Großstadt-Klangkleingärten des Indie-Rock

Musik | The Town Heroes: ›Everything‹ / Juanita Stein ›Get Back To The City‹

Einfach mal Songwritern zuhören, die wie Typen aus dem Nachbarschaftsviertel wirken: Das sind die Indie-Rocker The Town Heroes aus Halifax in Kanada. Könnte man doch schon lang mal vorbeischauen. Demnächst sind sie in Deutschland auf Bühnen. Mit grobkörnigem Songmaterial, fein abgestimmten Harmoniegesängen und gitarrenlastig ausgefeilten Arrangements. Dazu garnieren sie nun auch ironisches Gehabe. Von TINA KAROLINA STAUNER

The Town Heroes - EverythingThe Town Heroes sind eventuell Poeten, wie der neue Song ›Poets‹ vermuten lässt. Und sie sind offenbar optimistisch, wie der Albumtitel ›Everything (will be fine when we get to where we think we’re going)‹ ahnen lässt. Die Musiker sind nicht nur im musikalischen Traditions-Sumpf des Indie-Rock, der nie unterschätzt werden darf, sondern integrieren ästhetische Variationsmöglichkeiten. Die Band aus Cape Breton setzt sich zusammen aus Toria Cameron am Bass, Bruce Gillis an Drums, Aaron Green an Gitarre und Mike Ryan an Keyboards und Gitarre. War Mike Ryan früher ein Sonntagskind, das zum Liebling der Götter wurde und schließlich eine CD mit ›Sunday Movies‹ betiteln konnte? Vielleicht hat er immer das Glück auf seiner Seite. Vielleicht ist er ein unheimlicher Geisterseher.

Vor Jahren soll Mike Ryan noch von der Zusammenstellung von Geschichten geredet haben, in denen er persönliche Dinge erzählt über seine Gefühle und Erlebnisse. Mittlerweile gibt es mehr zynisches Zeug von The Town Heroes und der Sound hat zuweilen »fun vibe«. Wenn mal wieder die Dinge auseinanderfallen in alter Songwriter-Tradition nimmt man einfach eine Dosis »ever-evolving pop-sensibility« dazu, dann ist das alles nicht nur »alt-rock core«. So scheinen The Town Heroes sogar mainstream-kompatibel zu werden. Und nicht bloß simpel in Low-Budget- oder Lo-Fi-Manier zu werkeln.

Konnte sich Authentizismus das eine oder andere Mal musikalisch bewähren, sehen sich auch diese Musiker dann wiederum doch mindestens tendenziell in »comedy«. Einer Position als Team-Manager bei Working-Joes im Middle-Class-Sector dürften sie als souveräne Musiker auf jeden Fall entkommen. Mittlerweile international bekannter als Bandgründungen wie The Head, Quality Living oder Sierra Blanca, bei denen man schon mal erwägen könnte, Songmaterial zu beleuchten.

The Town Heroes haben im Gepäck soliden Indie-Rock mit einer Idee mehr Folktendenz als Garagenbeat. Sie können straight klingen wie Built To Spill, Hüsker Dü oder Buffalo Tom. Drei einer Vielzahl. Über ›Everything‹ könnte dann später alles aber vielleicht wie so oft wieder mal in hippen Post-Grunge driften. Gibt es eigentlich Fun-Grunge für den Mainstream? Gegen das Grunge-Nirvana, in dem sich auch Soundgarden, Stone Temple Pilots oder Melvins tummeln, im Museum manch zerbrochener und manch substanzieller Freundschaft.

Über das Jahr 2017 schrieb jemand: »This was supposed to be the year indie rock came back…« Mit The Town Heroes ist Indie-Rock da.

