Film | Im TV: Tatort – Freddy tanzt (01. Feb. 2015)
Hikikomori, ja, Menschen, die sich völlig zurückziehen, den Kontakt außerhalb der Wohnung auf absolutes Minimum oder auf Null reduzieren, dann wird ihnen morgens Milch, auch Brötchen und Scheibe Käse von Restfreund oder Familie vor die Tür gestellt. Japan. Das ist schon ein merkwürdiges Haus, auf das Ballauf und Schenk schließlich ihre Ermittlungen konzentrieren. Katja Petersen im obersten Geschoss ist so ein Typ à la Hikikomori, hat aber für ihren Rückzug auch andere Gründe. Von WOLF SENFF
![Foto: WDR / Martin Valentin Menke](https://titel-kulturmagazin.net/wp-content/uploads/tatort-koeln-freddy-tanzt-120_v-varxl_ab57c5-200x113.jpg)
Phantasievoll komponiertes Personaltableau
»Sie sehen gar nicht wie ein Opa aus« – so spricht Claudia Denk, der Liebreiz in Person, zu Freddy Schenk. Und sicher: für den routinierten Krimikonsumenten ist das ein Verdachtsmoment allererster Sahne, denn rein von der Dramaturgie des Krimis, so Fallhöhe, so Spannung, so Überraschungseffekt, ist diese hinreißende Frauensperson mit Sicherheit die Giftschlange, die kalt lächelnd zustieß, wir wissen augenblicklich Bescheid.
Aber das Haus kennt andere Bewohner. Den verschlossenen Eishockeytrainer. »Haben Sie annähernd eine Ahnung, was mit meiner Karriere passiert, wenn das hier bekannt wird?« Äußerst sorgfältig ausgesuchtes Personal, phantasievoll komponiert, und das ist längst nicht alles.
Hochleistungsgesellschaft mit Nebenwirkung
Gibt noch das Bankertrio Ende dreißig von der Bar, in der das Opfer an jenem Abend vor elf Tagen probehalber den Flügel bespielte. Einer von denen verschleppt eine Bisswunde im Oberschenkel, denn das Opfer Daniel Gerber, ein begnadeter junger Pianist, lebte obdachlos und draußen vor der Bar da wartete sein Hund auf ihn.
Lebte im Übrigen auch vaterlos, denn »als Stardirigent«, so erklärt uns die alleinstehende Mutter, »brauchst du keine Familie«, der Vater gastiert allüberall in ausgewählten Konzerthallen, doch nicht in der Familie, so geht’s halt zu in Hochleistungsgesellschaft. Ist’s Nebenwirkung? Ist’s Kollateralschaden? Nein, niemand redet drüber. Wer davon betroffen ist, der wird es halt erleben, egal.
Die Professorin, ist sie Professorin?
Wahrhaft illustres Personal, jeder für sich höchst einfühlsam vom Leben geschnitzt (oder vom Drehbuch), jeder kreiselt um die eigene Existenz. Da ist, muss man verstehen, aber gewiss doch, kein Einziger in der Lage, einem verblutenden jungen Mann zu helfen bzw. nur den Krankenwagen zu rufen, und jeder hat irgendwie seine plausiblen Gründe dafür. Max Ballauf ist wieder einmal derjenige, der sich einen nüchternen Blick bewahrt, auch wenn die Stimme von Empörung gefärbt ist.
Während der letzten zwanzig Minuten führt uns die Handlung in erstaunlicher Eleganz und Leichtigkeit weg von der Orientierung aufs Haus, führt uns zum Hafen, ›Point Five‹, führt uns in ein Nobelhotel mit Tanzfläche, oder ist es doch nur eine hochpreisige Absteige oder womöglich beides? Die Professorin, ist sie Professorin? Gedulden Sie sich ein Viertelstündchen, dann dürfte alles aufgeklärt sein.
Wer wagt, gewinnt
Drehbuch und Regie können es sich sogar leisten, uns Freddys neuesten Ami-Schlitten nur in zwei äußerst reduzierten Szenen vorzuführen, das ist schon ziemlich verwegen, aber gibt nun mal keine Restminute zu stopfen – und das ist nun wieder Qualitätsbeweis.
Wenn man sich über den Schluss von ›Freddy tanzt‹ vielleicht eine Minute lang wundert – mit klarem Kopf beurteilt, passt das alles vorzüglich und macht viel Sinn, sogar der sonst in der Welt umherjettende Dirigent zeigt sich für halbe Sekunde, was will man mehr, und noch mal gewundert, dass im gesamten Krimi kein einziger Schuss fiel, nicht einer, wie machen sie das, und blieb spannend. Ganz schön gewagt, oh Mannomann.
ZDF eifert den USA nach
Und Fernsehkrimi allgemein. Donnerstag gab’s in der ARD ›Kripo Bozen‹, eine neue Serie, wobei der nächste Termin noch nicht raus ist. Das ZDF ist in seinen Krimis und Krimiserien beharrlich auf minderwertige US-amerikanische Standards geeicht, sie zeigen ›Low Winter Sun‹ ab 3. Februar auf ZDFneo, haben sie’s gekauft oder sich andrehen lassen, die Ausstrahlung in den USA begann im August 2013, die erste Episode hatte 2,51 Mio. Zuschauer, die Einschaltquoten sanken dort von Woche zu Woche, das Finale im Oktober 13 sahen noch 0,63 Mio. Zuschauer; im Dezember 2013 wurde bekannt, dass der Sender keine zweite Staffel produzieren wollte. Das ZDF hat sich’s unterjubeln lassen.
Gibt diverse andere Beispiele, auch in Eigenproduktionen, wo das ZDF das seichte Whodunnit-Schema brav nachspielt, etwa beim schneidigen glatzköpfigen ›Kriminalist‹, von dem ab 6. März neue Folgen gesendet werden. Nein, nach Qualität suchen wir da vergebens, ist alles nach Schema F gedreht, Nullachtfuffzehn.
Eine Ausnahme und dann massiv Klamauk
Der erwähnte ›Kripo Bozen‹ der ARD bringt uns ein wenig »Schöne Heimat Südtirol«, zugegeben, einst hieß es Lokalpatriotismus, heute geht es als Regio-Krimi auf den Schirm. Kommt aber insgesamt angenehm, weil die Figuren eben nicht schablonenhaft sind und die Handlung vergleichsweise vielschichtig ist, man kann den gut sehen – man wird ihn in der Mediathek finden – und für die nächste Folge bleibt sogar Spannung ungelöst übrig.
Die ARD beatmet derweil mit ihrer neuesten Vorabendserie ›Unter Gaunern‹ (ab 27. Januar jeweils dienstags 18.50 Uhr) den Schwank, die Klamotte; dasselbe gilt für ›Der Metzger‹ (ab 12. Februar donnerstags 20.15 Uhr). Man schaut sich eine halbe oder ganze Folge an, früher oder später wird’s Ihnen vermutlich langweilig werden.
Titelangaben
›TATORT‹ Freddy tanzt (WDR)
Ermittler: Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt
Regie: Andreas Kleinert
Sonntag, 1. Februar, 20.15 (ARD)
›Kripo Bozen‹
Donnerstag, 27. Januar, 20.15 (ARD)
›Low Winter Sun‹
Mittwoch, 4. Februar, 00.10 Uhr (ZDF neo, mittwochs/zählt fürs Programm als Dienstag)
›Unter Gaunern‹
Dienstag, 27. Januar, 18.50 Uhr (ARD, dienstags)
›Der Metzger‹
Donnerstag, 12. Februar, 20.15 (ARD, donnerstags)