Film | TATORT – Eine andere Welt (WDR), 17. November
Soll man anfangen mit den Peinlichkeiten Fabers (Jörg Hartmann), die uns befristet aufregen dürfen, bis wir uns am Zügel einer souveränen Regie (Andreas Herzog) hinreichend aufmerksam, erleichtert gar, der Handlung zuwenden? Hm. Ebenso überzeugend ist die Idee, Bildfolgen von Nadine Petzokats (Antonia Lingemann) Mobiltelefon leitmotivisch einzuspielen und damit dem Geschehen ein Gerüst zu verleihen, originell und tragfähig, das die Ereignisse faszinierend ätherisch ausbalanciert. Von WOLF SENFF
Ein TATORT auf anspruchsvollem Niveau. Die 16-jährige Gymnasiastin Nadine Petzokat wird tot aus dem Phoenixsee gezogen, sie scheint vor ihrem Tod vergewaltigt worden zu sein. Die Tote ist auffällig teuer gekleidet, obwohl sie aus einfachen Verhältnissen stammt. Nadines beste Freundin Julia Nowak (Matilda Merkel) feierte mit ihr in der Nacht vor der Tat in einem noblen Club Geburtstag. Ein TATORT im Dunstkreis der Reichen und Schönen.
Eine andere Welt arbeitet auch weiter an der Figur Faber. Er erhält Hinweise, dass es sich beim Tod von Frau und Tochter nicht um einen Unfall, sondern um Mord handelte. Auch diese Erzählung wird nur bis etwa zur Hälfte des Films geführt, anschließend bleibt das Geschehen auf den aktuellen Fall konzentriert.
Einfach nur wortkarg
Dieser TATORT ist ruhig geführt, die Musik (Martin Tingvall) treibt uns nicht und drängelt nicht, sondern sie untermalt, die Dialoge sind, zumal Faber eh nicht zu Schwatzhaftigkeit neigt, reduziert, und wenn man gut zuhört, staunt man, wie dicht der sprachliche Ausdruck gestaltet ist. Es ist ja nicht so, dass lediglich Worte weggelassen werden, sondern es liegt eine hohe Kunst darin, »einfach« »nur« das Wesentliche auszusprechen (Buch: Jürgen Werner). »Ihnen brennen schnell die Sicherungen durch, kann das sein?«, fragt Faber einmal und bleibt sekundenlang still, als falle ihm auf, dass er diese Frage ebenso gut sich selbst stellen kann.
Aus solchen Feinheiten bezieht Eine andere Welt Amüsement und Spannung. Das ist jedoch eine qualitativ andere Spannung als die, die unsere fünfzigjährigen Hamburger Heroen mit ihren lärmenden Auftritten und ihrem Pistolengeballer herbeizaubern möchten (in Kürze wieder in Mord auf Langeoog zu besichtigen). Eine andere Welt leistet es sich, seine Figuren in sensiblen Situationen schweigen zu lassen; dann öffnet sich unweigerlich ein Blick in seelische Abgründe, etwa als der verdächtigte Heinz Petzokat (Markus John) sich weinend an Fabers Schulter lehnt. Eindrucksvoll auch die Szene, als die Eltern vom Tod ihrer Tochter erfahren; lange hat man nicht mehr so aufrichtig, so glaubwürdig dargestellte Trauer gesehen. Im TATORT agieren in letzter Zeit entschieden zu viele hirnlose Haudrauf-Akteure bzw. – TATORT drängt auf Diversifizierung – dandyhafte Camp-Charaktere. Bekömmlich ist das nicht.
So droht es, eintönig zu werden
Kommissar Faber simulierte schon letztes Mal den Tathergang mithilfe seiner Kommissarskollegin Martina Boenisch (Anna Schudt). Wer es kennt, wird es allmählich lustig finden. »Der Slip bleibt, wo er ist.« Faber schaltet, ohne es wirklich zu registrieren, dem Lover seiner Kollegin den Saft ab, und später gibt sie dem den Laufpass. Wir kennen Polizeirufe/TATORTe, in denen die Figuren auserzählt wirken – auf diesen Dortmunder darf man in Zukunft eher gespannt sein.
Inhaltlich geht es diesmal um aufgeblasenes Jungvolk aus den Etagen des Mammons, es geht um Neid, um soziale Aufstiegsträume aufgebrezelter Mädels. Seit Längerem schon sehen wir beim TATORT vorzugsweise Kinder, Jugendliche, Frauen als Opfer, inclusive Anwendung sexueller Gewalt, junge Männer vorzugsweise als Gewalttäter und Neonazis.
Kriminalität bleibt ein weites Feld. Gemordet wird im Kontext von Doping und Drogen, bei Wettbetrug, bei dunklen Finanzgeschäften, bei Spionage, in mafiosen Strukturen, bei Korruption, aus purer Rachsucht usw. usf. – es gibt eine schier unüberschaubare Palette an Verbrechen, da wäre TATORT-Vielfalt angebracht, weil sonst auch hervorragend gemachte Filme eintönig blieben.
| WOLF SENFF
Titelangaben
TATORT: Eine andere Welt (WDR)
Regie: Andreas Herzog
Ermittler: Jörg Hartmann, Anna Schudt
So., 17. 11., ARD, 20:15 Uhr
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Gregor Keuschnig zu Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon
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