Digitales | Games: Xenoblade Chronicles X
Riesige Roboter, Aliens, niedliche Fellknäuel – so lautet die Zutatenliste für ›Xenoblade Chronicles X‹ (XCX). Für ein japanisches Rollenspiel ist das sicherlich kein Novum, dennoch schafft es ›XCX‹, das Genre mit einem einzigartigen Kampfsystem und einem teilweise asynchronen Onlinemodus aufzufrischen. Ob der Spagat zwischen epischer Story und MMORPG gelingt und was das Exklusivspiel auf der Wii U so einzigartig macht, erfahrt ihr in unserem Test. Von PHILIPP LINKE.
Nachdem die Erde von Aliens vernichtet wurde und das zur Flucht ausgesandte Raumschiff auf dem Planeten Mira bruchlanden musste, heißt es für die verbleibende Menschheit den Wiederaufbau ihrer Zivilisation anzugehen. Der ehemalige Wohnbereich New Los Angeles wird dazu kurzum als militärische Basis umfunktioniert. Die restlichen Bruchstücke sind über ganz Mira verteilt und müssen zunächst geborgen werden. Insbesondere der Lifeshold ist von größter Priorität, da in ihm Menschen im Kryoschlaf transportiert wurden, damit sie bei der Ankunft auf einem bewohnbaren Planeten aufgeweckt werden könnten. Das Ganze gestaltet sich unverhofft schwierig, da eine mysteriöse Aliengruppe ebenfalls auf der Suche nach dem Kern des Raumschiffs ist, um den Rest der Menschheit endgültig auszurotten. Als wäre das nicht schlimm genug, wird der Planet Mira von zahlreichen feindlichen Kreaturen bewohnt, die alle Menschen in Sichtweite ohne Zögern angreifen.
Im Spiel steuert ihr ein Mitglied der Söldnerorganisation »BLADE« und übernehmt unter Geleit der früheren Kommandantin Elma und der Mechanikerin Lin jede Menge Aufträge, die zum Aufbau von New Los Angeles beitragen. Früh treffen die drei auf Tatsu, einen Einheimischen der Rasse Nopon (die Spielern von ›Xenoblade Chronicles‹ für die Wii wohlbekannt sein wird). Tatsu sieht aus wie eine pelzige Kartoffel und fühlt sich als Retter der Menschheit, obgleich er nie an Kämpfen teilnimmt. Stattdessen sorgt er für den Niedlichkeitseffekt und heitert Gespräche durch seinen ganz persönlichen Cringe-Humor auf.
Obwohl ihr das Aussehen eures Charakters selbst bestimmt und sogar aus mehreren Sprach-Sets euren Lieblings-Kampfschrei aussucht, bleibt euer Charakter in Gesprächen stumm. Trotzdem könnt ihr in Gesprächen euern Senf abgeben. Dazu wird euch ein Auswahlfeld angezeigt, in dem ihr z.B. entweder von eurem großartigen Erfolg auf einer Mission prahlt oder bescheiden bleibt. Je nachdem, wer sich in eurem Team befindet, wird eure Antwort anerkannt, sodass eure Freundschaft mit dem entsprechenden Charakter gestärkt wird – was wiederum neue Missionen und einen Vorteil im Kampf verschafft.
Insgesamt ist die Story in XCX unterhaltsam, sie reicht aber nicht an die epischen Ausmaße des Vorgängers heran. Das liegt vor allem an der eher passiven Beteiligung des Protagonisten. Während man für Shulk in XC mit der Zeit sehr viel Sympathie aufgebaut hat, wirkt der erstellte Spieler aus XCX wie eine leere Hülle. Dafür treten Elma, Lin und Tatsu in den Vordergrund. Die drei erfüllen ihre Rollen als Nebencharakter und wachsen einem schnell ans Herz, ähnlich wie Reyn oder Melia aus XC, doch fehlt die Beziehung zum Hauptcharakter, der die gesamte Geschichte verbindet.
In New Los Angeles bleibt niemand arbeitslos
Tatsächlich gibt es in XCX nicht nur ein, sondern gleich drei Levelsysteme. Zu Beginn eurer Karriere schließt ihr euch einer von acht Divisionen an. Eure Division bestimmt, für welche Aktionen euer BLADE-Level aufgestuft wird und dieser erhöht euer Wissen in Mechanik, Biologie oder Archäologie. Noch wichtiger ist eure Klasse, die sich durch Kämpfe verbessert. Sie legt im Wesentlichen fest, welche Kampfkünste ihr beherrscht, lässt sich aber bei Bedarf jederzeit wechseln. Für höher spezialisierte Klassen müsst ihr erst die Vorherige auf Level 10 bringen, danach startet ihr die neue Spezialisierung wieder bei 1. Bisher erlernte Techniken bleiben aber erhalten. Schließlich existiert noch die traditionelle Fähigkeitsstufe eures Helden, die sich durch Kampferfahrung sowie durch Entdecken neuer Orte oder durch Missionen erhöhen lässt.
