Das Auge leuchtet, das Leben gelingt

Film | Präsentation der Kinderserie »Die Abenteuer des jungen Marco Polo« (Kika von ARD&ZDF/MDR, täglich ab 1.12., 19.00 Uhr)

So weit, nein, so weit ist es nicht, dass wir hier Kinderprogramme rezensieren würden. Nun denn, man sollte nichts für alle Zeiten ausschließen. Marco Polo übrigens war eine interessante Figur. Er öffnete, wie man heute formulieren würde, neue Märkte, damals für Venedig, und brach im zarten Alter von siebzehn zu seiner großen Reise auf. Von WOLF SENFF

filmstreifen_500
Er war ein Aufschneider und ein Prahlhans, der seinesgleichen sucht, er berichtet uns u.a. von seiner Erkrankung im afghanischen Wakhan-Streifen zwischen Pamir und Hindukush. Diese Geschichte wird ihm heutzutage nicht mehr abgenommen. Eine abgelegene Gegend wie den Wakhan-Streifen könne er nicht besucht haben. Gut, gut, so kennen wir sie ja, unsere Reichen und Schönen, unsere weltläufigen Schwätzer, unsere Finanzanalysten. Sie prahlen und reden die Sterne vom Himmel herunter. Daran orientiert, hätte dem MDR also eine aufschlussreiche Serie gelingen können. Hätte, hätte, Fahrradkette.

Schulfunk relaunched

Ehrlich gesagt, die Serie vergessen wir lieber. Einfallslose, hübsch bunt kolorierte, nett gefällige Figuren. Zwischendrin wird auch mal schulfunkmäßig erläutert. Taijiquan wird als eine Kampfkunst beschrieben. Ist ja nicht falsch. Dennoch triffts nicht zu, vor allem wenn man den Anspruch dieser Serie bedenkt, die verschiedenen Kulturen einzubeziehen, die Marco Polo auf seiner Reise kennenlernte.

Taijiquan war in China immer eine sogenannte innere Kampfkunst, und das zu erläutern, wäre über den banalen Schau-wie-ich-dich-verprügeln-kann-Effekt hinaus spannend gewesen. Wenn denn die eine Folge, die anlässlich der Präsentation gezeigt wurde, repräsentativ sein soll (wovon man ausgehen darf), ist eines deutlich: Den Intellekt der Kinder regt diese Serie nicht an, sie ist unbedarft, sie kann es nicht. Das zeigt sich genauso am niedrigschwelligen Witz, an den öden Dialogen, an den flachen Figuren, an der langweiligen, fröhlich-lausbübischen Handlungsführung.

Beauty is only skin deep

Erwähnenswert ist aber die Veranstaltung, die dazu diente, die Serie einem geladenen Publikum vorzustellen, wobei dieses Publikum zur Hälfte aus den Beteiligten selbst bestand. Klar, dass man vorhatte, vor allem sich selbst zu feiern. Reichlich Gelegenheit zur Selbstdarstellung auch für MotionWorks/Halle.

Präsentation also im Allerheiligsten, Berlin-Mitte, in der Landesvertretung Sachsen-Anhalts beim Bund. Doch beauty, wissen wir seit 1966 von den Temptations, is only skin deep, und im Podiumsgespräch taten sich Abgründe auf.

Über den Film wurde gar nicht geredet. In einem kurzen Beitrag, der das Gespräch einleitete, wurde auf einzelne Lacher im Publikum hingewiesen als einen Beleg dafür, wie humorvoll der Filmbeitrag doch gewesen sei. Zum künstlerischen Konzept? Nichts. Ja, gewiss, man zeigte einen Making-of-Clip, der erklärte, wie die Animation nach und nach entstanden war, also einen Wie-schnitze-ich-mir-eine-Serie-Beitrag. Aber warum so und weshalb so? Nein, kein Wort.

Nun könnte man beleidigt sein und sich fragen, ob uns da jemand hat für dumm verkaufen wollen. Doch nein, das ist es nicht. Eher muss man wohl allen Ernstes davon ausgehen, dass diese Leute zutiefst dumm sind. Sie plappern daher, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.

Auf dem Podium, länger als eine Stunde, breiteten sie die Finanzierung dieser Serie aus, runde fünf Millionen, und dass Sachsen-Anhalts Beitrag bei sechshunderttausend liege, ein beträchtlicher Betrag komme aus EU-Mitteln und und und … Das waren, am Thema vorbei, die hohen Minuten der Erbsenzähler. Und? Wen interessierts?

Erbsenzähler, Prahlhänse, Belanglosigkeiten

Ebenso wichtig war ihnen der Hinweis auf die pekuniär aufstrebende Medienlandschaft Sachsen-Anhalts im Verbund mit Sachsen und Thüringen. Ist Erfurt eine Medienhauptstadt? Aus welchen Gründen siedelt man sich in Halle an? Oh Mann. War nicht Präsentation der Serie angekündigt? Zur Gestaltung der Serie wusste keiner der noblen Damen und Herren etwas zu sagen. Den Fünfen kam nicht in den Sinn, wie abgrundtief peinlich ihr Auftritt war. Peinlich? Wir? Ach, Ästhetik? Ach, künstlerische Gestaltung? Was ist das? Wolf-Dieter Jacobi, Fernsehdirektor des MDR, wies als Einziger darauf hin, dass er sich vorbereitet habe, über den Film zu sprechen, doch keiner griff den Hinweis auf, und das wars dann dazu.

