Digitales | Ubisoft: Valiant Hearts
Ein verletzter Deutscher unter Trümmern. Der Franzose Emile überlegt nicht lange und befreit unter Einsatz seines Lebens den Versehrten. Kurz darauf, zurück in den gesichtslosen Reihen der Heere, trachten sie einander erneut ums Leben. Es herrscht Krieg bei ›Valiant Hearts: The Great War‹. Das Indie-Spiel der Entwickler von Ubisoft Montpellier kam bereits im Juni 2014 heraus, erzählt aber eine jederzeit relevante Geschichte. Sie handelt von Menschlichkeit in einer unmenschlichen Lage, von Wut, Traurigkeit und Stärke, von Liebe und Aufopferung. Ein wahres Happy End gibt es, wie wir wissen, nicht. Von FLORIAN RUSTEBERG und EVA HENTER-BESTING.
Das letzte Jahr war ein ereignisreiches. 2014 war geprägt von vielen aktuellen Geschehnissen, aber auch von zahlreichen Erinnerungen. Historisch gedachten wir des Beginns des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren. Diese Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts wird für Europa in Schrecklichkeit nur durch den folgenden Weltkrieg übertroffen. Gemahnt wurden wir durch Dokumentationen, Veranstaltungen und Spezialausgaben zum Thema. So vielfältig und reichhaltig die mediale Präsentation in Print und Fernsehen war, so unterrepräsentiert ist der erste Weltkrieg im Bereich der digitalen Spiele. Merkwürdig, gibt es doch genug Action- und typische »Ballerspiele«, nimmt sich kaum eines dem Szenario des ersten Krieges an. Ubisoft Montpellier änderte das. Im Juni 2014 brachte das Entwicklerteam das 2D-Adventure ›Valiant Hearts‹ auf den Markt und damit einen sehr emotionalen Zugang.
Vier Herzen mit Hund
Der Titel ›Valiant Hearts‹, zu Deutsch »wackere Herzen« bezieht sich auf das Lied »Oh Valiant Hearts« von 1919, das die Opfer des Krieges ehren sollte. Dem Genre des Rätselspiels und 2D-Adventures zugehörig, wird es in Trickfilm-Optik dargestellt. Dennoch verstehen die Entwickler das Spiel als Antikriegsspiel und animiertes Graphic Novel Abenteuer, das die vier verwobenen Schicksale der Protagonisten und eines charmanten Sanitätshundes erzählt; von Freundschaft, Tragik, Liebe und Opferbereitschaft.
Zum einen sind da der französische Bauer Emile und seine Tochter Marie, die vom Deutschen Karl, den es als Landarbeiter nach Frankreich verschlug, ein Kind erwartet. Doch die kleine Familie wird bei Kriegsbeginn jäh auseinandergerissen. Karl wird, wie alle Deutschen im Land, von den Behörden ausgewiesen und im damaligen Kaiserreich zum Kriegsdienst eingezogen. Auch sein Schwiegervater Emile bleibt trotz seines fortgeschrittenen Alters nicht vom Einberufungsbefehl verschont. Mit ihm erleben wir ein kleines Tutorial bei der Grundausbildung der französischen Armee und lernen dort auch den afro-amerikanischen Fremdenlegionär Freddie kennen, der eine heimliche Liebschaft zu einer weißen Frau pflegte. Seine eigene, sehr persönliche Motivation für den Kampf im Schützengraben begründet sich durch den Verlust seiner Angetrauten durch einen deutschen Bombenangriff. Freddie will Rache. Komplettiert wird das Quartett durch Anna, einer belgischen Tiermedizinstudentin in Paris, die ihren Vater aus der deutschen Zwangsarbeit befreien möchte.
Mit Tiefgang in den Schützengraben
Alle Charaktere sind liebevoll gezeichnet, zeugen von Charme und haben ihre Macken. Sie sind eigen, manchmal schrullig, meistens putzig. Fast möchten wir meinen, sie passen nicht. Denn wenn sie durch die kargen Schlachtfelder vorbei an Leichenbergen, Schützentürmen, MG-Stellungen oder brennende Trümmer laufen, ist das mehr als bedrückend. Doch es ist kein Widerspruch. Die einfache Comic-Grafik lässt die drastische Darstellung des immer rücksichtsloser brausenden Krieges intensiver erleben als sämtliche Ego-Shooter. Zusammen mit den passenden Soundtracks erzeugt das Spiel eine fesselnde Stimmung. Es reicht von dramatischen, Schlag-in-den-Magen-realistischen Szenerien im Lazarett oder auf dem Schlachtfeld über aberwitzige, überzeichnete Verfolgungsjagden mit Slapstick-Tendenz bis hin zu Momenten, in denen wir tatsächlich schmunzeln müssen. Passt das zusammen? – Eindeutig Ja. Nicht trotz, sondern wegen seines Zeichentrick-Charakters macht es die Geschichte rund, wahrt die gewisse Distanz und lässt uns nachdenklich zurück. Ubisoft ist eine Gratwanderung gelungen.
