Gesellschaft | M. Metz, G. Seeßlen: Geld frisst Kunst. Kunst frisst Geld
Beim Lesen dieser umfassenden Darstellung von Kunst in der Gegenwart kommt immer wieder die Frage auf, ob die geschilderten Phänomene nicht der Kunst ebenso wie dem Fußball zu eigen sind oder der Schauspielerei. Überhaupt fällt auf, dass Markus Metz und Georg Seeßlen einzelne Kunstwerke nur im Ausnahmefall erwähnen. Es geht in neoliberalen Zeiten um das neue Besondere von Kunst, das in der Ökonomie der Kunst bzw. in der Aneignung der Kunst durch Ökonomie sichtbar wird – ein Frontalangriff, der sie fundamental veränderte. Von WOLF SENFF
Nicht neu ist die Ambivalenz der Aneignung, sie ist subjektiv und ökonomisch, sie hat den utopischen Charakter von Kunst, und sie unterliegt den ›Regeln‹ des ›Marktes‹, Investitionen, Sponsoring, Kapitalisierung usw. usf. Das ließ sich vor Jahren noch unmissverständlich auf die Ambivalenz von Gebrauchswert und Tauschwert zurückführen, aber die Phänomene gewinnen neue Qualität.
Neue kulturelle Kreisläufe der Macht
Wir werden eingestimmt mit dem Verweis auf »neues globales Oligarchentum des Kapitalismus« und werden erinnert an Leon Black, den Inhaber einer Investment-Firma, und seine Frau, eine Broadway-Produzentin. Beide ersteigerten vor zwei Jahren Edvard Munchs ›Der Schrei‹ für 107 Mio. Dollar; sie erwarben »eine radikale Subjektivität, die sich der normale Museumsbesucher nicht mehr leisten kann«, und kommen nicht auf den Gedanken, dass »die da oben« auch nur »die immer gleichen Bilder« begehren, erwerben und tauschen – Kunst sei eben »nicht allein eine Metaphysik des kapitalistischen Produzierens, sondern auch dessen Parodie«.
Wahrzeichen der Städte seien heutzutage der Bankenturm als »Tempel des Geldes«, das Regierungsgebäude als »Tempel der Macht« und das Museum als »Tempel der Kreativität«, dieser als die letzte Bastion, in der die Freiheit sakral verehrt werde. In diesen »neuen kulturellen Kreisläufen der Macht« spiele Literatur so gut wie keine Rolle, Schriftsteller würden sich bekanntlich seit Längerem nicht als »Künstler« bezeichnen.
Privat vs. Gesellschaft
Der Kunsthandel habe sich zu einem Spektakel der Superreichen gemausert, der Umsatz mit Kunst habe 2011 weltweit 46,1 Mrd. Euro betragen, er spiele sich fern jeder herkömmlichen Lebenswirklichkeit ab, in Sphären, in denen, wie der Titel ankündigte, das Geld Kunst »frisst«, und umgekehrt nicht anders: Kunst »frisst« Geld.
»Die Kunst« zeige sich nur dem, der Zugang zu den herrschenden Kreisen habe, bei denen man sich schon mal privat einen Baselitz leiste – Kunst-Besitz »als Schwanzvergleich unter Herrschenden«. Und fast identisch, nur in feineren Tönen: »Der Neoliberalismus stellt das private Recht an der Kunst über das gesellschaftliche«.
Der totalitäre Markt
Seeßlen und Metz beschreiben die Inbesitznahme der Kunst durch die Oligarchen, weitergehend auch der Kunst im öffentlichen Raum, und nicht nur handle es sich um »einen obszönen Angriff des Kapitals auf das Kunstwerk und den Künstler«, sondern mehr noch, »das Kapital will die Kunst nicht nur besitzen, sondern auch definieren«, was letztlich ein totalitärer Anspruch ist: »Im schlimmsten Fall greift der totale Kapitalismus nach der Kunst nicht anders als der Faschismus oder der Stalinismus nach der Kunst gegriffen haben«.
