Digitales | Games: Historical Gaming
Wie wird in Videospielen mit geschichtlich sensiblen Themen wie beispielsweise dem Holocaust umgegangen? Oder können Spiele damit überhaupt verantwortungsvoll umgehen? RUDOLF INDERST mit ein paar grundsätzlichen Überlegungen.
Eine Meldung auf ›heise.de‹ vom 11. März 2008 ließ aufhorchen. Wie dort zu lesen ist, erwog der 21-jährige, französische Coder Luc Bernard die Entwicklung eines Nintendo DS-Spiels namens ›Imagination Is the Only Escape‹. Der Titel soll zu Zeiten der deutschen Besatzung Frankreichs spielen und durch die Augen eines jüdischen Jungen erzählt werden.
Den Hintergrund, so Bernard, sollen die unmenschlichen Verbrechen der Deutschen an Kindern darstellen. Entsprechend könne sich der Protagonist im Spiel nur durch rettende Ausflüge in eine Traumwelt retten. Erste Konzept-Screenshots zeigen das Spiel als zweigeteilte Reise. Während im oberen Screen des NDS das eigentliche Spiel vollzogen wird, tauchen im unteren Bereich Texteinblendungen auf, die über das damalige Zeitgeschehen Auskunft geben sollen.
All diese Pläne wurden zu diesem Zeitpunkt ausschließlich auf dem Blog des Franzosen und der dahinter stehenden, britischen Firma Alten8 veröffentlicht. Weitere Kreise zogen diese Überlegungen jedoch, als die New York Times sich dieses Themas annahm und in ihrer Berichterstattung andeutete, dass der Titel seitens Nintendo in Amerika unerwünscht sei. Wie wiederum auf ›heise.de‹ zu lesen war, versteht man in Frankreich die Aufregung nicht, da es lediglich um planerische Überlegungen gehe und Verhandlungen mit Nintendo definitiv noch nicht stattgefunden hätten.
Abgesehen davon, dass die Geschichte von »Imagination Is the Only Escape« natürlich mehr als nur über einige Anleihen aus ›Pan´s Labyrinth‹ verfügt, und gerade die Wahl des Nintendo DS als Spielplattform ein wenig verwundert (ein Großteil der Rezeption verbindet mit der Handheldkonsole oder vielmehr der Firma Nintendo spielerische und kindgerechte Themen) und natürlich der Holocaust an sich sicherlich eines der sensibelsten Themen überhaupt ist, kann die gesamte Debatte auf die Frage herunter gebrochen werden: Wie verhalten sich Historie und digitales Spiel zueinander?
Der Erziehungswissenschaftler Stefan Wesener hält in seinem Aufsatz ›Geschichte in Bildschirmspielen‹ fest, dass historische Ereignisse zunächst einmal sehr gerne in digitalen Spielen verwendet werden. Grundsätzlich kann dies in drei Grundtypen geschehen. Der Spieler spielt erstens als historische Persönlichkeit selbst, zweitens können fiktive Charaktere die Protagonisten sein, welche historischen Ereignisse durchleben und schließlich können historische Hintergründe und Kulissen lediglich als Rahmenhandlungen dienen, um hypothetische, weitere Abläufe zu porträtieren.
Das Problematische beginnt für Wesener dort, wo historische Lücken durch das Spiel glaubhaft-verkürzt geschlossen werden: »Dabei suggerieren die Bilder und die Kausalität der Zusammenhänge eine Genauigkeit, die in der traditionellen Form der historischen Forschung keine Entsprechung findet. Diese Genauigkeit wird durch die vermeintliche Überzeugungskraft der Bilder suggeriert.«
Der Historiker Rainer Pöppinghege merkt an, dass Spiele schlichtweg nicht dazu da seien, Geschichte abzubilden. Er sieht Geschichte im Spiel in erster Linie als Verkaufsargument der Produzenten, wobei er »solides Lexikonwissen« durchaus in seinen Spieluntersuchungen gefunden hat. Allerdings, so betont Pöppinghege, handle es sich um eine Art von zeitlosem Wissen: »Zum Beispiel wie Marktwirtschaft funktioniert und unter welchen Gesichtspunkten eine Insel besiedelt werden kann.«
Gerade Kulturwissenschaftler unterstreichen jedoch, dass die interessanteren Fragen sich jenseits der Problematik »Können Computerspiele geschichtliche Wahrheiten abbilden?« (wobei der Begriff der Wahrheiten eigentlich in doppelten Anführungszeichen stehen müsste). Denn wenn es um Deutungshoheiten und Deutungskompetenz von Geschichte geht, erleben wir nicht weniger als eine mediale Evolution. Der Literaturwissenschaftler und Kulturredakteur Andreas Rosenfelder erläutert dazu: »So tragen Computerspiele dazu bei, bestimmte geschichtliche Erfahrungen und Lebenswelten zu kulturellem Allgemeingut zu machen und die Deutungshoheit den jeweils Beteiligten zu entreißen. Wie früher das Hollywood-Kino, so arbeiten heute die Spiele an der Schaffung einer globalen, kulturellen Erinnerung.« Fragen wir uns selbst einmal: Für wie glaubwürdig und geschichtlich korrekt erscheint uns der Film ›United 93‹? Niemand weiß, wie es in den letzten Minuten im Flugzeug zuging. Aber es erscheint uns glaubhaft und plausibel. Oder Spielbergs ›München‹. Der Einbruch der Geiselnehmer in das olympische Dorf – plötzlich wird Fiktion zu einer Begebenheit, die sich wie geschichtliche Wahrheit in unser Gedächtnis einschreibt. Und genau diese Macht können Spiele auch entwickeln.
An anderer Stelle warf ich First Person Shootern vor (wie etwa ›Medal of Honor‹), dass sie äußerst entpolitisiert und enthistorifiziert zu Werke gehen. Zugespitzt kann das auf die Formel gebracht werden: Es gab mehr Unterschiede zwischen US Army und deutscher Wehrmacht als die Farbe der Uniform. Sieht man sich die Namen vieler FPS-Clans genauer an, kann einem Angst und Bange werden. Ohne jegliche historische Sensibilität und Verantwortung werden soldatische Tugenden wie Disziplin, Treue, Kameradschaft und Loyalität zelebriert.
Der Zweite Weltkrieg und die Rolle, die deutsche Wehrmacht und SS in diesem spielten, entwickeln sich in diesem Klima zu einem Zerrbild aus diffusen Überzeugungen, Halbwissen und clever gestrickter Propaganda. In den zu den Webseiten der Clans gehörenden Diskussionsforen häufen sich hanebüchene Geschichtsklitterungen. Die Opfergeschichte, darauf weist der Sozialwissenschaftler Hartmut Gieselmann in seiner Untersuchung ›Der virtuelle Krieg‹ zu Recht hin, spielt in diesen Spielen keine Rolle.
Wir werden also ganz genau hinsehen, wie das schwierige Thema Holocaust in einem Videospiel behandelt werden wird, und zwar seitens der Hersteller, Spieler, Fachpresse und Game Studies (Stichwort: »Spielspaßwertung«). Eine Inflation solcher Spielthematiken (z.B. stalinistischer Terror, Pol Pot-Regime u.ä.) ist beileibe nicht zu erwarten. ›Imagination Is the Only Escape‹ könnte natürlich (großartig) scheitern, aber dies ist etwas, was wir einem Titel wie diesem zugestehen sollten. Als aufstrebendes Massenmedium werden sich digitale Spiele über kurz oder lang auch mit diesen Themen beschäftigen. Hoffen wir auf einen verantwortungsvollen Versuch.