Digitale Spiele | Child of Light
Es war einmal ein kleines Mädchen mit Namen Aurora. Sie war wunderschön und ihr Haar hatte die Farbe der Morgenröte. So märchenhaft beginnt die Geschichte um Child of Light, dem neuen jRPG aus dem Hause Ubisoft Montreal. Mit der Erzählung über die Welt der kleinen Prinzessin zeigen sich die Entwickler des wahnsinnigen Ego-Shooters Far Cry 3 von einer ganz neuen Seite: traumhafte Musik, künstlerische Grafik, ganz Idylle. Ach ja, nur die Protagonistin wird innerhalb der ersten Minuten ums Leben gebracht. ALEXANDER SCHMELEV, PHILIPP LINKE und EVA HENTER-BESTING begleiteten Aurora in den ersten Spielstunden durch das finstere Jenseits.
Im Stil einer Märchenstunde werden wir zu Beginn über das Schicksal der kleinen Hauptperson aufgeklärt. Sie ist, ganz Prinzessin, natürlich sehr hübsch, der Augapfel ihres gütigen Vaters und ziemlich bald ziemlich tot – oder in einem komatösen Schlaf gefangen.
Aurora? Langer Schlaf? – Ja, das klingt auffällig nach dem Klassiker Dornröschen beziehungsweise der Disney-Adaption des Grimm’schen Werk. Doch anders als in der Vorlage erfahren wir, was während des andauernden Schlafs passiert: Aurora erwacht in einer kalten Welt voller Schattenwesen und zwielichtiger Gestalten. Lemuria nennt sich die außergewöhnliche Traumwelt, die vor allem durch ihre malerische Gestaltung beeindruckt. Ehe sie wieder zu ihrem Vater in die reale Welt zurückkehren kann, muss das Mädchen die dunkle Königin finden, die Sonne, Mond und Sterne gestohlen und somit Lemuria in Dunkelheit und Chaos gestürzt hat. Keine einfache Aufgabe für so ein junges, zartes Wesen – doch sie ist nicht allein. Treuer Kamerad und Wegbegleiter ist das Glühwürmchen Igniculus.
Mithilfe seiner Leuchtkraft werden auch die dunkelsten Ecken und Winkel auf der Reise zur bösen Hexe erhellt und fiese Gegner während des Kampfes geblendet. Das Motiv von Licht und Schatten durchzieht das gesamte Spiel und wird in kleinen Rätseln stetig aufgegriffen, die ohne das freundliche Lichtwesen nicht zu lösen wären. Hier setzt Child of Light auf eine ungewohnte Steuerung, die an das Adventure Brothers – A tale of two Sons erinnert. Einzelspieler steuern Aurora mit dem linken Stick, Igniculus mit dem rechten. Anfangs noch etwas verwirrt, gewöhnen wir uns mit einigen erleichternden Hilfen schnell an die spezielle Stickbelegung. Obendrein bietet das jRPG einen Mehrspielermodus, in dem ein Spieler Aurora und ein anderer Igniculus übernimmt. Insgesamt ist die Steuerung aber weitestgehend intuitiv, sodass sich die Funktionen einzelner Knöpfe während des Spielens schnell einprägen.
Verblendung
Lange währt die Zweisamkeit der beiden nicht. Schon bald lernen sie die Hofnärrin Rubella und den Zauberzwerg Finn kennen, die ihnen vor allem in den immer schwieriger werdenden Kämpfen beistehen. Das Kampfsystem gestaltet sich in klassischer Rollenspiel-Manier. Auf der einen Seite stehen Aurora und ihre Freunde, auf der anderen tummeln sich Schattengestalten, Creeper, Vergessene oder Höllenhunde – eine taktische Herausforderung. Allerdings basieren die Duelle nicht nur auf Runden; auch die Zeit pfuscht uns mächtig ins Handwerk. Anhand eines Zeitstrahls am unteren Bildschirmrand wird uns die Reihenfolge der Kampfteilnehmer vorgegeben. Sobald ein Charakter aktiv werden kann, friert das Spiel ein und wir können uns in Ruhe zwischen Angriff, Verteidigung, Magie, Tränken und Spezialfähigkeiten entscheiden. Jede Aktion hat jedoch eine bestimmte Dauer und kann durch den Angriff eines Gegners unterbrochen werden, wodurch wir in der Leiste wieder zurückgeworfen werden. Aber was die können, können wir schon lange. Mit Igniculus ist es möglich über die Köpfe der feindlichen Kreaturen zu schweben und sie zu blenden, woraufhin sie verlangsamen. Da Igniculus keine Energiesparleuchte ist, müssen wir vorsichtig mit seiner Fähigkeit umgehen und Pausen gewähren, um seine Kraft wiederzuerlangen. Alternativ erhalten Wünsche – kleine Lichtpunkte, die aus bestimmten Pflanzen gewonnen werden – und Tränke seine Energie. Die Essenz der Kämpfe: die Gegner möglichst selten zum Zug kommen lassen und selbst möglichst viel austeilen. Sicher, ganz neu ist das Prinzip nicht, erinnert es doch stark an das aus dem Jahr 1997 stammende Grandia II sowie an das Active Time Battle System von Final Fantasy.