Sie beschreiben einen Transfer der Kunst von der gesellschaftlichen Mitte in die Oligarchien, von Staat und Gesellschaft in private Hände sowie aus den armen in die reichen Regionen, sie sehen die Verschmelzung von Staat, Ökonomie und Gesellschaft »erst zum totalen, dann zum totalitären Markt«.
Luxuspreissegment, sorgsam verpackt
Dennoch bleibe der Doppelcharakter des Kunstwerks erhalten, der Käufer betreibe so etwas wie Ablasshandel, das ist keine neue Erkenntnis, er »erkauft sich Gnade durch das schöne Bild seiner Schuld«, es wandelt sich von einem »Spekulations- und Distinktionswert in ein Objekt der Erlösung«.
Der größte Wert der Kunst, so Seeßlen und Metz, liege »zurzeit in der panischen Angst, sie zu verlieren«. So hingen die meisten Werke, die reichen Privatsammlern gehören, gar nicht an den Wänden von Villen und Palästen, sondern würden »safe«gelagert an Orten mit Freihafenstatus, also zoll- und steuerfrei, in Genf, Singapur, Luxemburg oder Peking (ab 2015) in klimatisierten Temperaturen gelagert, hochsicherheitstraktkompatibel. Die Firma ›National Le Coultre‹ lagere fünfhunderttausend Kunstwerke aus dem Luxuspreissegment, sorgsam verpackt, Besuchern nicht zugänglich.
Kunst, Fußball, Schauspiel …
»Der Kunstmarkt funktioniert nur durch die Enteignung, Ausbeutung und Entfremdung der Künstlerinnen und Künstler«. Ergebnis ist, »dass einer kleinen Gruppe von Superstars ein Heer von Prekarianern, Losern, Vergessenen und Vernichteten gegenübersteht«.
Wie bei Fußball, beim Schauspiel, im Journalismus produziert die kapitalistische Gesellschaft bei den bildenden Künstlern einen geradezu grotesken Überschuss an arbeitswilligem und qualifiziertem Personal. Wir horchen auf, wenn vergleichbare Spannungen beim Fußball gelegentlich an die Öffentlichkeit drängen, etwa wenn Christian Kramer jüngst im SPIEGEL-Interview das Transferverhalten einiger Vereine als modernen Menschenhandel bezeichnet oder wenn ›Aftonbladet‹ den Gegner von Malmö FF, Red Bull Salzburg, den »meistgehassten Verein unserer Zeit« nennt, und ganz zu schweigen von den korruptionsgesättigten Herrschaften der FIFA.
VIP-Programme für Stammkunden
Wenn sich auch nichts verändert, so bleibt’s doch unterhaltsam. Aber es geht so nicht weiter, das wissen wir alle, diese Zustände sind unmöglich. Und sie wissen es selbst, diese Herrschaften, denn sie scheuen das Licht wie der Teufel das Weihwasser. Allerhöchste Zeit wäre es, dass eine öffentliche Debatte angeregt wird über diese Zustände.
Deshalb ist es verdienstvoll, dass Seeßlen und Metz den Kunstbetrieb in seiner Verwicklung in Finanzkapitalismus bzw. unter den Bedingungen neoliberaler Orientierung darstellen, sie sehen ihn geradezu in einer »avantgardistischen« Rolle, die Hege und Pflege potentieller Kundschaft geschehe etwa über sündhaft teure Partys beispielsweise auf der Biennale, zu denen die Stammkundschaft selbstredend kostenlos im Rahmen eines VIP-Programms hofiert werde, Rahmenprogramm, ›Collector’s Breakfast‹, so entstehe ein geschlossener Zirkel.
