Kulturbuch | Anne-Carolin Hopmann: Der Hamster ist tot und die Glocken läuten
Wir lernen Abläufe des Alltags einer Gemeindepfarrerin der reformierten Kirche in der Schweiz kennen, Wochentag nach Wochentag, unaufgeregt beschrieben, mit Akzentuierungen auch auf das Altern und auf das Heranwachsen, also auf diejenigen, die die Glaubensgemeinschaft verlassen werden, und auf diejenigen, die durch den Konfirmandenunterricht aufgenommen werden. Von WOLF SENFF
Die Publikation ist frei von Phrasen, Anne-Carolin Hopmann will niemanden bekehren und hat nirgends die Absicht, ein Programm oder, wie es neuerdings so nett heißt, eine To-do-Liste vorzulegen.
Das Bohren tiefer Bretter
Wir lernen die Mühen der Ebene kennen und jene Arbeitsfelder, die sonst eher selten in die Aufmerksamkeit unserer medialen Öffentlichkeit gelangen, der Beruf des Pfarrers gehört zu denjenigen Berufen, die wenig glamourös sind und kaum einmal Aufsehen erregen.
Die Arbeit eines Pfarrers geschieht im Stillen, und es ist nicht falsch zu sagen, dass ihre ihre Wirksamkeit desto größer ist. Der Lärm der Medien wirkt an der Oberfläche und ist schnell vergangen. Bei der Lektüre von Anne-Carolin Hopmanns Alltag entsteht dagegen der Eindruck, dass die von ihr geschilderten Begegnungen tief im Leben wurzeln.
Ach, unser Hochleistungsalltag
Sie erzählt von durchreisenden Bittstellern, »Europawanderern«, von ihren Besuchen in einem Altersheim, von der Notwendigkeit auch konkreten sozialen Handelns und schildert den Fall einer alleinerziehenden Mutter, deren eigene Mutter aus gesundheitlichen Gründen das dreijährige Kind nicht länger betreuen kann.
Beständig wachsende Lebenserfahrung und damit einhergehendes Verstehen und Verständnis für den menschlichen Alltag seien unerlässlich, um den Menschen beistehen zu können. Das sind Worte und Redeweisen, die aus unserem von ökonomischem Denken geprägten Hochleistungsalltag und der entsprechenden öffentlichen Wahrnehmung nahezu verschwunden sind.
Von Konfirmanden und vom Hamster
In gleicher Weise unsere Augen öffnend wirkt die Schilderung des Segellagers der Konfirmandengruppe in Holland, weil stets ein großer Respekt gegenüber den Jugendlichen durchscheint. Sie werden ernst genommen.
Genauso ernst genommen wird selbstverständlich die eigene Tochter, deren Hamster ausgerechnet zu einem ungünstigen Moment verstorben ist und dessen Tod angemessen kindgerecht eingeordnet werden muss.
Medienwirklichkeiten
All das ist für Kirche zweifellos eine Selbstverständlichkeit, doch in der öffentlichen Wahrnehmung erscheinen Heranwachsende vor allen in Statistiken zum Drogenkonsum, zur demographischen Entwicklung, zu schulischen Leistungen in Lesen und Rechnen. Schlagzeilen machen jugendliche Hochleistungstalente im Balltretersektor, und wir haben insgesamt hinreichend Grund, uns über die Wahrnehmung der Realität durch unsere Medienwelt zu wundern.
Vermutlich ist es das, was dieses Werk so auffällig aus dem Lektüre-Alltag heraushebt. Die Menschen sind aus einem Denken herausgenommen, das sie zuallererst nach ihrer Nützlichkeit einordnet, ihrer Nützlichkeit für die eigene Gruppe, den Verband, die regionale Wirtschaft, den Sport usw. Anne-Carolin Hopmann lässt den Menschen in seiner Individualität gelten und respektiert ihn. Wir lesen eine ruhige, fesselnde Lektüre.
Titelangaben
Anne-Carolin Hopmann: Der Hamster ist tot und die Glocken läuten
Aus dem Alltag einer Pfarrerin
Zürich: orell füssli 2017
272 Seiten, 30 Euro
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