//

Rätsel und Komplotte allüberall

Film | TV: TATORT – Allmächtig (BR), 22.12.

Das ist starker Tobak und bodenständig. Allmächtig führt uns mit souveräner Selbstverständlichkeit in die zwei gleichermaßen morbiden Welten von Comedy und katholischer Kirche ein. Das können sich die Münchener Grandseigneurs Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) herausnehmen. Von WOLF SENFF
www350
»Auch wenn Sie sich das nicht vorstellen können, er war ein wunderbarer Mensch«, wird über Albert Anast (Alexander Schubert) gesagt, doch es heißt auch: »Albert liebt Albert, und dann kommt erst mal lange nichts.« Man weiß es anfangs nicht so recht, zumal der Nachname, anagrammatisch gewendet, als »Satan« lesbar wird.

Anasts Auftritt ist dramatisch und dauert nicht besonders lange. Er ist Chef einer Filmproduktion, fährt ein todschickes rotes Auto und beweist in seinen Witzen geistige Armut, als hätte er ein Praktikum bei RTL2 oder, das ist in diesem Fall naheliegend, beim ZDF gehabt. Er hat äußerliche Ähnlichkeit – wie passend – mit dem Journalisten Borat aus Kasachstan, jener Comedyfigur des Sascha Baron Cohen, einem global ambitionierten Engländer, der sich zum Ziel setzt, das Niveau von RTL2 international zu unterschreiten. So Albert auch in Bavaria mit seiner Produktionsfirma AAA, für die er aus nachvollziehbaren Gründen seine Initialen um ein drittes A verlängert.

Verschärftes Mobbing

Zum zehnjährigen Jubiläum weilt er schon nicht mehr unter den Lebenden. Das ließe sich ziemlich einleuchtend als ein Racheakt der Opfer seines »Humors« erklären, die sich bereits zu einer Interessengruppe zusammengefunden haben. Außerdem haben sich körbeweise Morddrohungen angesammelt, und klar gibt’s da Verdächtige.

Kompliziert, gar unübersichtlich wird die Angelegenheit dadurch, dass – »Frau Kohlbeck öffnet nicht« – eine Leiche gefunden wird, die, wie durch Handy-Aufzeichnungen nachgewiesen wird – zu den Leidtragenden des Anastschen »Humors« gezählt werden muss. Das passt nicht vorn und nicht hinten, Rätsel und Komplotte allüberall (Buch: Gerlinde Wolf, Harald Göckeritz, Edward Berger), und auch der in den ländlichen Raum strafversetzte Pfarrer Fruhmann (Ernst Stötzner) muss sich Fragen gefallen lassen. Die Kommissare klären verwickelte Verhältnisse auf.

Allmächtig ist spannend, er wirft helles Licht auf einen Teil der Medienwirklichkeit (Regie: Jochen Freydank) und ist einmal ein völlig »normaler« TATORT ohne Sexualdelikt, ohne Kinder jeglichen Alters, ohne aggressive oder unter Aggressivität leidende Jugendliche. Er hebt sich außerdem angenehm ab von den Krimis der zwei hinter uns liegenden Sonntage.

| WOLF SENFF

Titelangaben
TATORT: Allmächtig (Bayrischer Rundfunk)
Regie: Jochen Freydank
Ermittler: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec
So., 22.12.13, ARD, 20:15 Uhr

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

The Not Quite Definitive Album of the Year List!

Nächster Artikel

Vom elitären Stammler zum Plothuber

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Vom Verschwinden des Menschen im Mineral

Film | Michelangelo Frammartino: Vier Leben Der 1968 in Mailand geborene Michelangelo Frammartino, dessen Familie ursprünglich aus Kalabrien stammt, hat seinen zweiten (wie schon seinen ersten uns allerdings unbekannten) Film in der Heimat seiner Vorväter gedreht – dort, wo das Mezzogiorno hoffnungslos – von Gegenwart & Zukunft verlassen – mit dem archaischen Kontakt und die bösartige »Ndrangheta« mafiotisch ihr Ursprungsrevier unter Kuratel hält. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Familie, oh Familie, oh!

Film | Im TV: Tatort 901 – Brüder (RB), 23. Februar Die Polizisten David Förster (Christoph Letkowsky) und Anne Peters werden in diesem TATORT zu einem Notruf geschickt; ein Mann fühlt sich bedroht. Der Einsatz eskaliert. Als die Bremer Hauptkommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) eintreffen, sind David Förster und der Mann entschwunden; Anne Peters, lebensgefährlich verletzt, wird in die Intensivstation eingeliefert. Von WOLF SENFF

Schöpfer der fiktiven Chronik

Menschen | Zum 85. Geburtstag des Regisseurs Edgar Reitz am 1. November Edgar Reitz ist sich heute bewusst, dass der Begriff »Heimat« ambivalente Gefühle und kontroverse Diskussionen auslöst. »Die traumhafte Geborgenheit, die ist in der Erinnerung irgendwo noch vorhanden, und das wird auch bei Heimat suggeriert oder im Unbewussten aufgerufen«, hatte Reitz im letzten Sommer in einem Interview erklärt. Ein Porträt von PETER MOHR

Am Sabbat greift niemand zum Telefon

Film | Im Kino: Youth, Israel 2013; Filmstart 23. Januar »Kaum zu glauben, dass Nessie schon in der ersten Klasse ist.« – »Ist nicht wahr.« – »Kommt mir vor wie gestern, als ich in die Schule musste, weil du hingefallen warst. Weißt du noch?« – »Ach, Mama, jetzt nicht noch mal die Story.« – »Sag bloß, ihr kennt sie. Echt? Hab‘ ich die schon mal erzählt?« usw. usf. ad inf. Das sind so die Gespräche bei Familientreffen. Man will feiern, dass Jakie (Eitan Cunio) sich für die Armee hat rekrutieren lassen. Von WOLF SENFF

Spannende Handlung, dicht sortiert

Film | Im TV: TATORT ›Château Mort‹ (SWR), 8. Februar In den letzten Monaten folgten wir schon einmal dem Versuch, Bildungsgut für den Sonntagabend fein aufzubereiten. Das ist leider schwieriger als gedacht. Neulich musste Shakespeare dran glauben, der mit Anklängen an einen Western in Szene gesetzt wurde. Man war verwirrt und dachte heftig darüber nach, ob das den Western beschädigte oder Shakespeare oder womöglich den ›TATORT‹. Von WOLF SENFF