Der teure Spaß
Über die Identität der Mitglieder »herrscht strikte Omertà«, man könne von wenigen Tausend Sammlern weltweit ausgehen, es komme zu einer »Macht-Verklumpung«, alles sei unter Kontrolle und es bestehe »kein Interesse an einer Ausweitung des Marktes«. Der Staat sei aufgrund hoher Besteuerung längst ein stiller »Komplize des ökonomisierten Kunstbegehrens« – das nennen wir Oligarchie.
Monopolisierung der Strukturen des Kunstbetriebs und Mainstreaming der Inhalte würden einander ergänzen, Kunst werde medial inszeniert und eingebettet, sie werde kolonisiert bzw.: »Am Ende der bürgerlichen Gesellschaft zerbricht die gemeinsame Erzählung der Kunst«, wir blicken auf einen »finanzkapitalisierten Welt-Kunstmarkt«, die Kunst »ist geworden, was sie nie sein wollte: ein teurer Spaß.«
Die Auflösung gesellschaftlicher Zusammenhänge
Seeßlen und Metz betrachten Natur und Kunst als letzte Lebensräume, die frei von Kapitalzwängen erhalten bleiben können. Kunst »ist dem Menschen die Pforte zu einer Welt, die er nicht kennt«, doch das Umfeld des Kunstwerks in Zeiten des Neoliberalismus führe dazu, dass es den natürlichen Adressaten nicht erreiche, und, von der anderen Front, durch »digitale Verschleuderbarkeit« werde das Angebot unüberschaubar gemacht.
»Kunst« in der Postdemokratie arbeite mit »Monumentalisierung, Karnevalisierung, Sensualisierung, Extremisierung oder Technisierung«, so dass sich eine »Kultur« herausbilde, die »nach Marktgesetzen« arbeite und »profitorientiertes Denken« voraussetze, letztlich gehe es um eine permanente Auflösung von gesellschaftlichem Zusammenhang durch Staat und Wirtschaft, der Kunstmarkt »vernichtet den sozialen Wert der Kunst«.
British Rail Pension Fund
Das Kunstwerk befindet sich in einem Zeitalter seiner fundamentalen Ökonomisierung, und zwar bezogen auf alle seine Bereiche, also Produktion, Vermittlung und Erwerb, der Neoliberalismus feiert sich selbst.
Auf dem Kunstmarkt werde das als »Verteuerung und Verprollung« erlebt, mittlerweile werde auch die Auktion zum Kunstwerk, die Kunst drehe sich in einer »Spirale der Vulgarisierung, der Trivialisierung«. Und kaum sei der Rede wert, dass Investitionen in Kunst längst akzeptiert seien, allerdings als risikolastig gelten; höchst gewagt also, dass der British Rail Pension Fund, die Pensionskasse für die englischen Eisenbahnangestellten, 62 Mio. US-$ in Kunst investierte. Viele deutsche Banken würden mit Kunst spekulieren, »der Todestrieb der Kunst […] trifft sich mit dem Todestrieb des Kapitalismus«.
Der Leidensdruck steigt
Den Ausweg, den gibt’s nicht, außer dass Seeßlen und Metz im Anhang »Occupy Art!« einige widerständige Gesten beschreiben und ein abschließender Teil »Ein Manifest zur Rettung der Kunst für die Gesellschaft« zu eben diesem Zweck Thesen formuliert. Es geht darum, die Kunst zurückzuerobern, das ist ein gewaltiger Anspruch.
Die »dissidente Kraft der Kunst« müsse neu besetzt werden, denn sie diene der Menschwerdung des Menschen. Es steht Spitz auf Knopf, aber vielleicht hilft ja, dass auch der Fußball zum Spielplatz von Oligarchen wird. Die Szene von Popmusik und Schauspielerei dürfte sich ebenfalls nicht sonderlich davon abheben, der Leidensdruck steigt.
Titelangaben
Markus Metz, Georg Seeßlen. Geld frisst Kunst. Kunst frisst Geld. Ein Pamphlet.
Berlin: Suhrkamp 2014
496 Seiten, 20 Euro
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