Gesellschaft | Dilger / Fatheuer / Russau / Thimmel: Fußball in Brasilien: Widerstand und Utopie
Südafrika 2010 sind »die Einnahmen der Fifa gegenüber der letzten WM in Deutschland im Jahr 2006 um mindestens fünfzig Prozent gestiegen«. Da wussten sie doch, die Brasilianer, was sie erwarten würde. Oder? Aber Lula, bis 2010 Präsident Brasiliens, war offenbar närrisch, wenn es um Fußball ging. Von WOLF SENFF
Er habe öffentliche Mittel für mindestens fünf Stadien genehmigt, die nach der WM nicht mehr gebraucht würden: in Brasilia, Cuiabá, Natal, Manaus und Recife. Die WM koste mit rund vierzig Milliarden Dollar (Zahlen aus einer Regierungsstudie) so viel wie die drei letzten WM-Championate zusammen, und die positive Begleitung der WM-Kampagne durch Lulas und Rousseffs Arbeiterpartei basiere auf fatalen Fehleinschätzungen.
Russland wird kaum anders werden
Das Narrativ von einer »neuen Mittelschicht« entbehre jeder realen Grundlage, sowohl was infrastrukturelle Leistungen betreffe, aber auch die Selbsteinschätzung. Derzufolge würden sich lediglich 26% der Brasilianer der Mittelschicht zurechnen, aber 62% der Unterschicht.
Der Band enthält eine Reihe sorgfältig gesammelter Details, etwa zu Promotion und Vermarktung junger Talente, zum Geschäft mit dem Export von Fußballern, auch am Beispiel Neymars, zum Thema Rassismus. Uns werden vier »Fußballrebellen« vorgestellt und auch dem Frauenfußball sind einzelne Artikel gewidmet.
Eine Kuh kann man melken
Was mir persönlich auf den Nerv geht, sind Sprachverbesserer à la George Orwells ›1984‹, die sich Mühe geben, genderneutrale Suffixanwendungen zu etablieren. Ja, über den gesamten Band hin. Gibt welche, die sind zu blöd, richtig zu schreiben, und welche, denen ist die richtige Schreibung zu blöd. Sei’s drum.
Nun denn, politische Besserung ist mit diesem Weltfußballverband nicht in Sicht, die Probleme von heute werden die Probleme von morgen sein, und die Fifa wird in Russland kaum anders auftreten als sie es in Brasilien tat, der abschließende Artikel des Bandes gibt einen Ausblick auf Russland 2018. Viel Erfolg dann mal, und nein, es ist von Jahr zu Jahr weniger erfreulich, dieser ›liebevollen‹ Einbettung des Fußballspiels zuzusehen. Klar, dass da welche die Kuh pflegen, die sich ohne Ende melken lässt.
Titelangaben
Gerhard Dilger, Thomas Fatheuer, Christian Russau, Stefan Thimmel (Hg.): Fußball in Brasilien: Widerstand und Utopie. Von Mythen und Helden, von Massenkultur und Protest
Hamburg: VSA 2014
221 Seiten. 16,80 Euro