Missionen beinhalten entweder das Töten von Monstern, das Sammeln von Gegenständen, das Finden einer bestimmten Person oder das Erkunden eines Gebiets sowie das Installieren einer Sonde an bestimmten Knotenpunkten. Mit Hilfe der Karte auf dem Gamepad ist das Missionsziel schnell ausfindig zu machen. Habt ihr ein Gebiet bereits besucht, ist die Chance eines naheliegenden Schnellreisepunktes hoch, den ihr dann einfach auf dem Gamepad-Bildschirm antippt. Sehr praktisch. Das Auffinden von Objekten gestaltet sich durch die zufällige und oft regionale Verteilung deutlich schwieriger. Manche Gegenstände sind nur von bestimmten Gegnertypen zu erbeuten. Durch die riesige Vielfalt an Gegnertypen wird dabei aber massig Abwechslung geboten. Da jeder Feind außerdem eine andere Schwachstelle und ein anderes Kampfverhalten besitzt, müsst ihr eure Taktik oft anpassen, um als Sieger hervorzugehen.
Gut ausgerüstet
Ein erfolgreicher Kampf erfordert natürlich eine gute Rüstung. Neben der Möglichkeit, sich die Ausrüstung im Kampf zu erbeuten, ist es ratsam, die neuesten Teile am Waffenterminal zu kaufen. Indem ihr Waffen eines Herstellers im Kampf tragt, macht ihr Werbung für den Waffenhersteller eures Vertrauens. Zusätzlich könnt ihr eurem Lieblings-Brand Miranium, eine Art Erz, spenden. Mit der Zeit gesellen sich immer mehr Waffenhändler dazu, die ihren eigenen Stil haben. Neu ist, dass ihr eure Lieblingsrüstung als äußere Erscheinung festhalten und trotzdem eine unsichtbare Rüstung darüber tragen könnt, die vielleicht bessere Werte hat. Doppelt hält besser. Auch eure Teammitglieder sind beliebig auszurüsten. Die Fähigkeit, einen Teamkameraden zu steuern, wird allerdings erst später freigeschaltet. Maximal kann euer Team vier Leute aufnehmen.
Falls euch eine bestimmte Mission zu schwierig ist, lassen sich online verfügbare Spielfiguren anheuern. Der Spieler, dem dieser Charakter gehört, steuert diesen nicht direkt, erhält jedoch eine Belohnung, wenn er angeheuert wurde. Genauso besteht die Möglichkeit, euren eigenen Charakter zu registrieren. Nebenbei werden Teammissionen eingeblendet, die ihr asynchron absolvieren könnt. Das heißt, sobald die entsprechenden Monster von eurer 32-köpfigen Online-Gruppe besiegt wurden, wird ein Bonusgegenstand unter allen Teilnehmern verlost.
Schließlich gibt es noch Online-Missionen mit einem vierköpfigen Team aus eurer Gruppe zu bestreiten – und zwar synchron. Das heißt, ihr startet eine Einladung und wartet darauf, dass sie von einem bis drei Mitspielern angenommen wird, die gleichzeitig mit euch auf Monsterjagd gehen. Hier gibt es u.a. globale Bedrohungen, die eine riesige Anzahl Lebenspunkte besitzen. Jeder Spieler, der die Mission annimmt, verursacht Schaden so lange er kann. Dieser Schaden wird dann vom globalen Counter abgezogen, bis die Lebenspunkte auf null fallen. Normalerweise wird euch eine verfügbare Online-Gruppe zufällig zugeteilt. Ihr könnt aber auch ausschließlich Freunde zulassen oder einfach offline spielen und auf diese Funktionen verzichten.
Button mashing war gestern!
Das Kampfsystem in XCX ist an diverse Online-RPGs angelehnt, aber bietet doch ganz eigene Kniffe. Einerseits sind nicht alle Lebewesen Miras auf einen Kampf aus. Sobald ihr ein Monster angreift, ist aber mit Gegenwehr zu rechnen. Aggressive Arten attackieren hingegen schon bei Sichtkontakt. Für den Grundangriff steht euch eine Fern- oder Nahkampfwaffe zur Verfügung, die per Knopfdruck jederzeit wechselbar sind. Dazu hat jeder Charakter ein Set aus acht Kampfkünsten, die von der Klasse und dem Level des Charakters abhängen. Ihr entscheidet, welche der erlernten Künste im Kampfbildschirm auftauchen und Lernpunkte auf eure Lieblingsangriffe verteilen. Habt ihr eine Kampfkunst eingesetzt, müsst ihr eine bestimmte Zeit lang warten, bis sie wieder parat ist. Einige der Kampfkünste erfordern Spezialpunkte, die mit dem Grundangriff aufgeladen werden. Bei voller Spezialanzeige wird die Option Übertakten freigeschaltet, wodurch euer Charakter für kurze Zeit stärker und deutlich schneller wird. Alternativ könnt ihr einen Teamkollegen wiederbeleben. Der Einsatz der Spezialpunkte will also gut überlegt sein.
