Hauen und Stechen

Digitales | Games: For Honor

Treffen sich ein Wikinger aus dem hohen Norden, ein Ritter des Hochmittelalters und ein japanischer Samurai auf einem trostlosen Stück Land. Nein, das ist nicht der Anfang eines Flachwitzes, sondern der Beginn eines epochalen Kampfes um Ehre und Überleben! Für welche Fraktion er gefochten hat und ob Ubisofts ›For Honor‹ nicht doch nur ein Witz ist, berichtet FLORIAN RUSTEBERG.

Es war lange Zeit ein ehrenvoller Kampf. Die Walküre führt ihren langen Speer behände gegen den Ritter in voller Rüstung. Dessen überraschend schnelle Angriffe mit dem mächtigen Langschwert prallen zu oft an der dichten Deckung der geschickten Schildmaid ab. In dem halb zerfallenen Turm, wo sie kämpfen, kann es nur einen Sieger geben, während draußen Gewitter und Regen die Stimmung vorgeben. Als auch ein stürmischer Schulterstoß des mittelalterlichen Recken in die Leere verläuft, wo eben noch seine Gegnerin stand, taumelt er. Seine Ausdauer versagt ihm den Dienst. Nun folgt ein gut abgepasster Stoß der Walküre, er stürzt zu Boden, wehrlos. Der Triumph ist nahe. Doch, bevor der Speer zum Todesstoß hinabsaust, erfasst eine gewaltige Stachelkeule die zierliche Frau und schleudert sie in das Verderben des nächstliegenden Abgrundes. Ein korpulenter, japanischer Riese steht triumphierend da. Würde sein Gesicht nicht von einer dämonischen Maske verdeckt, man würde ihn feixen sehen, während irgendwo auf der Welt eine Wagner-Schallplatte leise zerbricht.

Was nach wilder Fiktion zu klingen scheint, ist wirklich passiert. Nicht in der Realität, aber in ›For Honor‹, der neusten Kreation von Ubisoft Montreal. Nun gut, eine Schallplatte kam vermutlich nicht zu Bruch. Als exemplarische Illustration des Ringens um Ehre und Sieg, oder eben nur des Sieges, wie im Falle des Shugoki mit seinem stacheligen Kanabo, dient diese Szene aber allemal. So absurd das Szenario auf den ersten Blick anmuten mag, es bringt aus drei verschiedenen Epochen Kulturen zusammen, in denen der Kampf und die Ehre einen großen Stellenwert genossen. Das Gedankenspiel, diese gegeneinander Kämpfe bestreiten zu lassen, ist da nur naheliegend.

Die kreativen Köpfe bei Ubisoft verschwenden auch keine unnötige Zeit damit, eine plausible Erklärung zu ersinnen; die einführende Filmsequenz zeigt lediglich eine Ritterburg, die aus ihrer Umgebung herausgerissen wird und davonfliegt, woraufhin an einem neuen Ort der Kampf um knappe Ressourcen beginnt, die auch die beiden anderen Völker begehren. Bereits tausend Jahre sind so im ständigen Konflikt vergangen, als die Handlung des Spieles einsetzt.

Der Begriff »Handlung« mag beim Leser den Gedanken an eine epische Einzelspieler-Kampagne wecken, die in eine gut erzählte Geschichte mit detaillierter Charakterentwicklung eingebettet ist. Dieser Gedanke wird, genau wie die Walküre, mit harter Wucht in den Abgrund der Realität geschmettert. Die Handlung lässt sich leicht zusammenfassen: In einer zehnjährigen Reihe von Ereignissen wird die Hitze des Kampfes neu entfacht. Die mächtige Kriegerin Apollyon hat diese initiiert und orchestriert, weil die herrschende Kampfesmüdigkeit nicht ihrer Ideologie entspricht.

Der Spieler kämpft dabei nach und nach für jede der drei Fraktionen; mal in spannenden Missionen mit Abwechslung, mal in linear schlauchigen Missionen, die es nur zu durchlaufen gilt. Auf durchgehend hohem Niveau ist die Optik der Festungen und Lager, denen die Liebe zum Detail anzumerken ist. Die Szenerie sieht für die verschiedenen Völker einfach individuell stimmig aus. Abgesehen von einigen schön inszenierten Momenten gibt der Einzelspielermodus vor allem das Rüstzeug zum Erlenen der Spielmechaniken mit. In den Missionen kommen neun der insgesamt zwölf Streiter zum Einsatz. Neben deren eigenwilligen Spielstil stehen auch die Grundlagen des Kampfsystems auf dem Lehrplan. Bei moderatem Schwierigkeitsgrad unterhält die Mischung aus Tutorial XXL und Prolog für 5-6 Stunden.

