//

Nicht auf dem Kasernenhof

Film | Im TV: TATORT – Eine Frage des Gewissens (SWR), 23. November

Eine brandheiße Eröffnung. Hysterie, Alarm, Panik, Geiselnahme im Supermarkt. Thorsten Lannert muss sich, erste Schiene der Handlung, für die Tötung des Geiselnehmers verantworten, uns wird korrekt gezeigt, dass in einem solchen Fall die Grenzen polizeilichen Handelns strikt eingefordert werden. Von WOLF SENFF

Aufruhr im Supermarkt - im TATORT Foto: SWR/ Johannes Krieg
TATORT – Aufruhr im Supermarkt
Foto: SWR/ Johannes Krieg
Sebastian Bootz bringt sich in Schwierigkeiten, als er seinen Kollegen bei der anstehenden Vernehmung bezüglich des erschossenen Geiselnehmers wider besseren Wissens zu decken sucht, das wäre nicht nötig gewesen, nun sind sie in der Defensive und müssen sich von einem selbstbewusst auftretenden, schnöseligen Anwalt in die Schranken weisen lassen.

Das Tempo legt zu

Der Fall verästelt sich. Der Geiselnehmer hat Komplizen, ein Wachmann kommt zu Tode, das öffnet ein weites Feld. Außerdem spielt die private Situation von Sebastian Bootz hinein, der den Kummer der Scheidung in Alkohol zu ertränken sucht. Er vermisst seine Kinder, die mit ihrer Mutter und deren neuem Ehemann in den USA sind, und ist nicht zu hundert Prozent einsatzfähig, darüber hinaus fühlt er sich verfolgt und wird fotografiert. Nein, das wird nicht aufgeklärt, möglicherweise war es wirklich nur eingebildet, das Drehbuch gibt uns da keine klaren Anhaltspunkte, das ist ein amüsantes Spiel mit dem Zuschauer.

Als eine Frau aus dem Kreis des Geiselnehmers erschossen wird, legt die Aufklärung an Tempo zu, es geht um Studenten ohne festen Wohnsitz, und leider entsteht der Eindruck, es würden herkömmliche Vorurteile über das verlotterte Studentenleben aus der Mottenkiste gekramt.

Lannert & Bootz

Angenehm differenziert ist hingegen die Tatsache, dass die kleine Gruppe um den Geiselnehmer sich nicht als einheitliche Hassfront darstellt. Der von Lannert erschossene Geiselnehmer wird auch innerhalb der Gruppe selbst als ein psychisch gestörter Einzelgänger wahrgenommen.

Thorsten Lannert und Sebastian Bootz sind interessante Figuren. Sentimentalität ist ihnen so fremd wie Geschwätzigkeit, auch Aufgeregtheit liegt ihnen fern, sie kooperieren mit großer Vertrautheit, nehmen kein Blatt vor den Mund und zeigen Verständnis für Schwächephasen.

… und was ihnen fehlt

Im Grunde sind sie unauffällig und treten zurückhaltend auf, Münster findet nicht statt, sie leiden nicht unter Traumata. Bootz vermittelt sein Leiden an der Trennung, ohne dass er sich ausheulen müsste oder endlos klagen würde, vulgo: sein Herz ausschütten.

Eine Menge an Beispielen fallen uns ein, wenn wir benennen, was ihnen fehlt – ihnen fehlt Eitelkeit, sie treten nicht großspurig auf, bilden sich nichts ein auf Intuition, ihre Verhöre sind weder aggressiv noch verletzend, sie haben ihre Pubertät hinter sich und müssen sich nichts mehr beweisen. Sie sind weder Charmeure noch Gutmenschen und führen sich auch nicht auf, als stünden sie auf dem Kasernenhof, sie rasten nicht aus – im Gegenteil, sie zeigen sich feinfühlig, gehen mit Verdächtigen respektvoll um, sie sind eindrucksvolle Charaktere und ziehen ein gutes Stück Menschlichkeit in den Sonntagabend.