Während wir mit Anna in die Schlacht an der Marne geraten und mit Emile den ersten Giftgasangriff erleben, sind wir auch immer wieder auf Objektsuche. Anhand gefundener Tagebücher, Gegenstände und Bücher wird uns der historische Hintergrund erörtert. Wir erfahren vom Leben im Krieg und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Wir lesen Briefe aus dem Schützengraben, betrachten Kunstwerke und schauen in die fotografisch festgehaltenen Gesichter der gefallenen Soldaten des Krieges – des echten. Wie in Fußnoten wird uns die Geschichte immer weiter erzählt, nicht störend, ganz im Gegenteil: Dank Ubisofts Zusammenarbeit mit Historikern bekommt ›Valiant Hearts‹ Tiefgang und regt zum intensiven Nachdenken an, was aus eigener Narration unmöglich hätte erreicht werden können. Beim Spieler stellen sich Wut und Traurigkeit ein, wir bekommen Mitleid und bemerken, dass hinter der ganzen Kriegsmaschinerie Menschen stecken – und Menschlichkeit.
Der Krieg als Antagonist
Der wahre Gegner ist der Krieg, doch verzichten die Entwickler nicht gänzlich auf einen menschlichen Bösewicht. Wir treffen auf den Deutschen Baron von Graf, dessen Zeppelin wir mit der Orgel aus der Kathedrale von Reims wegpusten müssen. Huch? An dieser Stelle zerbricht die Neutralität des Spiels. Kommt es sonst augenzwinkernd mit Klischees von Wein trinkenden Franzosen und Wurst essenden Deutschen aus, wird der Baron zum ultimativ Bösen. Das gibt zwar einen guten Bosskampf, wirkt aber im Gesamtbild zu übertrieben. Atmosphärisch ist das aber unser einziger Minuspunkt. Apropos Bosskampf – obwohl es sich bei ›Valiant Hearts‹ um ein Kriegsspiel handelt, kämpfen wir nicht. Wir werden auf ein Schlachtfeld geführt, müssen überleben, aber dürfen nicht töten. Und obwohl wir keiner Comic-Figur ein Haar krümmen, ist der Tod unser ständiger Begleiter. Unsere Aufgabe besteht darin, Rätsel und Aufgaben zu lösen oder Bombardements auszuweichen, Sturmangriffen zu trotzen.
Dabei wird es nie richtig knifflig, meist reicht die Verknüpfung von einigen Gegenständen und Aktionen. Wenn wir trotzdem auf dem Schlauch stehen, erhalten wir nach und nach optionale Tipps zur Lösung.
Die Darstellung des Spiels basiert auf 2D-Objekten, angeordnet in verschiedenen Ebenen. Ursprünglich für die ›Rayman‹-Serie entwickelt, fand das Konzept der UbiArt Framework auch bereits bei ›Child of Light‹ Verwendung und ermöglicht eine leichte Handhabung. Manchmal leider zu leicht: ›Valiant Hearts‹ lässt sich in knappen 6 Stunden durchspielen. Ein wenig mehr Anforderung und Spiellänge hätte mit Sicherheit nicht geschadet.
Am Ende…
›Valiant Hearts‹ ist ein Spiel über den Krieg, aber kein Kriegsspiel. Ein Spiel von einem kleinen Team, das die Geschichte von vier Menschen und einem Hund erzählt. Eine Geschichte von vier ineinander verstrickten Schicksalen und von Menschlichkeit in einer unmenschlichen Situation.
Ubisoft Montpellier ist ein Werk gelungen, das mutig ist und Schwächen hat, das berührt und zum Nachdenken anregt und mit einer ganz unkonventionellen Darstellung viel Wissen und Emotionen vermittelt. ›Valiant Hearts‹ widmet sich dem Krieg und zeigt die Kehrseite, es versinkt nicht in falschem Patriotismus, sondern nimmt alles Glorreiche.
|FLORIAN RUSTEBERG, EVA HENTER-BESTING
Titelangaben
Valiant Hearts
Ubisoft Montpellier
seit Juni 2014 für PC, Playstation 3, Playstation 4, Xbox360, XboxOne, Android und iOS erhältlich.
UVP 14,99€
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