Folkdays aren’t over – Tish Hinojosa/Luai

Musik | Tish Hinojosa:After The Fair/Luai:Boulder Thicket/Nataly Dawn: How I Knew Her

Mehr Songwriting-Veröffentlichungen – diesmal von drei Frauen der eigenwilligsten Art: Tish Hinojosa, Luai, Nataly Dawn. Gehört von TINA KAROLINA STAUNER

Songperlen vom Allerfeinsten – Tish Hinojosa

TishDie Fähigkeit zum Schreiben wunderschönster Songs hat die Amerikanerin mexikanischer Herkunft Tish Hinojosa schon immer. Manchmal bis zur Perfektion. Wie diesmal! In ihre Mixtur aus mexikanischem Folk und Singer-Songwriter-Pop hat sie eine ganze Menge gespielte Naivität mit eingebaut. Gleich die beiden ersten Songs der neuen CD ›After The Fair‹ sind ein Inbegriff an Hübschheit und lassen trotzdem auch an Substanziellem nicht missen. » … In this city where I am / Every now and then / I have to bite my tongue / ‚Cause I’m feeling / That I don’t belong…« (›Cobblestones‹).

Tish Hinojosa lebte längere Zeit in Hamburg und in Berlin wurde nun ›After The Fair‹ aufgenommen. Moe Jaksch hat produziert und auch als einer der prägenden Musiker mitgewirkt. Die annähernd 60-jährige Tish Hinojosa scheint musikalisch irritierend jugendlich und unverbraucht und macht also Nachfolgegenerationen vor, wie erstklassiges Songwriting geht. Singt Hinojosa spanisch, ist sie immer dem Traditionsverbundenen recht nah. Ihre englischsprachigen Songs hingegen sind nicht selten entdeckenswert reizende Perlen der Popmusik.

Joan Baez und Kris Kristofferson, mit denen sie unter anderem auch zusammenarbeitete, sind zwar verwandte Seelen im Country, den Hinojosa durchaus auch verinnerlicht hat. Doch ist Hinojosa dem Pop oft einen guten Touch näher. Und nie gerät sie dabei in zu seichte Gewässer. Die Sängerin und Gitarristin Tish Hinojosa bietet souveränes Songwriting vom Allerfeinsten. Zudem widmet sie sich auch politischen und sozialen Themen und erhielt so schon eine Einladung von namhaften Politikern wie den Clintons.

Folksongs wie seltsame Träume – Luai

Luai-Boulder-ThicketDa hält sich offensichtlich ein unbekleidetes weibliches (oder androgynes?) Wesen tagträumend mit geschlossenen Augen über Wasser in einer merkwürdigen Siedlung, in der alle Straßen überflutet sind, und dürre Rauch-Zweige von Kaminen aus in den Himmel emporstreben. Jedenfalls auf dem gezeichneten Coverdesign von ›Boulder Thicket‹, der aktuellen Veröffentlichung von Luai. Luai ist die Finnin Saara Markkanen zusammen mit Mitmusikern.

Auf ›Boulder Thicket‹ hört man fragile und spröde Folkmusik. Zwar wie man sie immer wieder von allen möglichen mehr oder weniger interessanten Leuten angeboten bekommt. Doch: Luai ist eine herausragende Ausnahmeerscheinung. Es gibt Momente, da möchte man fast an Nick Drake denken. Introspektiv versponnen oder auch verhalten swingend klingen die Songs von Luai. Hübsch und manchmal leicht schräg. Und jeden Moment wie kleine Kostbarkeiten. Luais Lieder konnten mich vom ersten Kontakt an in den Bann ziehen.

Saara Markkanen lebt derzeit in Berlin und spielt erst seit einigen Jahren akustische Gitarre, was sie sich einfach beim Songschreiben beigebracht hat. Ihre Lyrics handeln von Befindlichkeiten. So etwas verarbeiten auch andere Musiker zu Stücken, aber nicht immer so schwebend schön wie bei Luai. Markkanen schreibt über nebensächliche Kleinigkeit oder große Gefühle gleichermaßen. Klingt dabei altklug naiv. Weiß beispielsweise etwas über Einsamkeit: »…I knew how to give / but not to receive / Lonely as alone can be / I am full of empty sounds laying around / Lonely as alone can be.« (›Lonely As Alone Can Be‹) Oder Zeilen, die mit dem Coverbild korrespondieren: »…too much of everything / enough of nothing / I stand still as the rivers flow by / In the middle of it all I forgot to ask why // I travelled far to meet all my tomorrows / only one greeting me was my past / running away from all the sorrow / I travelled far and I travelled fast…« (›Nobody Is An Island‹) Und weiß noch vieles mehr zu berichten. Das zu akustischer Gitarre, Bass, Perkussion, Piano, Cello und Holzblasinstrumenten erzählt wird. Luai ist ganz sicher etwas Besonderes im Meer des Songwriting.

