/

Die Erlöserin

Krimi | Bernhard Aichner: Totenfrau

Wer möchte schon Brünhilde heißen? Hagen Blums Tochter jedenfalls nicht. Und so beschließt die 16-Jährige, dem Vater, einem bekannten Innsbrucker Bestattungsunternehmer, die Nibelungentreue aufzukündigen und fortan nurmehr unter ihrem Nachnamen aufzutreten. Doch nicht nur in diesem Punkt setzt Blum ihren Kopf durch. Auch der verhassten Adoptiveltern weiß sie sich ein paar Jahre später so raffiniert wie brutal zu entledigen. Und lernt bei der Gelegenheit auch noch den Mann ihres Lebens kennen. Doch wenn das Glück am ungetrübtesten scheint, fangen die Albträume gewöhnlich erst an. Bernhard Aichner neuer Krimi Totenfrau. Von DIETMAR JACOBSEN

Aichner_BTotenfrau_142296
Bernhard Aichner hat mit der zwischen 2010 und 2012 erschienenen dreiteiligen Max-Broll-Reihe (alle im Innsbrucker Haymon-Verlag) schon einmal geübt. Der »kriminalisierende« Totengräber Broll ist sozusagen der Vorläufer der taffen Totenfrau Blum, die das Bestattungsgeschäft ihres Ziehvaters nach dessen und seiner Frau Ableben übernommen hat. Dass sie den bedauerlichen Unfall auf einem Segeltörn selbst inszenierte, ahnt der Polizist Mark, der sie damals allein an Bord des mitten auf dem Meer vor Triest treibenden Bootes fand, offenbar nicht. Und so ist acht Jahre und zwei Kinder später eine glückliche, vierköpfige Familie zu bewundern, der es an nichts fehlt. Bis zu dem Augenblick, da Blums Mann Opfer eines Verkehrsunfalls mit Fahrerflucht wird.

Doch was bedeuten die Gesprächsaufzeichnungen, die Blum im Nachlass des erfolgreichen Kriminalpolizisten findet? Gibt es die junge Frau tatsächlich, die behauptet, gemeinsam mit zwei Mitgefangenen von fünf Männern jahrelang in einem Keller eingesperrt, missbraucht und gefoltert worden zu sein? Und was, wenn Mark diesen Fünfen – einem Fotografen, einem Priester, einem Jäger, einem Koch und einem Clown, wie sie von dem Opfer bezeichnet werden – tatsächlich auf der Spur war und deshalb sterben musste?

Ein Fotograf, ein Priester, ein Jäger, ein Koch und ein Clown

Totenfrau ist ein Rachethriller, der seinen Lesern kaum Ruhe gönnt. In kurzen, abgehackten, vorwärtstreibenden Sätzen – ein Stil, der manchmal auch ein wenig nervt – begleiten wir eine Frau auf die Mission ihres Lebens. Nichts kann Blum, einmal die Spur der fünf Männer aufgenommen, davon abhalten, sie zu jagen. Zumal sie damit nicht nur den Mördern ihres Mannes den Prozess macht, sondern auch einen Wettlauf mit der Zeit um das letzte, vielleicht noch lebende Opfer führt.

Ausfindig machen, eine Falle stellen, das Wild erlegen – so funktioniert Aichners Roman über mehr als vierhundert Seiten. Dass es sich bei den Gejagten noch dazu um ehrenwerte Mitglieder der besseren Gesellschaft aus (fast) allen Lebensbereichen handelt, die sich erhaben über das Leben und die Würde anderer fühlen – auf gut österreichische Art, möchte man meinen, wenn man an die Fälle Prîklopil und Fritzl sowie das, was sie angerichtet haben in Literatur und Film von Schenkels ›Bunker‹ bis zum letzten Ösi-Tatort ›Abgründe‹, denkt –, rechtfertigt den Blumschen Rachefeldzug sogar moralisch. Denn jeder der Fünf dürfte über Mittel und Wege verfügen, seinen Hals, sollte er einmal in eine Schlinge geraten, unbeschadet aus dieser wieder herauszuziehen. Was bleibt der ›Totenfrau‹ da anderes übrig, als mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln für Gerechtigkeit zu sorgen.

Ausfindig machen – eine Falle stellen – das Wild erlegen

Wer an Alexandre Dumas‘ Der Graf von Monte Christo seine Freude hat und nicht die Augen schließen muss, wenn das taffe Frauenquartett in Quentin Tarantinos ›Death Proof‹ am Ende mit dem perversen »Stuntmann Mike« abrechnet, dem wird auch Totenfrau gefallen. Zumal uns Bernhard Aichner Einblicke in ein Gewerbe verschafft, in dem er selbst dem Vernehmen nach ein halbes Jahr hospitierend unterwegs war, denen man so detailliert in anderen Romanen kaum je begegnet. Allein den Schluss ahnt der routinierte Krimileser lange schon voraus. Und auch ein bisschen Witz und Ironie hätten dem bierernsten Treiben rund um Innsbruck ganz gut getan. Vielleicht finden sich die aber dann in der geplanten Verfilmung wieder.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Bernhard Aichner: Totenfrau
München: btb Verlag  2014
446 Seiten. 19,99 Euro

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Alles unter Kontrolle?

