Gesellschaft | Christiane Fritsche: Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt / Christiane Fritsche: »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus«
Lange vor dem Massenmord an den europäischen Juden setzten die Nationalsozialisten ein anderes Programm in die Tat um: die Verdrängung der deutschen Juden aus dem Wirtschaftsleben. Was das im Einzelnen für Geschädigte wie für die vielen Nutznießer bedeutete, können nur Lokalstudien belegen. Die beiden von Christiane Fritsche erarbeiteten Bücher zur Arisierung in Mannheim sind hervorragende Beispiele dafür.
Von PETER BLASTENBREI
Die kranke Fantasie der deutschen Faschisten ließ sich eine breite Palette von Maßnahmen einfallen, mit der jüdische Gewerbetreibende zur Aufgabe gezwungen werden sollten: Boykott jüdischer Geschäfte (erstmals 1. April 1933!), Kredit- und Liefersperren, Werbeverbote, Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe, Kaufverbote für Parteimitglieder und öffentliche Bedienstete, Terror gegen Kunden und schließlich Inhaftierung der Eigentümer, inszeniert von einer konzertierten Aktion aus Behörden, Parteistellen, Denunzianten und interessierten Konkurrenten, oft genug sekundiert von stiller Sabotage durch »arische« Angestellte.
In Mannheim hat es, verglichen mit anderen Städten, kein auffällig brutales Vorgehen gegen jüdische Geschäfte gegeben, wohl aber immer wieder ein Vorpreschen gegenüber reichsweiten Vorgaben, wie etwa das Verbot von Weihnachtsschmuck in jüdischen Läden 1933. Dass so Geschäfte leicht in den Ruin getrieben wurden, liegt auf der Hand – die große Krise war ja noch lange nicht vorüber. Damit gefährdete die Arisierung aber ein anderes NS-Ziel, den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. In Berlin hat man das erkannt und Radikale in der Provinz immer wieder zurückgepfiffen. Inwieweit es sich hier aber um einen echten Konflikt zwischen wirtschaftlicher Vernunft und radikalem Antisemitismus handelte oder um eine Art sinistrer »Arbeitsteilung« (Johannes Ludwig), lässt sich am Fall Mannheim nicht entscheiden.
Konzertierter Schädigungswille
Zu jeder Geschichte der Ausplünderung der deutschen Juden gehört die »Wiedergutmachung« nach 1945, eine Geschichte, fast ebenso abstoßend wie die der Arisierung. Denn nach der Gründung der Bundesrepublik wurde die Restitution bei allen grundsätzlichen Ansprüchen auf Rückgabe zu einer Sache der privaten Einigung. Die Profiteure kämpften nun mit allen juristischen Tricks um ihre Beute oder spielten auf Zeit. Nur, Zeit, das eben hatten die Geschädigten nicht, verarmt, deklassiert, psychisch und physisch beschädigt, wie sie waren. Zogen sich Prozesse zu lange hin, weit in die 60er Jahre manchmal, mussten sie oft geringe Abschlagszahlungen akzeptieren. Ein Seitenblick auf die eilfertigen Besitzrestitutionen in Ost-Deutschland nach 1990 ist durchaus lehrreich.
Die Autorin hatte den glücklichen Einfall, statt wie bisher üblich, Geschichtserzählung, Statistiken und Fallberichte im Buch räumlich zu trennen, Fallberichte als Exkurse, 26 an der Zahl, in die allgemeine Darstellung zu integrieren. Der Text gewinnt dadurch spürbar an Unmittelbarkeit und Kontur, denn zu jedem noch so nüchternen Verwaltungsakt, zu jeder Arisierungsstatistik gehören hier konkrete Einzelfälle, die die Auswirkungen bis ins tägliche Leben hinein dokumentieren.
Christiane Fritsche hat auf Bitten des Mannheimer Dekans die Grundstücksarisierungen zugunsten der Evangelischen Kirche in einer eigenen Publikation beschrieben. Es handelt sich dabei »nur« um drei der 1216 arisierten Grundstücke, eine Dienstvilla für den Stadtdekan darunter und das Diakonissenmutterhaus. Die Kirche war keine besonders harte Arisiererin, aber auch keine auffallend milde, und kirchliche Stellen kämpften nach dem Krieg wie alle anderen zäh um jede Mark Entschädigung.
Volk der Mitläufer, Volk der Nutznießer
Womit wir bei den Ariseuren wären. Namen wie Quandt, Neckermann oder Horten kennt man. In Mannheim war einer der größten Ariseure der Kaufhausbesitzer Heinrich Vetter, vielen noch gut bekannt als freundlicher, hochbetagter Mäzen, der für Kunst und Kultur immer eine offene Hand hatte. Seine Stiftung hat auch Fritsches Bücher mitfinanziert. Denn das ist das eigentlich Beklemmende, dass in einer mittleren Großstadt – Mannheim hatte in den 30er Jahren etwa 280.000 Einwohner – fast jeder Nachbar »dabei« gewesen sein konnte.
Aus Hundertausenden von Mitläufern machte die Arisierung aktive Nutznießer des Naziregimes, den Kaufhauskönig wie den Kaufmann an der Ecke – die für ihre »Schnäppchen« immerhin zahlen mussten – aber eben auch die Hausfrau, die beim Novemberpogrom 1938 ein paar Bettbezüge aus dem zerstörten Schaufenster mitnahm, oder den Hausmeister, der sich nach Deportation der letzen Mannheimer Juden 1942 in einer verlassenen Wohnung bediente. Überhaupt, vielleicht sollte man das Geheimnis des bleiernen Schweigens der 50er und 60er Jahre über die NS-Zeit nicht mehr so sehr in komplizierten psychischen Verdrängungsprozessen suchen als eben hier. Ganz simpel im Diebskomment.
Eben darum sind beide Veröffentlichungen auch für alle zu empfehlen, die keine besonderen Bindungen an Mannheim haben. Ohnehin gibt es nicht viele Lokalstudien zur Arisierung der 30er Jahre, wie überhaupt die ernstzunehmende Arisierungsforschung kaum 20 Jahre alt ist. Die beiden Studien sind auf dem neuesten wissenschaftlichen Standard, mit großer Sachkenntnis und sehr anschaulich geschrieben. Verwertet wurden großenteils Akten aus der Wiedergutmachung, grundsätzlich die ausführlichsten und besten Quellen – die meisten in Mannheim selbst gelagerten Arisierungsakten wurden im Krieg vernichtet.
Die Bücher sind geradezu opulent ausgestattet, mit 178 bzw. 11 Abbildungen, davon einige noch nie veröffentlichte aus Privatbesitz. Vielleicht auch ein bisschen zu opulent, denn das Buch von 2013 ist mit über 2,5 Kilogramm entschieden unhandlich ausgefallen. Der Verlag sollte überlegen, in Zukunft wenigstens für reine Textseiten kein schweres Kunstdruckpapier zu verwenden.
Titelangaben
Christiane Fritsche: Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt. Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim
(Sonderveröffentlichungen des Stadtarchivs Mannheim 39)
Ubstadt-Weiher: Verlag Regionalkultur 2013
960 Seiten. 38 Euro
Christiane Fritsche: »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus«. Die »Arisierung« von Grundstücken in Mannheim durch Institutionen der Evangelischen Kirche
(Sonderveröffentlichungen des Stadtarchivs Mannheim 43)
Ubstadt-Weiher: Verlag Regionalkultur 2014
63 Seiten. 12 Euro