Gesellschaft | Hermann Bausinger: Ergebnisgesellschaft
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. In der Physik bezeichnet Leistung die umgesetzte Energie in Relation zu einer Zeitspanne. Der Weg – also der zeitliche Ablauf – ist hier das Ziel! Übertragen auf die Gesellschaft müsste also das Wirken durch die Zeit den Begriff der »Leistung« gleichfalls ausdrücken. Das Erleben, das bewusste Fortschreiten mit und in der Zeit, sollte somit Maßstab unseres Denkens und Handelns sein. JÖRG FUCHS begibt sich auf die Suche nach dem Verhältnis von Ergeben und Erleben.
Hermann Bausinger setzt in seinem neuen Buch »Die Ergebnisgesellschaft« dem Erleben das Resultieren gegenüber; betrachtet also die auf Ergebnisse zielenden Handlungsweisen, das Denken »vom Ende her«. Davon gibt es mehr, als wir Leser zunächst glauben. Da wären zunächst die scheinbar offensichtlichen Bereiche, in denen Ergebnisse eine gewichtige Rolle spielen. Dazu zählt beispielsweise der Sport. Wenig ist langweiliger als ein Blick auf eine Fußballtabelle, die lediglich Nullrunden darstellt. Just im bloßen Konsum dieser Tabellenwerte, dem Blick aufs Ergebnis, sieht Bausinger eine Reduktion auf das Resultat. Die ausufernde Zahl von Sportwettenanbietern, die es erlauben, auch während laufender Wettkämpfe auf zahlreiche Facetten einer Sportart zu wetten, scheint die Fixierung auf Ergebnisse zu untermauern. Die unverbrüchliche Fußballweisheit, ein Spiel dauere 90 Minuten, scheint in diesem Zusammenhang keine Rolle mehr zu spielen. Deutlicher tritt die Diskrepanz zwischen Ereignis und Resultat in Ergebnissportarten wie dem Skispringen zutage. Der recht monotone Ablauf von seriellen Einzelereignissen, in der die Weite des Sprungs ausschlaggebend ist, scheint nichtsdestotrotz stets eine beträchtliche Zahl an Fans zu mobilisieren. Möglicherweise sorgt hier neben dem Nervenkitzel die sofortige Erfolgskontrolle für eine gewisse Attraktivität.
Vom Sprorterleben zur Sportwette
Die im Beitrag geschilderte Zerlegung des sportlichen Ereignisses, beispielsweise eines Fußballspiels, verdeutlicht die Angleichung der Analysefähigkeit der einzelnen Sportarten. Überspitzt betrachtet ließe sich in diesem Zusammenhang die Frage stellen, was nun ein Fußballspiel von einem Golfspiel unterscheide: In beiden Fällen wird, Zug für Zug, ein Ball in eine bestimmte Richtung bewegt, bis er schließlich im Ziel landet. Vor allem die Rückschau auf ein Fußballspiel erzeugt mit ihren dreidimensionalen Standbildern und eingefrorenen Taktikanalysen eine fragmentierte Darstellung des Geschehens, die zusätzlich in statistischen Größen wie Passgenauigkeit, Anzahl von Torschüssen oder gewonnenen Zweikämpfen zerfasert. Der Spiel- »Fluß« gerät hier zu einer Abfolge einzelner, scheinbar in sich abgeschlossener Prozesse, die erst bei Betrachtung des Ergebnisses (Erfolg oder Misserfolg des Abschlusses) eine Deutungsgröße erhalten.
Doch nicht nur der Blick auf den Leistungssport, den der Artikel beschreibt, hat sich gewandelt. Auch der Breitensport wurde durch die neuen Möglichkeiten der Analysefähigkeit aufgemischt. Das private sportliche Treiben steht im Zeitalter der persönlichen Telemetrieerfassung unter einem neuen Rechtfertigungsdruck: Galt sportliche Betätigung des Einzelnen einst als willkommene Ausrede, sich in Jogginghosen herumzudrücken, steht der Freizeitläufer heute unter dem Diktat der »Wearables« und Fitness-Tracker. Die eigene Leistung wird in Form von zurückgelegter Laufstrecke, Zeit, Schrittzahl, verbrauchter Kalorienzahl und Gesundheitsdaten erfasst und automatisch in sozialen Netzwerken geteilt. »Apps« und »Smartwatches« dienen als unbestechliche »Ergebniskontrollinstrumente«, die das Joggen nicht mehr als Ausgleichssport gelten lassen, sondern darin einen Ansporn schaffen, zählbare Ergebnisse zu generieren.
Von Apps und »Rennkost«
Neben dem Sport betrachtet Bausinger in kurzen Abhandlungen weitere Kategorien der Alltagskultur, wobei nicht alle der sechzehn aufgeführten Themen so ergebniszentriert analysiert werden, wie es beim Sport der Fall ist. Der Aspekt der Nahrung, aufgeführt unter dem Schlagwort »Rennkost«, ist eher eine allgemeine Betrachtung der Fragmentierung der Esskultur in verschiedene Vorlieben und Geschwindigkeiten. Auch die Darstellung des »Brauchtums« und seiner Durchführung geht nicht in die Tiefe, sondern wird eher überblicksartig dargestellt.
Manche Anachronismen in Bausingers Schilderungen, z.B. die Darstellung von Disketten als Arbeitsmittel, sind der Entstehungszeit der einzelnen Aufsätze geschuldet, sensibilisieren uns aber gleichzeitig ungewollt für die Problematik technischer »Ergebnisse«, die selten dauerhaften Bestand haben.
Dass auf den rund 150 Seiten manches eher an der Oberfläche bleibt, muss uns allerdings nicht verdrießen, denn Bausingers Betrachtungen geben uns letztlich Anstöße zum Weiterdenken. Sie führen uns zu der Frage, ob die vermeintliche Beschleunigung unserer Gesellschaft Ausdruck oder Ursache der Hinwendung an das Ergebnis einer Tat ist.
Titelangaben
Hermann Bausinger: Ergebnisgesellschaft
Facetten der Alltagskultur
Tübingen: Tübinger Vereinigung für Volkskunde 2014
150 Seiten, 14,90 Euro
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