Film | Im TV: ›TATORT‹ – Das verkaufte Lächeln (BR) 28. Dezember, 20.15 Uhr
Kinder sind ein heikles Thema. Enorm vorbelastet, Kinderschänder und so, aber manche Themen werden eben überstrapaziert. Kinder kommen ebenfalls gut im Drehbuch, wenn das ausgewachsene Publikum gerührt werden soll, gab’s alles, hatten wir neulich erst, so mancher Sender barmt um sein Profil zwischen Qualität und Quote. Von WOLF SENFF
»Er hat eine Homepage gehabt, auf der hat er sich im Internet präsentiert. Für ein Abo von zehn Euro im Monat hat man dann Zugriff auf Bilder und Videos von ihm, nackt, aber jetzt kommt’s noch besser, er hat sich bei verschiedenen Online-Händlern eine Wunschliste eingerichtet, und da kann man ihm dann was schenken, und dafür hat er vor der Webcam gemacht, was die wollten«, er hatte Hunderte Kunden, die Eltern wussten von nichts, und nun gilt es aufzuklären, wer Tim Kiener, vierzehn, ins Jenseits beförderte.Dieses Spiel hat niemand im Griff
›Das verkaufte Lächeln‹ serviert uns das Kinderschänder-Thema aus anderem Blickwinkel, und zwar als einträgliches Geschäft für die Jüngst-Unternehmer mit pfiffigem Gespür für die Ordnung der freien Marktwirtschaft. Es geht um selbst verdientes Geld, und zwar mehr als die Mutter nach Hause bringt, die für läppische acht Euro die Stunde bei der Tanke arbeitet.
Das ist eine Welt, die nicht nur den Jungs, sondern auch den Erwachsenen über den Kopf wächst, dieses Spiel hat niemand im Griff, das zeigt uns ›Das gekaufte Lächeln‹, nahezu alles läuft aus dem Ruder, und da war dann, Geschäftsrisiko, der Sensenmann nicht weit.
Schwarzmalerei aus Bayernland
Unheimlich ist der Film schon. Wir sind ja immer gern dabei, jemanden für schuldig zu erklären, irgendeiner ist immer der ›Kinderficker‹, der Fall liegt endlich klar zutage, wir lehnen uns erleichtert zurück und gehen beruhigt zur Tagesordnung über. ›Das verkaufte Lächeln‹ spielt da jedoch nicht mit. »Manchmal bin ich mir nicht mehr sicher, wer hier Opfer und wer Täter ist« (Franz Leitmayr).
Dieser ›TATORT‹ führt uns eine zerrüttete Welt vor, in der gar nichts zueinander passt. »Kinder an die Macht«? Welch sentimentaler Quatsch. Aber die Erwachsenen verstehen die Welt auch nicht, geschweige denn dass sie sich in ihr zurechtfänden oder auch nur ihr eigenes Leben sortieren würden. Schwarzmalerei aus Bayern? Apokalypse zwischen den Jahren?
Niemand geht schadlos von dannen
Nein, ein ›TATORT‹ at its best. Er wirft ein Thema auf, über das unsere Leitmedien schweigen, die großbuchstabigen genau wie die mit seriösem Outfit, sie wollen ja keinesfalls das Medium Internet in Misskredit bringen, mitgefangen wäre mitgehangen. Der Film weist darauf hin, dass neue Armut bzw., wie es politisch korrekt heißt, prekäre Lebensumstände für diese Zustände mitverantwortlich sind. Nein, Antworten liefert er nicht, wie denn auch.
Ach, zum Film selbst. Das Personal ist ja nicht unbekannt, Ivo Batic und Franz Leitmayr zicken herum wie ein lange verheiratetes Ehepaar, man kennt das und schätzt es, der neue Assistent beflügelt. Die Szenenwechsel sind oft sehr dicht, schnelles Sprechen scheint zurzeit trendy zu sein, auch dämmeriges Licht gibt’s gern und ist halt, muss das wirklich sein, ein feines Löffelchen Grundschulpädagogik, um die Zuschauerlein auf Trab zu halten.
Die Handlung selbst verläuft zügig, ohne Extravaganzen, mehrere Verdächtige werden abgearbeitet, wie es sich gehört, der Schluss ist sehr elegant in die Länge gezogen. So positiv wir das vom filmischen Blickwinkel finden mögen, so deprimierend ist es inhaltlich, niemand geht schadlos von dannen, ›Das verkaufte Lächeln‹ wirft einen krassen Blick auf unser Leben, manchmal ist das hilfreich und öffnet uns die Augen.
Titelangaben
›TATORT‹ Das verkaufte Lächeln (Bayrischer Rundfunk)
Ermittler: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec
Regie: Andreas Senn
Zweiter Weihnachtstag (Fr., 28. 12.), 20.15, ARD