Kurzprosa | Klaus Wagenbach (Hrsg.): Störung im Betriebsablauf. 77 kurze Geschichten für den öffentlichen Nahverkehr
Störung im Betriebsablauf: 77 kurze Geschichten für den öffentlichen Nahverkehr – dieses Buch hat die praktischen Maße eines Smartphones und passt in jede Hosen-, Hemd- und erst recht Handtasche. Als kleiner Literaturhappen für Nahverkehr, Überlandfahrten und Wartezeiten am Bahnsteig. Selbst eine Störung im Betriebsablauf wird dank Klaus Wagenbach noch zum Leseerlebnis. Von INGEBORG JAISER
Mächtige Schmöker der Weltliteratur eignen sich kaum zur Lektüre im öffentlichen Nahverkehr. Wer liest schon Thomas Manns Zauberberg in der U-Bahn? 100 Jahre Einsamkeit in einem überfüllten Stadtbus? Auf der Suche nach der verlorenen Zeit während des Wartens auf die nächste Zugverbindung?
Zu viel Gerüttel und Geschüttel, Gelärme und Getöse. Und eh man sich versieht, ist schon wieder Aufstehen, Umsteigen, Einsteigen angesagt. Zu wenig Zeit und Muße für ausufernde Handlungsstränge und großes Kopfkino.
Literarisches Ratespiel
Lesehungrige mögen mit der kleinen Form liebäugeln. Aber: Lyrik ist nicht jedermanns Sache und die klassische Kurzgeschichte hat zumindest im deutschsprachigen Raum nicht den allerbesten Stand. Doch der Altverleger Klaus Wagenbach, der (nach eigenem Bekunden) »in Italien und im Berliner Nahverkehr« zuhause ist, verspricht Abhilfe.
Aus seinem reichen Erfahrungs- und Lektüreschatz hat er 77 kurze Geschichten aufgespürt, gesampelt und kompiliert. Allesamt ÖPNV-tauglich. Nicht nach Genres, Themen oder Autoren geordnet, sondern nach Streckenlänge und Haltepunkten. Dazu minimalistisch reduziert: auf die Nennung von Verfasser und Quelle wird erst mal verzichtet (lässt sich jedoch im Anhang nachlesen). So taugt diese Geschichtensammlung auch jederzeit als literarisches Ratespiel.
Lesen statt bahnfahren?
Also sind Überraschungen und manch literarisches Blind Date angesagt. Wir treffen auf Irrende Ritter, Mann in Luzern und Blindgänger (geeignet für Kürzeststrecken mit einer gemessenen Lesezeit von 30 Sekunden). Auf Röntgenblick und Streuselschnecke (für zwei Stationen und mindestens zwei Minuten Lesezeit). Auf Die lange Grete und Die kleinen grünen Männer für drei und mehr Stationen. Sogar an Fahrscheinkontrollen, Überlandfahrten und Halt auf freier Strecke ist gedacht. Wer sich derart getaktet durch die Störung im Betriebsablauf geschmökert hat, hat zugleich einen ultraschnellen Abriss der neuen deutschen Literatur der vergangenen 50 Jahre erfahren: von Ilse Aichinger bis Wolf Wondratschek, von Uwe Johnson bis Julia Franck. In Kurz-Krimis, Liebesgeschichten, Komödien und Trauerspielen.
Dass das reale Leben den besten Marketing-Gag abwirft, hat der pfiffige Verlag schon Anfang November entdeckt: Während des GDL-Streiks wurde ein Werbeplakat für diese Neuerscheinung mit »Lesen statt bahnfahren« übertitelt und als PDF an 1400 Adressen (überwiegend von Buchhändlern) gemailt. Offenbar mit beachtlichem Erfolg!
Titelangaben
Klaus Wagenbach (Hrsg.): Störung im Betriebsablauf. 77 kurze Geschichten für den öffentlichen Nahverkehr
Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 2014
142 Seiten, 9,90 Euro
Danke für den Tipp,
wir setzen das Buch gerne auf unsere Lese-Liste
Grüße vom
TITEL-Team
Tolle Idee, wunderschönes Buch, knackige Geschichten. Dieses Buch ist der absolute Renner! Mehr Kurzprosa für die U-Bahn sollte es geben.
In eine ähnliche Kerbe schlägt übrigens auch diese Veröffentlichung:
Harald Rutzen „Es gibt immer mal wieder Leute…“ / Laputa Verlag ISBN 978-3000409134
http://laputa-verlag.blogspot.de/2015/03/dieses-buch-ist-besser-als-pop.html
Wann wird das eigentlich mal im TITEL rezensiert? ;)