Gesellschaft | Florian Schui: Austerität. Politik der Sparsamkeit
Die Lektüre hebt uns heraus aus der Hektik der Gegenwart, denn, Florian Schui folgend, sei es keineswegs das erste Mal, dass leidenschaftlich um eine ›Politik der Sparsamkeit‹ gerungen werde. Sparsamkeit sei auch emotional tief in uns verankert, sie beginne bei der Aufforderung der Eltern, einen Keks zur Zeit zu nehmen und nicht alle aufzuessen; auch diese Haltung begründe die zeitlose Anziehungskraft von Austeritätsargumenten, die im Übrigen seit zweieinhalb Jahrtausenden in der einen oder anderen Ausprägung die Debatten gestaltet hätten. Von WOLF SENFF
Schui löst die Debatte aus der ökonomischen Terminologie, er schreibt über frühchristliche Askese, über Hedonismus, über mittelalterliche »Kosumabstinenz« und »Revolutionen der Verbraucher« im Anschluss an die Entdeckung neuer Schifffahrtswege. Der römische Stoiker Seneca sei zu Voltaires Zeiten verspottet worden, weil er allerlei »schöne Redensarten« über die Verachtung des Reichtums gemacht, selbst aber ein Leben in Luxus geführt habe.
Der wirtschaftspolitische Paradigmenwechsel der 70er Jahre
Erst seit dem neunzehnten Jahrhundert habe sich die Debatte auf die Ökonomie konzentriert, und Schui stellt John Maynard Keynes und Friedrich Hayek als Wirtschaftstheoretiker vor, die das Zwanzigste Jahrhundert prägten. Nach Keynes, Vertreter eines antizyklischen staatlichen Interventionskalküls, sei Mitte der siebziger Jahre mit Margaret Thatcher, die sich an Hayek orientiert habe, eine grundlegende Wende eingetreten, die den Neoliberalismus begründete.
Hayek, der schon während der dreißiger Jahre für seine antikeynesianischen Positionen bekannt war, habe jeglichen staatlichen Eingriffen misstraut; die Wirtschaft besitze die Fähigkeit, »sich auf evolutionäre Weise an neue Herausforderungen anzupassen«. Je mehr Einfluss der Staat habe, desto größer sei die Bedrohung der Freiheit, und unter dieser Leitlinie sei die staatliche Substanz seit Mitte der siebziger Jahre seitens der Politik planmäßig reduziert worden; wesentliche Aufgabe des Staates sei Hayek zufolge der Schutz des Privateigentums und die Stabilität der Währung, und der Staat habe sich besonders in Krisenzeiten in Sachen Konsum und Investition zurückzuhalten. Schui nennt diesen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel »eine der größten Revolutionen« im Zwanzigsten Jahrhundert.
Das »Overshoot«-Desaster
Er bringt eine andere Tradition ein, die er in der Romantik begründet sieht, die sich immer schon als Gegengewicht zu einer rationalistischen Aufklärung verstand. Ihre politische Heimat seien die Grünen, initiiert wurde sie durch die 1972 publizierten ›Grenzen des Wachstums‹ des Club of Rome, inhaltlich ist sie durch Skepsis gegen wachsenden Konsum definiert bzw. durch – hier taucht der Begriff wieder auf: Austerität.
Aber die »grüne« Skepsis habe apokalyptische Dimensionen, denn selbst wenn der Mensch bei sichtbar werdenden Schäden eingreife, könne es zu spät sein, den Planeten zu retten – das »overshoot«-Desaster: Der Punkt, an dem keine Umkehr möglich sei, werde überschritten, während Wissenschaft und Politik noch auf empirische Beweise warteten. Schui weist aber auch darauf hin, dass diverse mit großem Aufwand erstellte Prognosen, etwa dass sämtliche Gold- und Silbervorräte in den achtziger Jahren ausgebeutet sein würden, sich als peinliche Irrtümer erwiesen hätten.
Neue Rahmensetzungen für Politik
Kurzfristig plädiert er besonders in der deutschen Wirtschaftspolitik, die zentrale Vorgaben für Europa setze, für eine vorbehaltlose Abkehr von der Politik des Sparens, generell jedoch hält er eine neue Ethik wirtschaftlicher Prinzipien für notwendig, die einer Entschleunigung gleichkommt, d. h. generell eine Ausweitung von Lebenszeit gegenüber Arbeitszeit, Zeit für Muße, Kultur, savoir vivre. Das bedeutet ebenfalls eine dezentralere Organisation.
Schui erinnert an Roosevelts ›vier Freiheiten‹, die dieser 1941 formulierte: Die Freiheiten des Glaubens, die freie Rede, die Freiheit von Not und von Angst. Diese können als bindende Verpflichtungen staatlicher Politik etabliert werden. Schuis Idee einer ›ethischen Austerität‹ impliziert eine auf Ausgleich bedachte Lohn- und Einkommensgestaltung.
Titelangaben
Florian Schui: Austerität. Politik der Sparsamkeit
München: Blessing 2014
256 Seiten. 19,99 Euro
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