011 (»Deutschland, Gesamtbevölkerung«) mit: 32.988 mit Ursache »Fremdeinwirkung« und (Obacht!) 432.074 »Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ernährungsbedingt«. Oje! Wir sterben wahrscheinlich am Essen? Wie gut, dass Attila Hildmann für uns »In Sachen Wissenschaft« unterwegs ist. Er »durchstöberte […] unzählige Publikationen«, um in seinem Buch die wichtigsten Alters-Theorien zu präsentieren – und gleich auch die Möglichkeiten der »Technik gegen das Altern«. Wichtigste Helferlein sind dabei wohl »Superfoods«, Antioxidatien und Lebensmittel mit hohem ORAC-Wert (dieser misst die Fähigkeit, freie Radikale zu absorbieren). Ein Tipp an dieser Stelle: Naschen Sie dunkle Schokolade, trinken Sie Matcha-Tee und ab und an ein Gläschen Cabernet Sauvignon.
Pizza Margherita mit Mandelmozza
Ein weiteres Kapitel – das ganze Programm fußt ja auf Wissenschaftlichkeit – widmet sich der Frage »Wie man Verjüngung wissenschaftlich messen kann«. Sie ahnen es bereits: Hildmanns »Youth-Challenge« bringt die »Unsterblichkeit in greifbare […] Nähe«.
Was man dem Autor zugestehen muss: Er lässt nichts unversucht, um zu überzeugen. Glaubhaft, seine Aussage »Aus jeder Zeile dieses Buches spricht meine Seele.« – rührend die Reiseberichte aus Japan und Italien. Hier war er »Auf der Suche nach den 100-jährigen«, lernte freundliche alte Menschen kennen, fachsimpelte mit Mönchen über vegane Küche und sprach mit ihnen über den Tod des geliebten Haustiers. »An diesem Tag kamen viele Emotionen an die Oberfläche.« Weil er so sympathisch und ehrlich wirkt, dieses Buch scheinbar aus tiefster Überzeugung geschrieben hat, möchte man ihm seinen zuweilen arg anstrengenden Sendungsdrang verzeihen. (Aber müssen denn die einzelnen Schritte der Vorbereitung zur »Triät« wirklich »Mission« heißen?) Man könnte zum Beispiel hier auch darauf zu sprechen kommen, dass in ›Vegan for youth‹ natürlich eine ganze Menge prima Rezepte ohne tierische Produkte zu finden sind. Hildmann präsentiert vegane Klassiker inspiriert und attraktiv, er kombiniert frische Zutaten zu spannenden Kreationen. Man liest seine Lust am Genießen heraus und fühlt sich eingeladen, es ihm gleich zu tun. Getestet und (zugegebenermaßen überrascht) für ausnehmend lecker befunden: »Pizza Margherita mit Mandelmozza«.
Schließlich ist’s aber doch nicht nur ein Kochbuch, sondern eine Diät- … Verzeihung! »Triät«-Anleitung mit allen Schwächen, die dem Genre anhaften. Sehr beeindruckend ist sie zwar, die große Attila-Hildmann-Show. Das Gesamtpaket wirkt makellos – durchorganisiert, durchgestylt, durchoptimiert. Leider, leider ist’s alles bei genauem Hinsehen weniger beeindruckend und die »Challenge« läuft auf folgende grundsätzliche Aufforderungen hinaus:
Ernähr dich bewusst mit viel Obst und Gemüse.
Beweg dich an der frischen Luft.
Geh mal in dich und ruh dich aus.
Titelangaben
Attila Hildmann: Vegan for you(th). Die 60 Tage Attila Hildmann Triät
Hilden: Becker Joest Volk 2013
288 Seiten. 29,95 Euro
Reinschauen
| Homepage zu Attila Hildmann: Vegan for you(th)
| Homepage von Attila Hildmann
| Sehnsucht nach Kraut – Susan Gamper zu Sohyun Jung: Vergiss nicht das Salz auszuwaschen