Songwriting kokett und oldschool-mäßig – Nataly Dawn

dawnNataly Dawn schreibt ganz amerikanisch oldschoolhaft als Songwriterin und nimmt klassisch mit Band in einem Raum auf. Dawn ist aber eine junge Frau, die in Frankreich aufwuchs, dann in den USA ein Universitätsstudium Kunst und Literatur absolvierte. ›How I Knew Her‹ ist ihr zweites Soloalbum. Der Sound ihrer Band verweist auf die grobkörnige Unmittelbarkeit traditioneller Folkmusik mit bluesigen Einsprengseln.

Dawn wirkt wie college gratuated einerseits, streetwise andererseits. Eine spannungsgeladene Mischung. Dawns Stimme ist kraftvoll bissig, mal hell mal dunkel, und sie gibt sich dabei teils auch kokett sophisticated und spielerisch smart. ›How I Knew Her‹ klingt oft ein bisschen nach Aufnahmen von Sam Phillips, was keineswegs nachteilig ist. Vermutlich hat Dawn auch einige Ahnung von der Songwriterszene in Los Angeles. In Kalifornien lebt sie derzeit. In Dawns exzellenter Band fällt prägend der Gitarrensound auf. E-Gitarrist ist Ryan Lerman. Man findet ihn auch an Banjo und Mandoline. Dawn selber spielt auf der CD akustische Gitarre und einmal Piano. Die Gitarrenarbeit von Lerman und Dawn wird immer wieder stark rhythmisch und kantig. Das Backing von Louis Cole und Matt Chamberlain am Schlagzeug ist sparsam, eckig und klar, der Standbass von David Pitch ruhig und warm. Manche Songpassagen betonen Streicher und Bläser.

Die Instrumentalisten der Band arbeiten außer mit Dawn mit namhaften Musikern wie z.B. Bill Frisell, Bonnie Raitt oder K.D. Lang zusammen. Dawn und Band sind sich ihrer musikalischen Präsenz spürbar sicher. Nataly Dawn entstammt dem Duo Pomplamoose, das sie vor ihren Soloveröffentlichungen mit Jack Conte zusammen formierte. Beide begannen 2008 independent über das Internet. Conte hat das vielversprechende ›How I knew Her‹ produziert. Das in den Prairie Sun Studios in Cotati in Kalifornien aufgenommen wurde, wo zuvor einige von Dawn’s Lieblingsalben von Tom Waits entstanden waren. Und sehr eigenwilligen Charakter zeigt entsprechend auch Nataly Dawn.

| TINA KAROLINA STAUNER

Titelangaben
Tish Hinojosa: After The Fair
Luai: Boulder Thicket
Nataly Dawn: How I Knew Her

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Paranoia mit Stil

Nächster Artikel

Free Jazz & Free Space & Impro

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

There will be blood

Musik | Toms Plattencheck Ob Blues, Stonerrock, minimalistischer Proto-Punk oder Acid House. Auch diese Woche wird wieder fleißig mit den Bausteinen der Popgeschichte jongliert. Von TOM ASAM

Krakaus Kroke

Musik | Kroke: ten pieces to save the world

Oriente Musik in Berlin hält dem Trio Kroke aus Krakau die Treue. Kroke - das sind der Multiinstrumentalist Tomasz Kukurba, Jerzy Bawol am Akkordeon und Tomasz Lato am Kontrabass, zu denen sich dann noch Gäste gesellen. Kukurba und Lato – die Technik macht's möglich – simulieren fallweise ein ganzes Streichorchester. Von THOMAS ROTHSCHILD.

Raus aus dem Club

Musik | Toms Plattencheck Pupkulies & Rebecca sind kein Duo, sondern ein aus Janosch und Rebecca Blaul sowie Sepp Singwald bestehendes Trio, das sich bereits auf vier Alben zwischen Clubmusik auf der einen und Folk oder auch Chanson auf der anderen Seite austobte.

Schmetterling und Eulenmann

Musik | Toms Plattencheck Die Londoner Breton machte sich einen Namen als Kollektiv, das zwischen Film und Sound aktiv ist. Seit dem letztjährigen Debütalbum Other People´s problem auf Fat Cat Records werden sie definitiv mehr als Band wahrgenommen. Und das wird sich mit dem neuen Album War room stories bestätigen. Von TOM ASAM

Folkdays … Blues im Gestern und Heute des Genres und Lebens

Folkdays… Bluesplayers Walter Trout, Jonny Lang und Eilen Jewell Mit Schrecken sieht man hierzulande in den Medien die Naturkatasthrophe der Hurricane ›Harvey‹ und ›Irma‹ an der Golfküste Nord- und Mittelamerikas. Eine Region, die auch Heimat bekannter Musiker ist. Von TINA KAROLINA STAUNER