Sie wollen doch nur spielen…

Film | Neu im Kino: Spieltrieb

Am 10. Oktober läuft die mit Spannung erwartete Verfilmung von Spieltrieb in den Kinos an. Juli Zehs Roman um zwei Jugendliche im Strudel von Liebe, Begierde und Manipulation machte 2004 Furore. Nun ist Regisseur Gregor Schnitzler (Resturlaub, Soloalbum) eine eindrückliche Umsetzung des Bestsellers gelungen – vor allem dank seiner beiden jungen Hauptdarsteller. Von VOJKO HOCHSTÄTTER

Spieltrieb Kinolplakat
Mit luzidem Blick behält Schüler Alev (Jannik Schümann) das Display seines Camcorders im Visier, während die 15-jährige Ada (Michelle Barthel) auf der Weichbodenmatte in der Schulturnhalle ihren Sportlehrer (Maximilian Brückner) in sich eindringen spürt. Ihr Gesichtsausdruck vereint gleichsam Teilnahmslosigkeit als auch Mitleid mit dem keuchenden Mann über ihr, der gerade im Begriff ist, seine Existenz zu zerstören. Doch darum geht es in diesem Spiel. Oder wie Alev es ausdrückt: »Er befreit sich aus der Gefangenschaft des Lebens.« Er erkennt sich selbst.
Perfide Szenen wie diese illustrieren, welch glückliches Händchen Gregor Schnitzler bei der Besetzung seiner Hauptrollen hatte. Trotz ihrer jungen Jahre schaffen es Barthel und Schümann mit unverstellter Leichtigkeit, die im Laufe des Filmes zunehmende Intensität in sehr unterschiedlichen Nuancen auf die Leinwand zu bringen, bis zum Kulminationspunkt. Mit etablierten Branchengrößen wie Brückner, Richy Müller oder Ulrike Folkerts in Nebenrollen steht das darstellerische Fundament ohnehin sehr solide.

»Erkenne dich selbst«

Dieser Leitsatz zieht sich wie ein roter Faden durch Schnitzlers Konzept. Zu Beginn steht die Leere. Überfliegerin Ada vermag alleine nicht aus dem Gefängnis ihrer intellektuellen Einsamkeit auszubrechen. Erst mit der Ankunft des ebenso smarten wie attraktiven Alev keimt Hoffnung auf Leben und Liebe in ihr auf. Ihr etwas älterer Schwarm schenkt diesem Wunsch reichlich Nahrung: »In mir steckt so etwas wie die Sehnsucht nach einem Seelenverwandten.«
spieltrieb_big_5Zur wahren Liebe zeigt sich der impotente Alev jedoch physisch und emotional nicht fähig. Mit kaltem Herzen kompensiert er dieses Manko durch seine, von Friedrich Nietzsche inspirierte Theorie vom Spieltrieb – alle Menschen sind Teil des Spiels und beeinflussen sich durch Handlungen gegenseitig. Altruismus ist nicht vorgesehen, und das Opfer rasch ausgemacht: Sportlehrer Smutek, dessen verstörter Blick auf Adas BH nach dem Schulsport seine unterdrückte Begierde offenbart.
Gut gehen kann es freilich nicht, wenn ein hochintelligenter Geist gepaart mit jugendlichen Allmachtsphantasien die Fäden spannt, um eine menschliche Marionette ins Verderben zu treiben. Die arme Seele ist zweitrangig, weil sie austauschbar ist. Herausragend faszinierend ist der ebenbürtige Kampf des Puppenspielers mit seiner Erfüllungsgehilfin.

Modifizierte Figuren

Gregor Schnitzler setzt den Fokus in Spieltrieb auf die sich verändernde Beziehung zwischen Ada und Alev. Philosophie und Moral bilden die Basis. Hieraus zieht der Film seinen hohen Anspruch und unterscheidet sich von der eindimensionalen Darstellung eitler Machtposen wie in Eiskalte Engel. Nebenstränge, wie die Geschichte von Smuteks kranker Frau (Sophie von Kessel), fließen nur beiläufig ein. Sie geben dem Film keine weitere Tiefe. Ein Kompromiss, den der Regisseur angesichts des Romanumfangs eingegangen ist. Wenn man Schnitzlers Filmversion einen Vorwurf machen kann, dann der inflationäre Gebrauch von zitierfähigen Phrasen, die in ihrer Massierung etwas altklug wirken und die Geschichte zu deutlich als konstruiertes Gebilde entlarven.
spieltrieb_big_8Kleine Unterschiede zum Roman geben die persönliche Sicht des Regisseurs auf die Figuren wieder: Von Alevs Hintergrund bei Juli Zeh übernimmt er lediglich dessen arabische Abstammung, sein Aussehen wiederum, im Film ganz mitteleuropäisch, nicht. Ebenfalls von Adas Aggressivität im Buch ist Schnitzler etwas abgerückt.

