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Für Rührseligkeit bleibt keine Zeit

Film | TV: TATORT – Auf ewig Dein (WDR), 2. Februar

Da schickt sie, schwanger, den Papa in spe nach Hause, und als er die Tür hinter sich schließt, bricht sie heulend zusammen. Schnitt, nächster Tag: Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik (Stefan Konarske) sitzen nebeneinander im Dienstwagen. Hat jemand behauptet, dass TATORTe Krimis seien? Man darf das nicht missverstehen. Wenn sie gut sind, führen sie uns in künstlerischer Dichte vor, wie die Dinge sich abspielen im Leben, im Alltag. Fünfundvierzig Filmminuten später die Versöhnungsszene – es pendelt hin und zurück, für Rührseligkeit wird keine Zeit verplempert. Von WOLF SENFF

Tatort "Auf ewig Dein" Foto: WDR / Thomas Kost
Tatort „Auf ewig Dein“ Foto: WDR / Thomas Kost
Miriam, zwölf, wird erdrosselt und flüchtig verscharrt in einem Waldstück aufgefunden. Seit dem Vortag wird die dreizehnjährige Lisa ebenfalls vermisst. Vom Typ her sehen die beiden Mädchen einander sehr ähnlich. Schnell wird Miriams Stiefvater Gunnar Stetter verdächtigt, zumal auf dessen Rechner kinderpornografische Fotos entdeckt wurden. Die Kommissare beschlagnahmen auch den Rechner von Lisas Vater Stefan Passik. Die Mordkommission, so scheint’s, ist einem Pädophilen-Ring auf der Spur, doch der Fall weitet sich aus.

Das Geschehen ist verwickelt

Der Ex-Dienstleistungs-Lover von Martina Boenisch (Anna Schudt), Callboy, tritt ebenfalls auf, diesmal als Verdächtigter. Das ist der Kommissarin, man versteht sie, überaus peinlich. Ist sie nicht verheiratet? Zusätzlich ist das Geschehen in die Lübecker Vorgeschichte von Peter Faber (Jörg Hartmann) verwickelt.

Nein, merkwürdigerweise nervt es nicht, dass Auf Ewig Dein heftig an diesen übergreifenden Zusatzerzählungen strickt. Die Handlung ist zügig, der Ton völlig unsentimental. Nicht einmal die Tatsache, dass es erneut um sexuellen Missbrauch geht, fällt unangenehm auf. Auf Ewig Dein moralisiert nicht, heischt nicht nach unserem Mitgefühl. Ungewöhnlich auch, dass vier Ermittler an diesem Fall arbeiten, dazu das übliche Begleitpersonal. Trotzdem entsteht kein Durcheinander. Woran das liegt? Hm. (Buch: Jürgen Werner).

High noon

»Was ist denn hier eigentlich los, hab‘ ich irgendwas verpasst?« Kluge Frage, und, meine Güte, was für eine Gemengelage. Martina Boenisch spürt unerfreulichen Druck seitens des abgelegten Dienstleisters, Peter Faber hat soeben ein War’s-ein-Gespräch-war’s-ein-Verhör mit dem ebenfalls verdächtigten Markus Graf (Florian Bartholomäi) hinter sich gebracht, dessen Vater einst in Lübeck von ihm verhaftet worden war und in der Zelle Selbstmord beging. Düstere Wolken der Vergangenheit ziehen auf, das Geschehen ist kompakt. »Zwei von meiner Sorte können wir uns nicht leisten.« Wo Peter Faber recht hat, wird ihm niemand widersprechen.

Die Figurenkonstellation im letzten Drittel wandelt sich, die Schuld des Täters muss bewiesen werden, Auf ewig Dein spitzt das Geschehen auf die erbarmungslose Konfrontation zweier Kontrahenten zu. Qualvolle Gespräche, messerscharf, tödliche Sätze, wie hält ein Mensch das aus, für einen Krimi ist das ungewöhnlich, und man führt uns ein hochdramatisches Finale vor (Regie: Dror Zahavi), großes Kino. High Noon ist angesagt in diesem TATORT der Spitzenklasse. Nur den Titel, den müsste mal jemand erklären. Aber egal – bloß nicht versäumen.

TATORTs Nachbarschaft

Die angloamerikanische Krimikultur ist anders. Anders als die dänische sowieso, wir erinnern uns an Kommissarin Lund, aber anders auch als TATORT. Inspector Banks, ein Engländer auf arte, ist ein ernsthafter Mann (Inspector Banks: Der Solist, 30. Januar), persönlich geradeaus, anständig, rechtschaffen, mit sich im Reinen. Familie tritt nicht auf, nein. Humor? Fehlanzeige. Stattdessen dräut stets eine leicht verkniffene Leichenbittermiene.

Der verfolgte Täter ist ein fünffacher Frauenentführer, -vergewaltiger, -folterer und -mörder, darunter machen sie’s nicht. »Er soll leiden, jede Stunde« – Inspector Banks führt einen unerbittlichen Rachefeldzug, einen Krieg gegen das Böse, so kennt man die angloamerikanische Kultur.

Und als Payne, die Inkarnation des Bösen, dahingerafft wird, stellt sich welch ein Glück heraus, dass er einen Komplizen hatte, womöglich gar aus dem Kreis der smarten dreißigjährigen Frauen, mit denen Der Solist sich schmückt, eine Wölfin im Schafspelz. Scharfe Verhöre mit Gebrüll beiderseits, hysterische Anfälle – so plump geht angloamerikanisches Hardcorefeeling. Und das Drehbuch hilft mit ein, zwei weiteren Enthüllungen aus, auf dass es spannend bleibe. Nein, das sind allzu simple Nachbarn des TATORT, so grob und phantasielos ist er nicht.

| WOLF SENFF

Titelangaben
TATORT: Auf ewig Dein (WDR)
Regie: Dror Zahavi
Ermittler: Jörg Hartmann, Anna Schudt
So, 2.02., ARD 20:15 Uhr

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Gregor Keuschnig zu Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon
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