Bestenfalls dient der Einzelspieler-Modus jedoch nur als Vorgeplänkel. Die Hauptschlacht findet in den verschiedenen Mehrspielermodi von ›For Honor‹ statt. In »Duell« und »Handgemenge« gibt es faire Kämpfe eins-gegen-eins oder zwei-gegen zwei. Sieger ist, wer drei Runden für sich entscheiden kann. Fairness liegt in der Form vor, dass die Wirkung von besseren Ausrüstungsgegenständen und die Nutzung von »Gaben«, einsetzbare Spezialfähigkeiten, deaktiviert sind. Ausschlaggebend sind einzig die eigenen Fertigkeiten, die zwölf Recken stehen von Anfang an jedem zur Verfügung.

Anders sieht das bei den drei übrigen Modi aus, die für den Kampf vier-gegen-vier konzipiert sind. Bei »Vernichtung« wird wieder rundenweise gekämpft, Chaos ist hier vorprogrammiert. Schnell kommt es zu Situationen, in denen ein einziger sich gegen zwei, drei oder vier Gegner behaupten muss. Das »Scharmützel« erlaubt es hingegen nach dem eigenen Tod erneut in die Partie einzusteigen. Gewonnen hat hier, wer 1000 Punkte erreicht und danach das gegnerische Team komplett ausschaltet. Um Punkte zu sammeln, zählt nicht nur das Besiegen der vier Gegner.

Zusätzlich bevölkern computergesteuerte Soldaten das Spielfeld. Sie erscheinen scharenweise, sind einen Kopf kleiner als die richtigen Helden und lassen sich ohne viel Gegenwehr niedermähen. Lange Waffen, wie die Kriegsaxt, die der Plünderer der Wikinger führt, erwischen so mit einem Streich gut und gerne vier oder fünf dieser bemitleidenswerten Nebendarsteller. Im fünften und letzten Spielmodus, »Herrschaft«, spielen diese aber eine wichtige Rolle. Es geht darum, drei Zonen auf der Karte einzunehmen und zu halten. Bei jeweils zweien reicht es aus, alle Gegenspieler daraus zu vertreiben. Der dritte Punkt kann nur von den Soldaten eingenommen werden. Die Spieler müssen die gegnerischen Soldaten zurücktreiben und die eigenen vor den Gegnern schützen. Die Absprache innerhalb des Teams kann hier der Schlüssel zum Sieg sein, denn im Gegensatz zu den anderen vier Modi verlangt »Herrschaft« etwas Taktik. Übrigens lassen sich alle Modi auch als menschliches Team gegen computergesteuerte Gegner spielen.

Bislang unbeantwortet blieb die Frage, wie bei ›For Honor‹ gekämpft wird. Das Grundprinzip ist einem 2-dimensionalen »Beat ’em up« entlehnt. Statt der Möglichkeit tief, mittel oder hoch anzugreifen, gibt es im 3-dimensionalen links, rechts und oben. Um Angriffe des Gegners zu blocken, muss die Haltung angenommen werden, die der Richtung der Attacke entspricht. Zur Verfügung stehen leichte schnelle Schläge oder schwere langsame. Die Deckung des Gegners kann mit einem Griff durchbrochen werden, mit der anschließenden Chance auf einen Wurf. Ein Ausweichen ist auch möglich. Fortgeschrittene nutzen das Parieren zum Kontern und täuschen Angriffe an.

Doch das Beherrschen der Steuerung allein macht keinen Meister, dazu müssen die Fähigkeiten des eigenen Kriegers verinnerlicht sein und das Wissen um die des Gegenübers. Weiterhin gesellen sich noch diverse »Gaben« und der Rachemodus in das Curriculum des Kampfschülers. Neue Ausrüstung verändert neben dem Aussehen auch die Verteilung der Attribute; eine neue Klinge kann dafür sorgen, dass mehr Schaden ausgeteilt wird, aber dafür auch mehr eingesteckt werden muss. Im Endeffekt überwiegen die Vorteile hochwertiger Ausrüstungsteile gegenüber den Nachteilen. Frustrierend für Anfänger, wenn der Kontrahent nicht nur mehr Erfahrung hat, sondern auch einen Ausrüstungsvorteil hat.