Hirn und Herz

Die junge Frau beginnt, ihre eigene Identität herauszubilden. Erstmals als eigenständiges Subjekt begreift sich Ada, als sie eines Nachts völlig verzweifelt Alevs Nähe sucht, von ihm allerdings grob zurückgewiesen wird: »Ich glaube nicht an das romantische Konzept der Liebe. Erkenne dich selbst. Na, hat’s endlich klick gemacht?« Nun sind die Fronten klar: Auch Ada ist Teil seines Spiels. Durch ihr aufkeimendes Mitgefühl für Smutek entfaltet sich der Zweikampf endgültig. Eskalation vorprogrammiert: »Bin ich dein Gegner? Für ein Spiel braucht man einen Gegner.«
Es ist der ewige Kampf zwischen Hirn und Herz, den nur derjenige gewinnen kann, der fühlt, was das Hirn anzurichten im Stande ist. Emotionsfähigkeit und Menschlichkeit siegen! Und so erkennt Verlierer Alev am Ende immerhin: »Spieler bleibt Spieler. Die Heldin geht den eigenen Weg.« Im Gegensatz zu ihm ist Ada erwachsen geworden.
Mit ihrer Reise nach Delphi setzt der Film noch ein inhaltliches Ausrufezeichen. Schließlich soll eine Inschrift am Eingangsportal des Tempels – genau – besagt haben: »Erkenne dich selbst«!

Das sagt der Regisseur zum Film

Gregor Schnitzler, Jahrgang 1964, zählt zur Riege der renommierten, deutschen Regisseure. Über Musikvideos und Werbespots kam er zum Fernsehen. Neben mehreren Tatorten drehte Schnitzler Kinofilme wie Soloalbum, Die Wolke oder Resturlaub. Stimmen des Regisseurs, eingefangen von VOJKO HOCHSTÄTTER

Gregor Schnitzler. Foto: Foto: Jane Ainscough
Foto: Jane Ainscough

Mit Spieltrieb bringen Sie nun einen Bestseller von Juli Zeh auf die Leinwand. Wie haben Sie sich der Geschichte angenähert?

Der Roman ist sehr komplex, er umfasst 450 Seiten. Die ersten Fassungen des Drehbuchs versuchten noch, alles zu integrieren. Aber wir haben eben nur 100 Minuten Zeit, um diese Geschichte zu erzählen. Wir konnten nicht alle Facetten des Buchs übernehmen, sondern mussten uns auf eine Sache konzentrieren. So ist ein Extrakt entstanden, das sich an dem Credo »Erkenne dich selbst, werde, der du bist.« orientiert.

Wie lief die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Schriftstellerin?

Juli weiß, wie kreative Prozesse funktionieren. Ein Film ist ein Film, ein Buch ist ein Buch. Sie hat mir angeboten, das Drehbuch gegenzulesen und ganz unverbindlich ihre Kommentare dazu zu geben. Das war gut. Ich brauche als Regisseur eine gewisse Freiheit, und die hat sie mir gegeben.

Mit welchen Problemen hatten Sie zu kämpfen?

Wenn man als Regisseur einen Roman wie Spieltrieb liest, denkt man zunächst mal: Wie finde ich jemals so junge Schauspieler, die das spielen können? Als ich angefangen habe zu casten, entpuppte sich jedoch ziemlich schnell, dass Michelle Barthel und Jannik Schümann optimal in diese Rollen passen. Ein Glücksfall!

Wie vermittelten Sie den beiden die Intensität des Filmes?

Als Regisseur möchte ich nicht in die Privatsphäre von Schauspielerin eindringen und trotzdem fordere ich bei diesem Film so viel von ihnen. Ich wusste, wie schwierig das für zwei junge Schauspieler sein wird. Deswegen habe ich die Karten gleich auf den Tisch gelegt und beim Casting die schwierigste Szene proben lassen, nämlich die Dildo-Szene, die Ada Alev abnötigt. Michelle und Jannik spielten beim Casting schon zusammen, und ich war überzeugt: Die beiden sind es.

Fertig war die Liebesszene?

