Pseudo-Parodie des Grauens

Film | Im Kino: Game Night

Viele Menschen veranstalten wöchentlich Spieleabende. Ob Kartenrunde, Brett-, oder Rollenspiele: Nichts ist vor ihnen sicher. Doch auch das wird irgendwann langweilig – und Live-Action muss her! Was passiert nun, wenn einer der professionellen Schauspieler, die man selbst für ein besonderes Spiel engagiert hat, plötzlich ernst macht? Statt des »harmlosen« Kidnapping-Spiels fliegen einem plötzlich echte Kugeln um die Ohren. »Aber ist das auch witzig?«, fragt sich ANNA NOAH.

Von Minderwertigkeitskomplexen und anderem Unsinn

Max (Jason Bateman) und Annie (Rachel McAdams) treffen sich regelmäßig mit zwei befreundeten Pärchen zu Spieleabenden.

Vorsicht Spoiler!!
Die Spieleabende erlauben dem Ehepaar und ihren Freunden, ihre Hyper-Konkurrenz spielerisch auszuleben. Auf einer anderen Ebene lenken sich Max und Annie damit ab und laufen erfolgreich vor dem Thema »Gebär(un)fähigkeit« davon.
Eigentlich war auch immer ihr Nachbar Gary (Jesse Plemons) dabei, ein merkwürdig wirkender Polizist, der stets vor seinem Haus zu sein scheint, wenn die Nachbarn vom Einkaufen kommen. Immer trägt er sein Hündchen dabei auf dem Arm. Da Annie und Max ihn seltsam finden, laden sie ihn nicht zu ihren Spieleabenden ein.

Game NightEines Tages erscheint Max’ Bruder Brooks (Kyle Chandler) auf der Bildfläche. Max bildet sich ein, dass sein Bruder besser aussehe und erfolgreicher sei als er selbst. Daher beneidet er ihn seit Jahren. Zu allem Überfluss hat sich Brooks auch noch Max’ Lieblingsauto gekauft! Den Wagen verhöckert er bei seiner eigenen Spielenacht an den Gewinner – nun, sofern es einen gibt.

Und für diese spezielle »Game Night« hat sich Brooks etwas ganz Besonderes einfallen lassen: eine Murder-Mystery-Party. Dafür hat er sogar falsche Gangster und einen FBI-Agenten angeheuert. Niemand wundert sich also, als Bewaffnete das Haus stürmen und Brooks entführen, denn das gehört schließlich zum Programm! Begeistert schauen die Mitspieler zu und loben die schauspielerische Leistung der Entführer.

Während jeder sich auf seine Weise bemüht, herauszufinden, was real ist und was nicht, verliert der Film an Zugkraft. Autoverfolgungsjagden, Kämpfe in zwielichtigen Bars und Waffen mit echten Kugeln tauchen genau dann auf, wenn der Film etwas Ruhe benötigen würde, um seine Charaktere besser kennenzulernen.
Daher bleiben die Motivationen der Figuren teilweise im Unklaren.

3-für-1 »Dialog-Kultur«

Dass die gespielte»Entführung« real ist, merkt Max recht schmerzhaft: Die Kugel, die Annie in seinen Arm jagt, ist echt. Und Brooks Revolver, aus dem sie im spielerischen Übermut abgefeuert wurde, kein Spielzeug.

An solchen Stellen wirkt der Film sehr unkonventionell: Das Paar fährt einfach in eine Apotheke und kauft Gummihandschuhe, Pinzette, Beißring und Alkohol, um die vermeintliche Kugel gleich auf dem Parkplatz herauszuoperieren. Erst als Annie schon auf dem Knochen schabt, stellt sie fest, dass auf der anderen Seite des Arms eine Austrittswunde ist. Manche der Dialoge reiten die Popkulturwelle etwas zu offensichtlich, wirken nur teilweise witzig, oft flapsig.

Um den Entführern auf die Spur zu kommen, werden den beteiligten Pärchen viele unnötige Dialoge aufdiktiert. Das wirkt eher gezwungen denn lustig. Und dann ist da noch diese 3-für-1-Sache mit Gary, dem Nachbarn. Seine traurigen Cop-Augen blicken schnell gruselig, als er die drei Beutel Tostito-Cracker in Annies Einkaufstüte entdeckt. Sie bestehen darauf, dass sie nicht für einen Spieleabend gedacht waren, sondern ein Sonderangebot des Supermarkts seien. Doch Gary wittert die Finte und kontert: »Ob das wohl so gut für die Umsätze der Firma wäre?« Er wirkt dabei wie ein schlechtes Matt-Damon-Double. Gewollt?
Wer auf diese Art von Dialogen steht, ist bei ›Game Night‹ goldrichtig!

»It’s Klischee-Partytime!«

Die Regisseure John Francis Daley und Jonathan Goldstein zeigen hier eine Komödie, die gleichzeitig ein Thriller sein soll. Eine gewagte Mischung, die als Subgenre oft belächelt wird. Alle Darsteller – besonders die Freunde des Ehepaars – sind zwanghaft lustig. Zumindest, wenn sie die Gelegenheit dazubekommen. ›Game Night‹ zeigt, dass die Besetzung aus erfolgreichen und attraktiven Comedy-Darstellern besteht. Der Anfang bildet einen grandiosen Auftakt, ja! Mit Gestik, Mimik und den passenden (!) dummen Comedy-Sprüchen. Aber sobald sich der Film mit pseudo-bedrohlicher Musik in einen intensiven Actionstreifen verwandelt, wirken die Schauspieler irgendwie fehl am Platz.

Unnötig sind auch die bedienten Klischees:
Es werden Reiche gezeigt, die bei Kämpfen unter Bedürftigen auf den Sieger wetten.
Max wird in den Arm geschossen, doch es scheint nicht sonderlich zu schmerzen. Es fließt natürlich kein Blut, stattdessen fallen ein paar »witzige« Sprüche während Annies Möchtegern-OP.
Das makellos weiße Fell des Cop-Hündchens bekommt doch noch ein paar Blutstropfen aus Max’ Wunde ab, die nach Stunden urplötzlich beschließt, auf den Westie zu bluten.
Ein Mann wird vor Annies Augen von einer Jet-Turbine gehäckselt. Sie steht genauso vor dem Antrieb, wird aber nicht hineingezogen. Das Beste in der Szene ist, dass Annie sich selbst und einen Feuerlöscher auf das rutschige Dach des Flugzeugs befördert, um diesen durch eine nie in einem Flieger gesehene Öffnung in der Decke geradewegs auf den Gegner zu werfen. Frauenpower hin oder her – hier wirkt der billige Slapstick als Humorverstärker.

Da verwundert am Ende die Tatsache, dass die »Spieler« doch öfter an ihr Ziel kommen, als sie gegen Wände laufen können. Besonders in dem Moment, als die Spielenacht durch den nächsten undurchschaubaren Twist völlig außer Kontrolle gerät, kann man als Zuschauer nur über den »inspirierenden« Unsinn den Kopf schütteln. Und vielleicht ein bisschen lächeln, denn es bleibt einem eigentlich gar nichts anderes übrig.

| ANNA NOAH

Titelangaben
Game Night
Regie: Francis Daley & Jonathan Goldstein
Drehbuch: Mark Perez
Darsteller/Cast:
JasonBateman: Max; RachelMcAdams: Annie
Kyle Chandler: Brooks; Jesse Plemons: Gary
u.v.a.
Kamera: BarryPetterson; Musik: CliffMartinez

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