/

Arbeiten? Nicht arbeiten?

Gesellschaft | David Graeber: Bullshit-Jobs

Das Thema ist originell, das ist gar keine Frage, und man wartet schon seit langer Zeit darauf, dass die vielen überflüssigen Arbeitsabläufe in staatlicher Bürokratie und im Management privater Unternehmen einmal systematisch erfasst werden. Von WOLF SENFF

David Graeber - BullshitjobsDoch damit fängt es an. Was ist denn ein ›Bullshit-Job‹, was stellt man sich vor? Toilettenfrau, Müllfahrer, Gefahrgut-Entsorger, Fensterputzer – diese Beispiele stellen sich dem unbefangenen Beobachter auf Anhieb ein. Unangenehme Arbeiten, die miserabel bezahlt werden und die im Allgemeinen nicht die ersten Ränge der Beliebtheitsskala einnehmen.

Ohne Sinn und Verstand

Doch diese Berufe meint David Graeber nicht, und wir lesen einführend eine ausführliche und umständliche Erklärung dessen, was einen ›Bullshit-Job‹ charakterisiert. Es ist seine Sinnlosigkeit, also Berufe wie Toilettenfrau und Fensterputzer können nicht dazugehören, weil sie unbedingt sinnvoll, unentbehrlich sind. Was aber sinnvoll ist, das ist nicht immer leicht zu entscheiden, und zusätzlich kompliziert wird die Angelegenheit nun dadurch, dass Graeber die Betroffenen selbst über Sinnlosigkeit ihrer beruflichen Tätigkeit befinden lässt.

Das Thema hat seinen Ursprung in einem Artikel, in dem Graeber das Phänomen sinnentleerter Berufsabläufe beschrieb, und zu seiner eigenen Überraschung, und nachdem der Artikel in diverse Sprachen übersetzt worden sei, habe er eine immense Fülle persönlicher und bestätigender Reaktionen erhalten – per Leserbrief und online.

Papierkrieg

Das liefert zwar keine systematisch erstellte empirische Grundlage, doch von diesen Reaktionen zehrt Graebers Darstellung über weite Strecken. Das ist oft unterhaltsam, wirkt aber sehr bald redundant, zumal sich nun auch die Abgrenzungen zwischen sinnhaft und sinnlos verwischen, sie bleiben ja dem subjektiven Empfinden der Betroffenen überlassen.

Gut, überraschend ist es durchaus, welche Berufe als reine Beschäftigungstherapie empfunden werden, vielfach und auffällig im mittleren und höheren Management der Privatwirtschaft, für die die ›Loyalität‹ ihrer Beschäftigten ganz obenan steht und die sich ungern in die Karten blicken lässt. Nach den Skandalen in der Automobilindustrie versteht man auch weshalb. Aber es geht ebenso um sinnlose Tätigkeiten wie etwa den Papierkrieg in internationalen Organisationen, der sich aufgrund diffiziler Regeln verselbständigt.

Abgezockt wird, sonst nichts

Interessant wird die Lektüre, als Graeber einige Statistiken heranzieht und zeigt, dass Dienstleistungen wie Kellner, Friseure, Verkäufer über die Jahrzehnte zahlenmäßig konstant blieben, während weltweit einzig ein verblüffender Aufstieg der informationsorientierten Berufe stattfand, denen der Finanzsektor zuzurechnen sei, und die Tätigkeiten in diesen Bereichen seien fast ausnahmslos Rauch und Spiegelfechterei – eben bullshit jobs.

Er zieht weitere Beispiel aus den Zuschriften heran, um zu belegen, dass im Finanzsektor Projekte bearbeitet und gezielt – beispielsweise mithilfe von Bullshit Jobs – in die Länge gezogen werden, damit die Geldquelle nicht versiegt. Das ist alles offensichtlich eine höchst realistische Einschätzung der Wirklichkeit.

Neofeudale Management-Kasten

In Deutschland kennen wir zur Genüge Projekte wie Stuttgart 21, die Hamburger Elbphilharmonie, BER Berlin etc., bei denen sich derselbe Verdacht aufdrängt, und insofern erzählt Graeber dem aufmerksamen Beobachter wenig Neues. Die staatlichen Haushalte werden skrupellos geplündert, seit neuestem, wie wir dieser Tage erfahren, mittels Cum/Cum-Geschäften der Banken, die sich ja jüngst erst mit Milliarden seitens staatlicher Haushalte aus dem Dreck haben ziehen lassen – die Dinge sind außer Rand und Band.

Die Gegenwart, so Graeser, sei als klassischer Kapitalismus nicht mehr adäquat beschreibbar, denn sinnlos tätige Arbeitskräfte wären dort undenkbar gewesen. Die Gesellschaft der Gegenwart trage Züge des mittelalterlichen Feudalismus, ihr zentrales Merkmal seien eine aufgeplusterte Management-Ebene und sinnentleerte bürokratische Abläufe. Er illustriert dies überzeugend an den Management-Ebenen von universitärem Betrieb und Filmstudios bzw. generell des Medienbetriebs.

Arbeit – was ist das?

