Roman | Andrew Brown: Trost
Andrew Brown gehört zu jenen Autoren, die es in den letzten Jahren geschafft haben, Südafrika auch als Krimistandort im Bewusstsein der deutschen Leser zu etablieren. Nach Schlaf ein, mein Kind (2009) lässt der während der Apartheid mehrere Male verhaftete 48-jährige Autor in Trost erneut seinen Inspector Eberard Februarie ermitteln. Doch was heißt »ermitteln«? Eher nimmt man teil an einem Sich-Durchkämpfen des Helden durch eine von Korruption und Verrat, Gewalt und Hoffnungslosigkeit geprägte Wirklichkeit. Dass Browns Protagonisten dabei tiefe Wunden geschlagen werden und er sich zunehmend auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod, Gesetz und Verbrechen, Moral und unbezähmbaren Rachegelüsten bewegt, macht ihn zu einer so zwiespältigen wie interessanten Figur. Von DIETMAR JACOBSEN
Ein toter Junge ist gefunden worden. In einer Kapstädter Synagoge. Abgeschlachtet und auf dem Altar in der Manier eines dargebrachten Opfers hinterlassen. Der muslimische Gebetsmantel, auf dem er liegt, und die merkwürdigen Zeichen aus Blut auf dem Boden deuten auf einen Ritualmord hin. Ein Verbrechen, das die Stadt, in der religiöse Fanatisten nur darauf zu warten scheinen, gegeneinander loszuschlagen, in Aufruhr versetzt.
Schnelle Aufklärung ist geboten, denn schon versammeln sich die ersten Muslime vor den jüdischen Gebetshäusern, Steine fliegen, Hass wird geschürt. Aber ist Inspector Eberard Februarie vom Dezernat für Schwerverbrechen der Richtige, um die Dinge in kurzer Zeit wieder ins Lot zu bringen?
Denn der Mann ist ein Wrack: alkoholsüchtig und verzweifelt, nach 18 Jahren bei der Polizei vollkommen desillusioniert, in seiner Ehe gescheitert und mit einer cracksüchtigen jungen Prostituierten zusammen. Alles in allem ein nur zu typisches Produkt der Verhältnisse, durch die sich der Mann, der schwarze und weiße Vorfahren hat, wie hypnotisiert hindurchbewegt. Ordnung lässt sich da häufig nur noch zu stiften, indem man sich derselben Gewalt bedient, gegen die man eigentlich anzugehen hätte.
Ein Trinker aus Verzweiflung
Doch Februarie lernt schnell. Schneller als die, die ihn in dieses Dilemma, das sich mit der Zeit als weitaus mehr denn nur religiös motiviert erweist, vielleicht sogar mit dem Hintergedanken hineingeworfen haben, er möge versagen. Nicht zuletzt die jüdische Sozialarbeiterin Yael Rabin, zu der er sich mehr und mehr hingezogen fühlt, hilft ihm dabei, die Dinge immer besser zu durchschauen und sich auch langsam selbst in den Griff zu bekommen. Den Rest erledigen die Wut, nachdem Unbekannte seine junge Geliebte ermordet haben, und die Erkenntnis, dass seine Vorgesetzten im Polizeiapparat gemeinsam mit Geheimdienstlern und einem dubiosen Minister eine sehr zwielichtige Rolle in der Angelegenheit zu spielen und nicht wirklich an schneller Aufklärung interessiert zu sein scheinen.
Jüdische Extremisten, gewaltbereite Islamisten, denen jeder Anlass recht ist loszuschlagen, sowie das aalglatte Oberhaupt einer »neuen« Kirche, der »One church« – es ist ein Pulverfass, das jederzeit explodieren kann. Dass hinter all dem aber letztlich auch handfeste ökonomische Interessen stecken, bestimmte Kräfte die Spannungen zwischen den Communities schüren und ausnutzen, um sich hemmungslos zu bereichern, zwingt Andrew Browns Protagonisten immer wieder zu gewagten Alleingängen.
»Trost mit religiösem Glauben zu verwechseln, wäre ein großer Fehler …«
Trost widmet sich einem Thema, das, wer heute die politischen Entwicklungen in der Welt verfolgt, nicht unbedingt in Zusammenhang mit Südafrika nach der Apartheid bringt. In diesem Land, so glaubt man zu wissen, schwelen andere Konflikte. Militante Islamisten vermutet man eher im Nahen Osten oder den syrisch-irakischen Krisengebieten. Doch auch das Land am Kap, begriffen in einer stockenden Bewegung hin zu einer demokratischen Gesellschaft nach westlichem Vorbild hat seine Probleme mit einem erstarkenden Konservatismus und damit einhergehender religiöser Intoleranz.
Bei Andrew Brown geht das Ganze am Ende noch einmal gut aus. Allerdings nicht allein, weil der Inspector sich als ein Mensch erweist, der nicht einzuschüchtern ist und unbeirrbar Recht und Gesetz durchdrückt, sondern auch, weil der israelische Geheimdienst als eine Art Deus ex machina im Hintergrund die Fäden zieht. Was vielleicht unterm Strich die einzige Schwachstelle eines Romans ist, der seine Leser mitnimmt in die dunklen Ecken einer Gesellschaft, die an ihren einst proklamierten hehren Zielen nur noch in Feiertagsreden festzuhalten scheint.
Titelangaben
Andrew Brown: Trost
Aus dem südafrikanischen Englisch von Mechthild Barth
München: btb 2014
351 Seiten. 14,99 Euro
Reinschauen
| Leseprobe