Wie sind Porschefahrer?

Nein, sie sind keine Langweiler, aber sie geben uns zu denken. Sie haben so gar keine Macke, das ist ungewöhnlich für TV-Ermittler. Bootz hat sein Leiden an der Trennung, das schafft ein wenig Privatheit.

Dass Lannert Porsche fährt? Steuert uns das in Abgründe von Spießbürgerlichkeit? Man muss da vorsichtig sein. Denn die geschniegelte Staatsanwältin passt perfekt zu einem Porsche, wenn auch nicht zu diesem Second-hand-Exemplar. Ein bisschen spießig ist das schon, doch wie gesagt, wir wollen da lieber vorsichtig sein.

| WOLF SENFF

Titelangaben
›TATORT‹ Eine Frage des Gewissens (SWR)
Ermittler: Richy Müller, Felix Klare
Regie: Till Endemann
So., 23. November, 20.15 Uhr (ARD)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Buy The Ticket, Take The Ride… But Read The Interview First!

Nächster Artikel

Frei sein

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Kommunikative Basis Fehlanzeige

Film | Japan-Filmfest Hamburg: ›Tokyo/Lovers‹, Japan (2013) ›Tokyo/Lovers‹ ist ein Film, der überwiegend mit sehr ruhigen Szenen arbeitet, die Szenen aber gern unvermittelt nacheinander setzt; dieser Kontrast verleiht dem Film einen angenehm individuellen Effekt. Zeitliche Ebenen werden gelegentlich gegeneinander verschoben. Wir sehen eine zart eröffnende Brettspielszene zwischen einer Englischlehrerin und einem noch leicht an der Schulter verletzten Berufstänzer. Von WOLF SENFF

Familie, oh Familie, oh!

Film | Im TV: Tatort 901 – Brüder (RB), 23. Februar Die Polizisten David Förster (Christoph Letkowsky) und Anne Peters werden in diesem TATORT zu einem Notruf geschickt; ein Mann fühlt sich bedroht. Der Einsatz eskaliert. Als die Bremer Hauptkommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) eintreffen, sind David Förster und der Mann entschwunden; Anne Peters, lebensgefährlich verletzt, wird in die Intensivstation eingeliefert. Von WOLF SENFF

Tyrannische Macht- besessenheit

Film | Serie | Neu auf DVD: House of Cards. Staffel 4 In den USA geht der Machtkampf um das Weiße Haus auf die Zielgerade. Passend dazu bringt Sony Pictures die vierte Staffel der Netflix-Original-Serie House of Cards auf DVD und Blu-Ray heraus. Darin kehrt Präsident Francis Underwood auf die Bildschirme zurück – und zeigt auf, wie einfach es ist, die amerikanische Demokratie ins Chaos zu stürzen. TOBIAS KISLING über die neue Staffel der Polit-Serie.

Die Hure Animationsfilm

Film | DVD: Animation in der Nazizeit So dumm kann ein Satz gar nicht sein, dass er nicht immer wieder zitiert würde. Das gilt umso mehr, wenn er einem deutschen Dichter zugeschrieben wird, im folgenden Fall Johann Gottfried Seume: »Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.« Böse Menschen singen nicht weniger gern als gute. In Diktaturen haben Lieder Konjunktur. Von THOMAS ROTHSCHILD

Kinder, Kinder

Film | Tatort – Angezählt (ORF), 15. September Angezählt breitet die Odyssee eines Zwölfjährigen aus. »Ich bin Ivo. Ich bin zwölf Jahre alt. Im Sinn §64 StGB ist unmündig. Darf nicht strafen.« Da hat er zweifellos recht. »Er hat niemanden auf der Welt«, so Bibi Fellner (Adele Neuhauser). Da hat sie ebenfalls recht, schon sind wir mittendrin. In Wien wird eine Prostituierte ermordet, die mit Versprechungen aus den verarmten Regionen Osteuropas herbeigelockt wurde. Menschenhandel. Wir sind eine Leistungsgesellschaft. Von WOLF SENFF