Als Regisseur suche ich meine Hauptdarsteller auch nach dem Gesichtspunkt aus, ob die Chemie zwischen ihnen stimmt. Man sieht das beim Casting nicht sofort. Ich hatte bei Spieltrieb den großen Vorteil, dass sich Michelle und Jannik von Anfang an sehr mochten – ohne ein Paar zu sein. Sie hatten recht schnell ein so großes Vertrauen zueinander, um solch eine Dildo-Szene zu spielen. Und zwar gut zu spielen.

Die Geschichte von Ada und Alev im Buch spielt in Bonn, den Film drehten Sie allerdings in München. Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Drehorte, zum Beispiel die Schule, ausgesucht?

Mir kam es darauf an, die wahnsinnig erdrückende, humanistische Bildung, die auf den Schultern der Schüler lastet, durch den Bau darzustellen. Ada und Alev streben schließlich nach Wissen und spielen auch mit ihrem Wissen. – Ein Eliteinternat in Deutschland verkörpert für mich Salem, man muss es sich sehr wuchtig vorstellen. Daran habe ich mich orientiert. Ich habe mir das Internat im Film zusammengebaut, weil ich keinen festen Drehplatz hierfür bekommen hatte. Einen Tag hier Dreh, zwei Tage dort Dreh – je nachdem wie lange ein bestimmtes Motiv zur Verfügung stand. So entstand das Internat in Spieltrieb aus ganz vielen verschiedenen Orten.

| VOJKO HOCHSTÄTTER

Filmfotos: Copyright: Concorde Filmverleih (D)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Jenseits von Bushido und Co.

Nächster Artikel

Das Auge leuchtet, das Leben gelingt

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Angestelltenpolitik und politische Intrigen

Film | Auf BluRay: Comtesse des Grauens (Countess Dracula, 1970/71) Gruselige Erzählungen oder Filme sind umso schöner, wenn Sie auf angeblich wahren Begebenheiten beruhen. So ist es auch im Falle der Hammer-Produktion ›Comtesse des Grauens‹. ANNIKA RISSE über einen gar nicht so horrormäßigen Horrorfilm, dessen Wahrheiten irgendwo zwischen einer grausamen Angestelltenpolitik und politischer Intrigen liegen.

Die vierte Gewalt

Film | Im Kino: Die Verlegerin Journalisten, die trotz Verbots der Regierung eine Story veröffentlichen wollen, die den US-Präsidenten in Bedrängnis bringen würde – der Film ›Die Verlegerin‹ erzählt eine wahre Geschichte. Steven Spielberg auf dem Regiestuhl, Meryl Streep und Tom Hanks in den Hauptrollen. Das klingt nach großem Kino – und zudem sehr zeitgemäß. »Ist es das auch?«, möchte FELIX TSCHON wissen.

Den Anstich lassen wir uns nicht vermiesen

Film: Im TV: Die Armenambulanz (ARD), 5. Oktober, 15:30 Uhr Schland. Wir sind Papst. Champions League sind wir auch. Klar. Aber was ist das für ein Land, in dem wir leben, mal abseits der lärmenden Partys, abseits unserer lachenden Anästhesisten à la Oliver Welke oder, haha, Rainald Grebe. »Wenn eine Gesellschaft Banken rettet und keine Menschen mehr, dann läuft irgendetwas falsch«, sagt Gerhart Trabert, Professor für Sozialmedizin; er leitet in Mainz eine Ambulanz für arme Menschen. Von WOLF SENFF

Neunköpfige Schlange

Film | Im TV: ›TATORT‹ Hydra (WDR), 11. Januar »Woll’n Sie mit der Türkin wieder vor den Neonazis rumwedeln, ja?« Der Umgang unter den Ermittlern ist direkt, auch Peter Faber nimmt kein Blatt vor den Mund, und man sollte außerdem wissen, dass Nora Dalay und Daniel Kossik seit der Abtreibung eh auseinander sind. Schwierig. Die Stimmung ist im Keller. Nun kommt mit dem Mord an Kai Fischer noch das brisante Neonazi-Thema ins Spiel. Von WOLF SENFF

Verfluchte Liebe: Kino, Film

Comic | Charles Berberian: Cinerama / Blutch: Ein letztes Wort zum Kino Comicschaffende und das Medium Film – im Reprodukt Verlag erschienen jüngst zwei Bände, deren Urheber jeweils ureigene Blicke auf das Kino werfen: Charles Berberians ›Cinerama‹ und Blutchs ›Ein Letztes Wort Zum Kino‹. CHRISTIAN NEUBERT hat sich das Comic gewordene Double Feature vorgenommen.