Gesellschaft | Bastian Obermayr: Gott ist gelb
Auf der Hauptversammlung vom 10. Mai 2014 versuchte der ADAC, sein verbeultes Image zu reparieren. Doch was wird ihm eigentlich vorgeworfen? Gut, die manipulierten Wahlen zum »Auto des Jahres« gingen groß durch die Presse. Auch von außerplanmäßigen Flügen mit Rettungshubschraubern konnten wir lesen. Der ›SZ‹-Journalist Bastian Obermayer, der die Enthüllungen über den ADAC ins Rollen brachte, hat in seinem Buch ›Gott ist Gelb‹ weitere Verfehlungen ans Tageslicht geholt. Und lässt kein gutes Haar am Münchner Verein. Monatskartenbesitzer JÖRG FUCHS hat viele Fragen – bekommt er auch Antworten?
In seiner Streitschrift gegen den ADAC verteilt Obermayer großzügig mit der groben Kelle: Nicht nur prangt der Vorbote auf die Götterdämmerung auf der Titelseite, auch der Klappentext lässt Übles erahnen: Lügen, Skandale und Manipulationen. Wir reiben uns die Hände und freuen uns auf Informationen, Antworten und Fakten.
Bereits der Prolog konstruiert eine Fallhöhe, die den tiefen Sturz des ADAC – dem »Engelsturz« gleich – verdeutlichen soll. Dazu werden nicht nur die 19 Millionen Mitglieder ins Feld geführt (die Mitgliederzahlen misst Obermayer an den großen Kirchen), auch der politische Einfluss und die Meinungsführerschaft durch das Mitgliedermagazin ›motorwelt‹ werden zur Schaffung des Riesen herangezogen. Die Lunten sind gelegt, sie müssen nur noch entzündet werden.
Kein Untergang, nirgends
›Chronologie eines Untergangs‹ – die Messlatte wird bereits im ersten Kapitel sehr hoch angelegt. Die Ereignisse rund um die Manipulationen beim »Auto des Jahres« stehen im Vordergrund – der Preis wurde abgeschafft, mehrerer Funktionäre traten zurück. Das hatte sehr unschöne Folgen, u.a. die völlige Entwertung des Preises und einen kräftigen Glaubwürdigkeitsverlust des ADAC. Aber »Untergang« fühlt sich irgendwie anders an. Nach mehr. Endgültiger!
Dass unter ›Langzeitwirkung‹ der Twitter-Shitstorm erwähnt wird, der über den ADAC hereingebrochen ist, beschreibt eher das Gegenteil dessen, was beabsichtigt ist. »Man wird wohl eine Zeitlang noch ADAC-Witze hören«. Twitterwellen? Dazu einige Wochen lang öde Kalauer und Wortspiele im TV? Wer sich aktuell auf Twitter umschaut, findet erstaunlich wenig ADAC-Witze. Welche Langzeitwirkungen ergeben sich bitteschön daraus? Wenn Götter fallen, muss die Erde beben.
Dramatischer klingen die Aussagen zweier unabhängiger Werbefachleute, die Obermayer ins Feld führt. Ihnen zufolge soll sich der Markenwert des ADAC aufgrund des Skandals innerhalb eines Monats halbiert haben. Das klingt explosiv! Was schließen die Experten daraus? Wie entwickeln sich die Zahlen? Was bedeutet das für die Mitglieder und den Geschäftsbetrieb? Man lässt uns mit diesen Angaben alleine. Obermayer kontert: »Keine Frage – der Riese ist angeschlagen«. Wir reiben uns die Augen, wir haben viele Fragen! Schwamm drüber – spätestens beim Umblättern wartet der nächste Skandal.
»Langzeitwirkungen« finden wir möglicherweise andernorts: bei der Entwicklung der Mitgliederzahlen. Aktuell haben – neben den üblichen Fluktuationen – rund 186.000 Mitglieder den Verein aufgrund der Skandale verlassen. Ob sich der Trend langfristig hält? Obermayer wagt keine Prognose.
Die unmündigen Kinder des ADAC
Die Mitglieder des ADAC spielen bei Obermayer eine besondere Rolle. Allerdings weniger als mündige Bürger, die eine Mitgliedschaft in einem Verein bewusst anstreben oder aufrechterhalten, sondern fast ausschließlich als Opfer eines gelben Kraken, der alles fest umschlungen hält, was er einmal in den Fangarmen hat: Von Drückerkolonnen in Diskotheken zu einer Mitgliedschaft genötigt rutschen die Mitglieder in die ADAC-Falle, bis sie als willenlose Glücksspielzombies enden, denen man nach Belieben Verlosungsaktionen aufschwatzen kann. Wie viele von rund 19 Millionen Mitgliedern sind davon betroffen? Sind es Einzelfälle? Oder eine »Menge Menschen«, wir Obermayer angibt? Wir erfahren: Eine Leserin beschwert sich, »gefühlte zehn Jahre« dauere die Verlosung nun schon, und sie habe doch all die »überflüssige Ware« bestellt und »die goldenen und silbernen Buttons« aufgeklebt. Welchen Wert hat diese Einzelaussage?
Dass solche Aktionen dem »Schutz der Verbraucher«, den sich der ADAC auf die Fahnen geschrieben hat, nicht förderlich sind, mag man noch einsehen. Dass der »Verbraucher« in der Regel kein unmündiges Kind ist, das vor einer Teilnahme an wenig erfolgreichen Gewinnspielaktionen zu schützen sei, steht aber auf einem anderen Blatt.
Auch andere mehr oder weniger fragwürdige Geschäftsmethoden des Vereins werden im Verlauf des Buchs erläutert. Ob davon Anwälte, Werkstätten oder Kunden betroffen sind – Obermayer gibt knapp aber bestimmt Auskunft.
Dass Bastian Obermayer kein gutes Haar am ADAC lässt, mag man – angesichts der Skandale und Skandälchen verstehen. Aber dennoch sind die beinahe inquisitorische Ausdauer und der Furor seiner Worte über die Strecke ermüdend. So wirken seine wichtigen Enthüllungen zunehmend nicht spektakulär, spannend oder besorgniserregend – sondern mitunter larmoyant und selbstgerecht.
Ärgerlich ist, dass zwar viele schwerwiegende und kritikwürdige Punkte angesprochen werden, deren Auswirkungen auf die Geschäfte und die Mitglieder aber im Ungefähren, manchmal auch Oberflächlichen bleiben. Wo ist belastbares Material? Wo sind Anmerkungen, Zahlen, Fußnoten und Belege? Das Buch berichtet zwar über zahlreiche Skandale des ADAC – dabei bleibt es. Aber wie passt das zum überhöhten Anspruch des Buchs, das uns aufklärerische Superlative verspricht? Im Vorwort lesen wir von einer »Bilanz der Affäre«. Am Ende bleiben ein paar vage Ausblicke auf die Zukunft und Adressen anderer Automobilclubs.
Titelangaben
Bastian Obermayer: Gott ist gelb. Wie der ADAC Deutschland belügt
Reinbek: Rowohlt 2014
160 Seiten. 8,99 Euro
Reinschauen
Verkehrssystem im Eiltempo – Jörg Fuchs zu Hendrik Ammoser: Das Buch vom Verkehr