Wie im Bilderbuch
Letzteres lässt zwei Mal grüßen. Die grafische Gestaltung ist deutlich von den Arbeiten des FF-Charakter- und Boxart Designers Yoshitaka Amano sowie von Gemälden des goldenen Zeitalters (John Bauer, Edmund Dulac, Arthur Rackham) inspiriert. Die Landschaften und Hintergründe von Lemuria wirken wie Malereien aus Wasserfarben und könnten glatt aus einem Bilderbuch stammen.
Die Umsetzung der mythischen 2D-Traumwelt ist gelungen. Kühle Farben, Finsternis und knorrige Gewächse zeugen von unheimlicher Stille und Einsamkeit. Unterstrichen wird der melancholische Eindruck von den sanften Pianoklängen der kanadischen Musikerin Béatrice Martin (Cœur de Pirate), welche sich nur in Kämpfen zu epischer Orchestermusik hochschaukeln.
Nicht ganz gelungen sind dagegen die Dialoge der deutschen Ausgabe. Die Figuren unterhalten sich in Reimen; jedenfalls ist das der Grundgedanke – »A playable Poem«. Der Gesprächstext erscheint in Textfeldern und wurde nicht weiter vertont. Soweit so gut, allerdings wechseln die Reimschemata zwischendurch, sodass sich die Verse im Kopf nicht mehr so elegant anhören, wie sie es einst sollten. Schade. Hier wäre eine Komplettvertonung vielleicht sinnvoller gewesen. Im englischen Original formulieren und fabulieren die Hauptpersonen viel gewandter im Stile Shakespeares. Nichtsdestotrotz eine hübsche Idee, die den Märchencharakter des Spiels herrlich unterstreicht.
Eine Herzensangelegenheit
Obgleich Child of Light mit schätzungsweise 10 bis 15 Spielstunden nicht besonders lang und mit einem Preis von lediglich 15 Euro ein Schnäppchen ist, so ist es keineswegs ein einfaches oder billiges Spiel. Director Patrick Plourde und Writer Jeffrey Yohalem (beide maßgeblich bei der Entwicklung von Far Cry 3 beteiligt) steckten viel Arbeit in die Welt rund um die kleine Prinzessin. Es war eine Herzensangelegenheit – und das merken wir. Lemuria ist viel größer als erwartet. Erst nach und nach schalten wir im Spielverlauf die Karte frei und können auch Nebenschauplätze wie verborgene Kellergewölbe erkunden. Wem das noch nicht genug ist und weitere Herausforderungen sucht, kann zudem den New Game Plus Modus ausprobieren. Eine einmalige Angelegenheit ist die Reise nach Lemuria sicherlich nicht.
Bezaubernder Geheimtipp
Child of Light ist stimmig. Eine märchenhafte Story, eine traumhafte Gestaltung, eine melodische Untermalung – eine gelungene Atmosphäre. So kindlich das Spiel am Anfang auch wirkt, so knifflig und fordernd wird es in den folgenden Stunden. Vor allem die Kampfsteuerung im Einzelspielermodus verlangt einiges ab: den Zeitstrahl im Auge behalten, Taktik schmieden und Igniculus befehligen. Das ist reichlich komplex für so ein märchenhaftes Rollenspiel. Schnell ist der Überblick verloren und gelangt auch bei zunehmender Anzahl von Kampfteilnehmern nicht mehr zurück. Zudem ist die Menüstruktur nicht immer klar ersichtlich und das Crafting-System gibt keinerlei Erklärung dafür, warum bestimmte Oculi-Kombinationen kein Resultat hervorbringen. Das mag den ein oder anderen störten, uns aber nicht.
Mit einer tiefgründigen und abwechslungsreichen Story, einem komplexen Kampfsystem und üppigen Fähigkeitsbäumen überzeugt und überrascht Ubisofts Child of Light. Ein bezauberndes Rollenspiel mit Geheimtipp-Qualität.
| ALEXANDER SCHMELEV, PHILIPP LINKE, EVA HENTER-BESTING
Titelangaben
Child of Light
Ubisoft Montreal
ab dem 30. April 2014 erhältlich für alle aktuellen Spielekonsolen
(PC, Playstation 3, Playstation 4, WiiU, Xbox 360, XboxOne)
14,95€ (Download)