Nächster Artikel

Icke bin ein Berliner

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Projekt »Seelenfrieden«

Roman | John Ajvide Lindqvist: Signum

Mit Signum setzt der schwedische Bestsellerautor John Ajvide Lindqvist nach Refugium seine Mittsommer-Trilogie fort. Wieder stehen die Schriftstellerin und Ex-Polizistin Julia Malmros und der 20 Jahre jüngere Hacker Kim Ribbing im Mittelpunkt. Letzterer hatte am Ende von Band 1 den »Schockdoktor« Martin Rudbeck in seine Gewalt gebracht. Denn er war eines jener jugendlichen Opfer, denen Rudbeck mit rabiaten, an Sadismus grenzenden Methoden ihre Psychosen auszutreiben versuchte. Nun findet sich der Mann im Keller von Ribbings Haus genauso angekettet wieder, wie er einst die ihm anvertrauten jungen Menschen in seiner Klinik in Fesseln gelegt hatte, um sie mit Elektroschocks zu quälen. Aber worauf soll Kims Racheaktion eigentlich hinauslaufen? Derweil recherchiert Julia im Umkreis der rechtsradikalen »Wahren Schweden« und bringt sich und ihre Freunde erneut in große Gefahr. Von DIETMAR JACOBSEN

Trauen darf man wirklich keinem

Roman | Garry Disher: Moder

»Plane fürs Optimum, erwarte das Schlechteste, beachte die Fluchtwege«, ist nach wie vor Wyatts Devise. Garry Dishers Gangster ohne Vornamen, aber mit Überzeugungen hat sich in seinem neunten Abenteuer in Sydney niedergelassen. Mit heißen Tipps für gewinnbringende Coups versorgt ihn der im Gefängnis sitzende Sam Kramer bei seinen Freigängen. Dafür kümmert sich Wyatt um dessen Familie. Bis die gut funktionierende Tour eines Tages schiefgeht und ein paar andere von Wyatts nächstem Coup Wind bekommen. Von DIETMAR JACOBSEN

Henker haben keine gute Presse

Krimi | Fred Vargas: Das barmherzige Fallbeil Fred-Vargas-Romane sind immer ein Abenteuer. Sie beginnen in der Regel mit einem Mordfall im Hier und Heute und führen anschließend auf verschlungene Pfade. Da kann es dann durchaus passieren, dass man als Leser ein bisschen der Führung bedarf. Sich gelegentlich sogar wünscht, die geneigte Autorin möge ihrer Phantasie doch ein bisschen die Zügel anlegen, wenn sie einen mitnimmt an verbotene Orte oder in Nächte des Zorns. Aber das ist wohl genauso vergeblich, als würde man ihrem Serienhelden, dem Pariser Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg, das Träumen verbieten, jene schlafwandlerische Intuition, mit der er gewöhnlich seine

Im Holzkrug geht die Post ab

Film | Im TV: TATORT (RB) – Hochzeitsnacht (20.04.2014; Wh. vom 16.09.2012) Das mögen wir. Rainer rockt die Hochzeitsfeier. Aber erst einmal liegt im Herbstlaub eine Leiche engelgleich quer auf dem Bildschirm. Der Vorspann zeigt weitere hübsche Bilder ohne Fehl und Tadel. Sie werden von einfühlsam zarten Tonfolgen untermalt, und über den gesamten Film wird Musik (Stefan Hansen) erfreulich dezent eingesetzt. Der liebliche Vorspann täuscht: Im »Holzkrug« geht die Post ab. Zu »Liebe ohne Leiden« taut endlich sogar Inga Lürsen (Sabine Postel) auf, die mit ihrem Kollegen Stedefreund (Oliver Mommsen) zu den geladenen Gästen gehört. Stimmungsvoll und hanebüchen – so

Für Zuckerwatte und hungernde Kinder

Roman | Ross Thomas: Der Messingdeal Und weiter geht es mit der Ross-Thomas-Reihe im Berliner Alexander Verlag. Band 14 heißt Der Messingdeal und ist im Original 1969 unter dem Titel The Brass Go-Between erschienen. Zum ersten Mal taucht hier bei Thomas der weltläufig-gebildete »Mittelsmann« Philip St. Ives als handelnde Figur auf. Sein Erfinder hat ihm bis 1976 dann noch vier weitere Abenteuer gegönnt. Alle fünf St. Ives-Fälle erschienen übrigens zunächst unter dem Pseudonym Oliver Bleek – vielleicht um den Eindruck zu vermeiden, hier schriebe einer seine Bücher inzwischen gar zu routiniert herunter. Von einem Qualitätsabfall gegenüber dem Rest des Werks