Gesellschaft | U. Gellermann, F. Klinkhammer, V. Bräutigam: Die Macht um acht
Nein, Mainstream ist öffentlich kein Aufreger mehr. Nicht dass es ihn nicht mehr gäbe. Der Mainstream machte sich das Thema Mainstream zueigen, bis die Leute schon beinahe glaubten, er mache sich ernsthaft Gedanken, schmückte sich gar mit einem Anschein von Selbstkritik, und dann hat er’s fallenlassen. Schwuppdiwupp, Mainstream redet nun nicht länger über das Thema Mainstream, basta, und alles bleibt im alten Trott. Von WOLF SENFF
So funktioniert’s. Deswegen waren sie in Großbritannien völlig von den Socken, dass Jeremy Corbyn im Juni bei der Unterhauswahl einen grandiosen Stimmenzuwachs für Labour erzielte. Wie war das möglich? Hatte nicht der Mainstream von der ›Sun‹ und dem ›Guardian‹ bis hin zur ›BBC‹ kübelweise Häme über ihn entleert? Wie konnte Corbyn sich dennoch behaupten? Oh Wunder über Wunder.
Schulstoff Medienkunde
Daraus lernen? Lernen? Wer? Was? Oh, die Medien des Mainstream, wären sie nicht komplett beratungsresistent, könnten damit beginnen, die hier im folgenden rezensierte Arbeit zu studieren, sie in die Ausbildungsgänge von Journalisten zu integrieren, sie den etablierten Journalisten als Pflichtlektüre zu verordnen.
Die Fünfzigjährigen werden sich aus ihrem Unterricht daran erinnern, dass Medienkunde einst Bestandteil der Deutsch-Lehrpläne war. ›Tagesschau‹ und ›heute‹ wurden sorgsam verglichen, ihre politische Verortung wurde auf der Skala zwischen rechts und links lokalisiert. Heutzutage gibt’s ›Darstellendes Spiel‹ zwecks Selbstfindung und vergnüglichem Lernen.
Corporate Identity
»Die Macht um acht« demonstriert uns die lückenlose Einbettung der Tagesschau in die politische Generallinie, und es geht keineswegs um politisch-investigative, sondern um eine an den politischen Rahmenbedingungen, den ›Frames‹, orientierte Berichterstattung, und zwar gemäß den Vorgaben seitens der Nachrichtenagenturen, von denen bei ARD und ZDF eh lediglich die westlichen berücksichtigt würden.
Folglich seien die USA »Verbündete« und keine »Invasoren« oder gar »Imperialisten«, Phrasen wie »westliche Führungsmacht« suggerieren eine unterwürfige Corporate Identity, und der propagandistische Gehalt einer Floskel wie »Westliche Wertegemeinschaft« werde schon gar nicht begriffen.
Beschwerden laut Rundfunkstaatsvertrag
Die Berichterstattung über die Ukraine sei gemäß einem festen prowestlichen ›Frame‹ selektiert. Darüber, dass der US-Staat Delaware die weltweit größte Heimstatt für Steuerhinterzieher ist, verliere Mainstream keine Silbe. So arbeite der journalistische Mainstream, und die Autoren weisen das an zahlreichen Beispielen nach, sie zitieren unabhängig arbeitende online-Portale wie ›nachdenkseiten‹ und ›telepolis‹.
Ein ausführlicher Teil ist den Zuschauerbeschwerden gewidmet. Diverse Beschwerden werden aufgegriffen, und der Fernsehzuschauer erfährt, wie absurd letztlich der Rundfunkrat mit diesen Beschwerden umgeht. Keine Peinlichkeit wird vermieden, auf dass nur der Ärger unter den Teppich gekehrt werden kann, auch wenn reihenweise gegen Bestimmungen von Rundfunkstaatsvertrag bzw. NDR-Staatsvertrag verstoßen wird.
Linientreue wird garantiert
Die Autoren klären über international verflochtene Nachrichtennetzwerke auf, zum Beispiel das ›Crisis Media Center‹, das unmittelbar nach dem Maidan-Putsch durch den US-Milliardär George Soros zwecks medialer Deutungshoheit im Land etabliert wurde.
Sie zeigen aber auch die personelle Kontinuität, mit der die redaktionelle Linientreue gewahrt wird, durch den transatlantisch orientierten WDR-Intendanten Tom Buhrow und das russophob besetzte Personal ausgerechnet im Moskauer ARD-Studio; namentlich dessen Korrespondentinnen Birgit Virnich, Golineh Atai und dessen Leiter Udo Lielischkies würden daran mitwirken, die Einstellung der deutschen Öffentlichkeit zu Russland zu vergiften – auf diese Weise entlarve sich Mainstream als schmutzige Propaganda.
Titelangaben
Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer, Volker Bräutigam, Die Macht um acht. Der Faktor Tagesschau
Köln: PapyRossa 2017
177 Seiten, 13,90 Euro
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