Hier habe sich eine zahlenmäßig rapide gewachsene Management-Ebene in neofeudaler Manier verselbständigt, und vergessen geglaubte Vettern- wie Günstlingswirtschaft feierten fröhliche Urständ. Schön und gut – neu ist diese Erkenntnis nicht. Nach wie vor gelte der Grundsatz, dass Arbeit um so schlechter bezahlt wird, je größer ihr Wert für die Gesellschaft ist.

Was ist denn nun Arbeit? Graeber diskutiert Fragen der Arbeitswerttheorie und dekonstruiert letztlich den Begriff Arbeit, indem er auf dessen spezielle kulturelle und für den Kapitalismus religiöse Grundlagen eingeht.

Eine Hassliebe

Er arbeitet einen Betreuungsaspekt von Arbeit heraus, etwa in der Arbeit eines Schaffners, der auf dem Bahnsteig eben nicht nur die Züge abwinke, sondern auch ein Ansprechpartner für wenig orientierte Fahrgäste sei, der verlorene Kinder finde und Betrunkene beruhige. Das gelte für diverse Berufe, die keineswegs durch computerisierte Abläufe eins zu eins ersetzbar seien, dieser Betreuungsmoment falle heraus, es sei für Robotik-Projekte nicht quantifizierbar.

Das ist ein extrem wichtiger Gedanke, aber Graeber stellt dann doch das sehr subjektive Moment heraus, dass das grundsätzliche Verhältnis des Menschen zur Arbeit durch eine Hassliebe gekennzeichnet sei – auch das ist zwar nachvollziehbar, aber eben auch nicht gerade eine neue Erkenntnis.

BGE

Abschließend zeichnet er das noch vor allem, wie er selbst sagt, auf die USA bezogene Bild einer in verschiedene Berufsgruppen zersplitterten Gesellschaft, die einander mit Neid und Hass begegnen und einen Nährboden für die Erfolge populistischer Politik bilden.

Plausibel ist dann sein Vorschlag, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu etablieren, mit dem Arbeit und Lebenshaltungskosten voneinander abgekoppelt würden, wodurch ein Menge an Spannung aus dem Zusammenleben herausgefiltert würde. Er bezieht sich dabei empirisch auf ein Pilotprojekt, das in Indien durchgeführt wurde.

| WOLF SENFF

Titelangaben
David Graeber: Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit
(Bullshit Jobs. A Theory, New York 2018, übers. von Sebastian Vogel)
Stuttgart: Cotta’sche Buchhandlung 2018
464 Seiten, 26 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| David Graeber: Schulden – rezensiert in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Flugzeuge in der Scheune

Nächster Artikel

Litanei

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Geschichte neu schreiben

Gesellschaft | Noam Chomsky: Die Herren der Welt Der in Philadelphia, Pennsylvania, geborene Noam Chomsky lebte sein erstes Leben als erfolgreicher und angesehener Sprachwissenschaftler der USA, er revidierte die traditionelle Grammatik von Grund auf. Durch den Vietnamkrieg wurde er zum Dissidenten. Er erwarb sich weltweites Ansehen, wurde in den USA mehrmals inhaftiert, zum ersten Mal 1967 anlässlich einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg, und ist heute eine Leitfigur des Widerstands gegen die gedankenlose Fortsetzung herkömmlicher Politik. Von WOLF SENFF

Entgrenzte Gegenwart

Gesellschaft | Regis Debray: Lob der Grenzen Grenzen sind in Schengenland weitgehend nur als fernes, leise klingendes Echo vorhanden, wir sind modern, und manches ist eben verpönt »in diesem unserem Lande« (Helmut Kohl). Wie fügt sich da ein Titel wie der von Regis Debray, und in welcher Distanz entstehen dessen Argumente? Von WOLF SENFF

Für ein Leben in Selbstbestimmung und Freiheit

Gesellschaft | Natalie Amiri und Düzen Tekkal: Die mutigen Frauen Irans

Niemand weiß, wie sich die Proteste gegen das Mullah-Regime weiterentwickeln. Doch die mutigen Iranerinnen haben mit ihrem Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung schon viel bewirkt. Von DIETER KALTWASSER

Hangover City

Gesellschaft | Lutz Hachmeister: Hannover. Ein deutsches Machtzentrum »Hannover ist spektakulär langweilig«, beschied 2010 ein gewisser Tim Renner, der mittlerweile als staatssekretierender Fachmann für Spektakel in Berlin wirkt, und befürchtete eine »Hannovernication« der Berliner Republik infolge des ESC-Triumphs einer gewissen Lena aus Hannover. Für einen, der Hannover nicht weiter kennt, ist das keine rasend originelle, aber handelsübliche Sottise. Jetzt hat sich einer daran gemacht, Hannover zur (mehr oder weniger) heimlichen Exportkanone für Polit-Schwergewichte zu erklären, der immerhin als Kind öfter in den Ferien am Steinhuder Meer war, dem seines Wissens »Binnensee-Retreat der Hannoveraner«: Lutz Hachmeister, selbst ein Schwergewicht, nämlich des

Einladung zur Toleranz

Jugendbuch | Julius Thesing: You don’t look gay

Vielleicht war ich lange sehr naiv. Schwule und Lesben in unserer Gesellschaft? Nicht wirklich ein Problem. Klar, es gab und gibt Menschen mit Vorurteilen, aber im 21. Jahrhundert ist das doch wohl eine verschwindende Minderheit. Von ANDREA WANNER