Drei Folgen seien hier im Lande produziert worden, wurde gesagt, viele in Ungarn, einige in Kanada, und wie stolz man auf diese internationale Grundlage sein dürfe. Auf der Messe! in Cannes! sei die Serie jetzt schon auf internationales Interesse! gestoßen. Tja, so ging es weiter, diese Art verblendeter Triumphalismus prägte den letzten Teil des Abends, bevor man zum Empfang mit warmer Verköstigung schritt. Man klopfte einander auf die Schultern, und die internationale Kooperation wurde als ein Beweis dafür angeführt, dass die Serie gut sei.

Doch so ist es nicht, keineswegs. Wer diese ausgewählte Folge sah, der weiß, wie miserabel sie ist und dass sie weder künstlerischen noch zeitgemäßen pädagogischen Ansprüchen genügt. Auch witzig geht anders. Ein boshafter Rezensent würde schreiben, so sei halt die Kunst aus Erfurt und Halle. Zum Glück weiß man, dass der MDR auch anders kann, und freut sich auf die beiden neuen TATORT-Produktionen.

Doch der smarte Geschäftsmann, von denen mehr als genügend Exemplare herumvagabundieren in diesem Land, dreht uns aus jeder Belanglosigkeit einen kommerziellen Erfolg, und die Fünfe, die auf dem Podium saßen, darf man getrost zu diesem Menschenschlag zählen. Das Auge leuchtet, das Leben gelingt, sobald die Münze im Säckelein klingt.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Die Abenteuer des jungen Marco Polo (MDR/KiKa)
Präsentation am 8. Oktober
Sendung täglich ab 1. 12., 19:00 Uhr

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sie wollen doch nur spielen…

Nächster Artikel

Neu und frisch aus Magdeburg jetzt; aus Erfurt in Kürze

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Mutti! Entführt!

Film | TV: TATORT – Fette Hoppe (MDR), 26.12. Man sitzt davor und überlegt noch, ob man lachen soll. Trockene Dialoge. Das um einen Bruchteil hinausgeschobene Zögern, bevor geredet wird. Schräge Figuren. »Die Frau strahlt so eine unbestimmte Zugänglichkeit aus – was sicher manchen Mann moralisch erneuern könnte«. Hans Bangen (Wolfgang Bauer) sieht aus wie ein Hans im Glück, der ein Schwein gegen den Erfolg im Casting getauscht hat. Bogdanskis Ohren sind nicht lustig, aber gut sichtbar und originell. Von WOLF SENFF

Oh Mannomann

Film | Im TV: Tatort – Freddy tanzt (01. Feb. 2015) Hikikomori, ja, Menschen, die sich völlig zurückziehen, den Kontakt außerhalb der Wohnung auf absolutes Minimum oder auf Null reduzieren, dann wird ihnen morgens Milch, auch Brötchen und Scheibe Käse von Restfreund oder Familie vor die Tür gestellt. Japan. Das ist schon ein merkwürdiges Haus, auf das Ballauf und Schenk schließlich ihre Ermittlungen konzentrieren. Katja Petersen im obersten Geschoss ist so ein Typ à la Hikikomori, hat aber für ihren Rückzug auch andere Gründe. Von WOLF SENFF

Die Alternativen sind kaum vielversprechend

Film | Japan-Filmfest Hamburg ›Spinning Kite‹ Samstag, 31. Mai, 13:00 Uhr, Metropolis-Kino Mit ›Heavy Metal‹ wird eröffnet, ›Coming of Age‹ heißt das Genre, sein Thema: die Initiation, das Erwachsenwerden. Nach ihrem Gig sitzen Maki, Kido, Jun und Bunji in der Kneipe, das lässt sich gut an. Sie torkeln durch nächtliche Straßen und schlafen auf einem Kinderspielplatz ihren Rausch aus. Nun sind wir neugierig. Von WOLF SENFF

Cyber-Alptraum oder nahe Zukunft?

Film | Im Kino: Ghost in the Shell Was macht einen Menschen aus? Braucht man ein organisches Herz, um menschlich zu sein? Oder reicht das bloße Gehirn? Ist es die Sterblichkeit – oder sind es die Erinnerungen, die den Menschen von der Maschine unterscheiden … wird es bald keinen Unterschied mehr geben? ANNA NOAH über die Realfilm-Adaption des Cyberpunk-Anime-Klassikers Ghost in the Shell.

Es wird sich schon alles fügen

Film | Fimfestival Mannheim-Heidelberg. Reykjavik: Ein Film von Ásgrímur Sverrisson, Island Immer wieder hat es Filmbe- oder verurteilende gegeben, die irgendwann meinten, sie könnten es auch, möglicherweise sogar besser als diejenigen, deren Arbeit sie analysierten, bewerteten. Häufig ist es schief gegangen, sind mäßig intelligente oder auch wenig unterhaltsame Streifen zusammengedreht und auch -geschnitten worden. Andererseits überwiegen die aus dem Aufbegehren der Theoretiker hervorgegangenen absoluten Größen, die gegen diejenigen anschrieben, die häufig literarische Stoffe blutleer und lustlos verfilmten. Von DIDIER CALME