Die Währung des Krieges heißt Stahl. Mit ihr werden Ausrüstungspakete gekauft, die vorhandene Ausrüstung aufgewertet und allerlei optische Anpassung erworben. Mit Ornamenten, Emotes und coolen Effekten kann der Krieger veredelt werden. Auch für Abkürzungen zum Freischalten aller Fähigkeiten kann der (optional auch gegen harte Euros erhältliche) Stahl genutzt werden. Um die besten Statuswerte zu erhalten, muss der Spieler – mittels Echtgeld oder ohne – mindestens Reputationsstufe 3 erklimmen. Und das wiederum kostet Zeit. Dennoch weiß Ubisoft genug Verlockungen am Wegesrand auszustreuen, um das Stahlguthaben abzuschmelzen. Ansonsten schlagen jedoch keine notwendigen Kosten abseits des Kaufpreises zu Buche. Die zukünftigen Erweiterungen, wie neue Kämpfer und Arenen, sollen allen Spielern zur Verfügung stehen, der 40 Euro teure Season-Pass gewährt lediglich einen sieben Tage früheren Zugriff und exklusive Anpassungen. Im ersten Jahr sollen alle drei Monate neue Inhalte verfügbar gemacht werden. Schon bei ›Rainbow Six Siege‹ hat Ubisoft ein ähnliches Konzept verfolgt und seine Versprechen gehalten, sodass auch mehr als ein Jahr später das Spiel attraktiv bleibt.

Hässlichen Seiten, die ›For Honor‹ zeigt, wirken hausgemacht. Die Menübedienung ist unnötig kompliziert, zum Spielen muss zwangsläufig eine Internetverbindung bestehen und zu oft werden dem Nutzer banale Fehlermeldungen vorgesetzt. Die automatische Spielsuche bricht daraufhin ab und Spielgruppen, die mit Freunden gebildet werden können, lösen sich einfach auf. Kommen Partien zustande, treten oftmals Verbindungsabbrüche auf. Das Problem ist: ›For Honor‹ setzt auf eine »Peer-to-Peer«-Verbindung, bei der die Nutzergeräte nur untereinander kommunizieren und kein starker Server die Datenlast stemmt. Das spart Kosten bei Ubisoft, doch das Prinzip des schwächsten Glieds einer Kette beschert dem Kunden unnötigen Ärger. Besonders bei acht Teilnehmern treten Rauswürfe von Mitspielern, oder einem selbst, eklatant häufig auf.

Bedauernswerte Unzulänglichkeit, denn sonst sind viel Leidenschaft und Feinarbeit in die Entwicklung geflossen. Creative Director Jason Vandenberghe gibt sein persönliches Interesse an historischen Kampfkünsten als Inspirationsgrundlage an und würde sich mit passendem Kostüm nahtlos in die von ihm geschaffene Welt einfügen. Jede der virtuellen Bewegungen wurde tatsächlich beim Motion Capturing von echten Menschen durchlebt und in Verbindung mit den akkuraten historischen Waffen ergibt sich ein intensiv natürliches Spielerlebnis, das der Kunst des Krieges huldigt. Gelungen ist auch die Gleichberechtigung: Seit die zu männliche Besetzung bei ›Assassins Creed‹ vor einigen Jahren für einen Aufschrei in sozialen Medien sorgte, ist den letzten Produktionen von Ubisoft stets eine natürliche Integration weiblicher Charaktere gelungen. Bei den meisten Kämpfern in ›For Honor‹ können beide Geschlechter gewählt werden; jeweils drei Klassen, wie etwa die Walküre, sind geschlechtsexklusiv.

Fazit

›For Honor‹ präsentiert sich als innovatives, sehr gutes Kampfspiel, das den Spieler regelrecht mitfühlen lässt. In der Tat gelingt es einem Spiel selten, Gefühle von Wut und Übermut, Triumph und Enttäuschung so auszulösen wie es ›For Honor‹ tut. Ergänzt durch das wunderbare Design und die Authentizität des Kampfes ergibt sich ein hochwertiges Gesamtpaket. Technische Mängel im Bereich Nutzerfreundlichkeit und insbesondere die katastrophalen Verbindungsprobleme hinterlassen auch auf dem schmucksten Schwert hässliche Scharten. Ebenso ist das Erlernen und Meistern des Kampfes um die Ehre kein Honigmetschlecken und kann Gelegenheitsspieler schnell frustrieren. Wer allerdings die Sturheit und Zähigkeit eines gestandenen Nordmannes besitzt, wird mit herausfordernden Duellen und einem Blutrausch belohnt.

| FLORIAN RUSTEBERG

Titelangaben
For Honor
Ubisoft Montreal
bereits erschienen für Playstation 4, Xbox One und Windows PC(uplay).
Ab 59,95€

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