Zwielichtiges ›Until The Light Fades‹ von Juanita Stein

Von der australischen Sängerin und Gitarristin Juanita Stein stammen surreal-spröde Lieder. Sie spielte einst bei The Howling Bells. In der Londoner Szene im New Wave-, Folk- und Prog-Rock-Umfeld arbeitete sie an Stücken, die nun zunehmend Americana- und Country-Touch erhalten. Inspirieren lässt Juanita Stein sich von vielen Musikerkollegen und von Kino und Träumen.

juanita steinUnwirkliche Welten im Düsteren und in Zwischenzuständen von Wachsein und Fantasieträumen sind in ihrem musikalischen Eklektizismus so was wie ein Faible. Sie war kürzlich in einem Line-up neben Bryan Ferry. Fasziniert blickt die Australierin immer wieder nach Amerika und veröffentlichte im vergangenen Jahr ihre musikalischen Analysen und Geschichten mit ›America‹. Jetzt erscheint ihr Album ›Until The Light Fades‹, das auch in den USA aufgenommen wurde. Produziert wurde von Stuart Sikes. Etwas Country-Twang hatten ihre Songs in einer Atmosphäre mit Momenten »seelenvoller Traurigkeit« aber starkem Rhythmus schon immer.

Stein schielt dabei manchmal auf Roy Orbison. Und sie soll Nirvana mögen. Uneinordenbare Tracks zwischen Unruhe und Ruhe, seltsame Spuren zwischen Zwist und Melodie gehören zum Feeling des Sounds dieser Frau. Sie absorbierte Musik von Punk bis Jazz und Soul. Und spielte mit Blues-, Folk-, Roots-Elementen, in die auch die Ästhetik von Prog und Pop geblendet wurde bei The Howling Bells. In einer früheren Phase, in der sie sich eigens auf englische Musikexzentriker bezog. Bevor das neue Solo-Album veröffentlicht wird, gibt es ein erstes Video mit dem Song ›Get Back To The City‹. Indie-Rock scheint zurück.

| TINA KAROLINA STAUNER

The Town Heroes: ›Everything (will be fine when we get to where we think we’re going)‹
(Ground Swell Music, 2018)

Juanita Stein: ›Until The Light Fades‹
(Nude Records)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

» … Tagarbeiter, kein Nachtarbeiter«

Nächster Artikel

Das Morgengrauen

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Mehr Filler als Killer

Musik | alt-J: This Is All Yours Ganz so schmackhaft und leicht bekömmlich wie ihr Debüt klingen die britischen Alternative-Popper alt-J auf ihrem neuen Album nicht. Schade, findet MARTIN SPIESS.

Folkdays aren’t over … Daniel Kahn & The Painted Bird

Musik | Daniel Kahn & The Painted Bird: The Butcher’s Share Daniel Kahn & The Painted Bird mit ›Bad Old Songs‹: Jiddischlandgetönte Mitternachtsträume – »we grew to cross many borders, different roads, different homes« (Daniel Kahn). Von TINA KAROLINA STAUNER

Folkdays… ›Sisaret‹ mit mystischen und mytischen Gestalten

Musik | Suden Aika: Sisaret In mehreren Chören und Bands haben vier skandinavische Folk-Musikerinnen Erfahrungen gesammelt und sind seit 15 Jahren auch Suden Aika. ›Zeit der Wölfe‹ bedeutet dieser Name. Sie spielen moderne Folkmusik, die sich auf das finnische Epos Kalevala bezieht. Von TINA KAROLINA STAUNER

No time to lose

Musik | Raphael Hussl: No time to lose Das Album ›No time to lose‹ von Raphael Hussl besingt die Sehnsucht und die Hoffnung, kurzum: die Liebe. MARC HOINKIS berichtet.

Survival of the Cool

Musik | Chico Freeman & Fritz Pauer Trio: The Essence of Silence Fritz Pauer, Jahrgang 1943, ist ein Stiller. Seine Seriosität eignet sich nicht für Schlagzeilen. Was nur Insidern bekannt ist: Er muss als der neben Joe Zawinul bedeutendste österreichische Jazzpianist gelten. Und das schon seit einem halben Jahrhundert. Friedrich Gulda schätzte den jungen Fritz Pauer, er hat mit ihm gespielt und wohl auch von ihm Einiges über Jazzfeeling gelernt. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn der Saxophonist Chico Freeman, der im Lauf der Jahre mit zahlreichen internationalen Legenden des Jazz aufgetreten ist und Schallplatten aufgenommen hat, just mit