Musik | Toms Plattencheck
Der in München geborene Kanadier mit ukrainischen Wurzeln, Lubomyr Melnyk, ist ein interessanter Komponist und Pianist, dem der gegenwärtige Trend zur Zusammenführung von Klassik und Pop im weitesten Sinne entgegenkommt. Während der Großteil seiner Veröffentlichungen auf Kleinstlabels, von einer breiteren Öffentlichkeit unbemerkt, erfolgte, führen Auftritte auf (Indie-)Popveranstaltungen und die Veröffentlichung auf Erased Tapes und nun mit Windmills auf Hinterzimmer zu einem ganz anderen Publikum. Von TOM ASAM
Melnyk, der auch gerne als »Franz Liszt der Moderne« bezeichnet wird, entwickelte eine Art des Pianospiels, die er »continous music« nennt. Sie basiert auf einer überschnellen Abfolge von Noten und beinhaltet neben einer physischen Ebene auch eine mystische, auf der er im Spiel in andere Sphären abzugleiten scheint. Seine Stücke kann man als etwas exzentrischen Beitrag zur sogenannten Neoklassik sehen, die auch durch namhafte Labels wie Deutsche Grammophon oder die Reihe Mercury Classics von Universal auf unterschiedliche Art befeuert wird. Mit einer melancholischen Note, die der mystischen Schönheit seiner Musik anhaftet, fügt er sich aber auch wunderbar in die teils etwas bizarre Welt des passenderweise Hinterzimmer benannten Schweizer Labels. Was auf Platte nett anzuhören ist, entfaltet allerdings diversen Berichten zufolge live erst richtig seine Wirkung. Konzertbesucher berichten immer wieder, neben dem Klavier auch Streicher oder Bläser wahrgenommen zu haben.
Der isländische Komponist und Produzent Johann Johannsson hat bereits eine Reihe von Alben zwischen akustisch-orchestraler Musik und Elektronik auf Labels wie Touch und 4 AD veröffentlicht. Auch für diverse Filme hat er Musik geschrieben, die gerne am Rande von etwas kratzt, was als Neoklassik der auch post-classical bezeichnet wird. Nun hat Johannsson den Soundtrack Score zu einem veritablen Hollywoodthriller übernommen. Große Streicher-Passagen fließen hier großartig zusammen mit niedrig frequentierten, düsteren Drones für die Hildur Gudnadottir und der norwegische Komponist Erik Skodvin sorgten. Die fragilen Soundscapes werden durch Klänge alter, eher selten zu hörende Instrumente kaum merklich klanglich verschoben: Thomas Bloch, der auch schon durch Zusammenarbeit mit Radiohead auffiel, spielt das Cristal Baschet, ein im 18. Jahrhundert erfundene, der Glasharmonika ähnliches, Instrument sowie die Ondes Martenot. Hierbei handelt es sich um ein frühes elektronisches Instrument, das dem Theremin ähnelt. Die Omnes Martenot findet auch auf diversen Alben von Radiohead Verwendung, gespielt wird sie da von Johny Greenwood. Er verwendet sie wiederum auch bei seinem großartigen Soundtrack zu There will be blood, den man ebenso wie Soundtrackarbeiten von Teho Teardo als Referenz nennen könnte. Johannsson schafft es, relative simple Strukturen und Pathos ohne Kitsch auf eleganteste und eindrücklichste Weise einzusetzen. Dabei kommen Einflüsse von Steve Reich über Micheal Nyman bis Arvo Part zum Tragen. Das Ergebnis funktioniert bestens als eigenständiges Werk; der Wunsch, sich der Kombination aus visuellen und akustischen Eindrücken hinzugeben, kommt jedoch unweigerlich auf.
Das deutsche Trio Nebelung veröffentlicht auf dem schwedischen Label Temple of torturous, Heimat von Bands mit unlesbar verschnörkelten Logos. Da geht für Viele schnell die Sirene los: Vorsicht, derber Krach! Im Falle von Nebelung zumindest kann Entwarnung gelten. Weder ballern einem die Bassdrums das Hirn weg, noch gibt es unverständliches Gegrunze oder politisch wie pädagogisch zweifelhafte Inhalte (was natürlich auch bei derbem Metal keineswegs die Regel ist). Nebelung ist ein altdeutsches Wort für November, der Zeit des melancholischen Innehaltens und des Übergangs in den Winter. Der Albumtitel Palingenesis setzt sich aus den griechischen Wörtern Genesis und Palin zusammen und deutet auf die Auseinandersetzung mi t Fragen des ewigen Kreislaufs hin: Tod, Wiedergeburt, Seelenwanderung, Erneuerung… Nebelung haben sich dabei auf ihrem neuen Album weitestgehend auf die instrumentelle Umsetzung beschränkt und ihren melancholischen Neofolk weiter verfeinert. Mantrahaft tauchen Melodiemotive wiederholt auf und lösen sich zwischenzeitlich im Drone auf, wie einzelne Schneeflocken im Schneetreiben. Neben klassischer und elektrischer Gitarre kommen dabei Cello, Akkordeon, indisches Harmonium, Glasharfe und Percussion zum Einsatz. Für alle, die sich schon jetzt mehr auf eine herbstliche Wanderung durch den mondbeschienenen Wald freuen, als auf Pommes Rot-weiß im Freibad ein absolutes Schmankerl. Drei der durchgehend mit einem Wort auskommenden Songtitel fassen das Thema bestens zusammen: Innerlichkeit, Wandlung, Nachtgewalt.
| TOM ASAM
Titelangaben
Lubomyr Melnyk: Windmills – Hinterzimmer
Johann Johannsson: Prisoners O.S.T. – Water Tower, NTOV / http://johannjohannsson.com/
Nebelung: Palingenesis – Temple of Torturous