Nun gibt es noch zwei weitere Effekte, auf die ihr in einem schwierigen Kampf besonders achten solltet. Zum einen stoßen eure Kollegen in bestimmten Situationen Kampfrufe aus und fordern euch auf, Nahkampfangriffe auszuführen. Setzt ihr eine dieser Attacken ein, tritt ein bestimmter Effekt in Kraft, den ihr im Menü bestimmt. Hier gibt es also viel Potenzial zum Herumexperimentieren. Nach einem erfolgreichen Kampfruf erhaltet ihr eventuell eine Chance auf einen Potential-Angriff. Der äußert sich in einem Kreis in der Mitte des Bildschirms, der stetig kleiner wird. Drückt ihr im richtigen Moment die B-Taste, so wird die Gruppe geheilt und die Moral des Teams steigt. Durch die höhere Moral habt ihr wiederum eine höhere Chance auf Kampfrufe, sodass ihr mit geschicktem Timing einen entscheidenden Vorteil haben werdet.
Jetzt wird’s abgehoben
Für Profis reicht es natürlich nicht aus, möglichst viele starke Angriffe aneinanderzureihen. Es ist ratsam, die Effekte der Künste genau zu kennen und in der richtigen Reihenfolge auszuspielen. Habt ihr euch erstmal in das System reingefuchst, sind die Kämpfe sehr dynamisch und belohnen einen guten Stil.
Erst nachdem ihr etwa 20 Stunden des Spiels absolviert habt, erhaltet ihr euren ersten Roboter, genannt »Skell«. Ab dem Zeitpunkt fühlt sich XCX wie ein vollkommen anderes Spiel an. Große Entfernungen und Höhen sind nun mit Leichtigkeit zu überwinden und selbst größeren Gegnern könnt ihr die Stirn bieten. Mit anderen Worten: Ihr fühlt euch supermächtig! Ab und zu wechselt die Kamera während des Kampfes in die Cockpit-Perspektive und vermittelt das Gefühl im Skell zu sitzen. Absolute Freiheit genießt ihr schließlich, sobald ihr das Flugmodul für euren Skell freischaltet.
Wie alle Dinge im Leben hat selbst ein Skell seine Nachteile: Wird er zerstört, müsst ihr euch einen Neuen kaufen. Nebenbei braucht er Treibstoff und muss ab und zu im Quartier aufgefüllt werden. Außerdem passt ihr nicht mehr durch kleine Höhleneingänge, sodass ihr hier auch mal zum Abstellen gezwungen seid. Ihr könnt aber jederzeit per Schnellreise zu eurem wunderbaren Flugobjekt zurückkehren.
Das Wandern ist des BLADEs Lust
Auf den fünf verschiedenen Kontinenten Miras blüht das Leben. Sei es der tropische Dschungel Noctilum mit riesigen Bäumen und bunten Blumenmeeren oder die trockene Wüste Oblivia mit extremen Gebirgsformationen und riesigen Metall- und Steingebilden, die von einer vergessenen Zivilisation zeugen: Jedes Gebiet sieht einzigartig aus und ist mit den unterschiedlichsten Lebensformen dicht bevölkert. Sogar innerhalb eines Kontinents sind die Eindrücke so verschieden und charakteristisch, dass eine Erkundungstour zum Vergnügen wird. Nicht alle Orte sind dabei einfach zu erreichen. Manche Wege führen durch verwinkelte Höhlen oder Gebirgsschluchten, andere führen über Brücken zwischen den Baumkronen entlang. Viele Orte erreicht ihr erst mit einem Skell.
Stoff für Diskussion liefert die Musik in XCX. Viele Kompositionen sind umwerfend gut. Jene etwa, die
spezifisch auf den individuellen Kontinent zugeschnitten sind. Von jedem Stück gibt es eine Version für den Tag und eine etwas ruhigere Variante für die Nacht. Das Besondere: Unter dem hauptsächlich klassisch gestalteten Soundtrack befinden sich einige Musikstücke, die Gesang enthalten und eher modernen Genres zuzuordnen sind – für ein Videospiel sehr untypisch. In vielen Situationen funktioniert diese Idee erstaunlich gut. So erinnert der Gesang in Noctilum an afrikanische Musik und vermittelt sofort ein exotisches Ambiente. Die normale Kampfmusik hat New Metal-Flavor mit spät einsetzendem Rap-Gesang, der die Hektik des Kampfes unterstreicht. Bei Endgegnern oder Tyrannen begleitet eine Frauenstimme die epischen Höhen des Kampfes. Befindet ihr euch in einem Skell, nimmt die Musik einen leichten Chiptune-Charakter an, der beim Übertakten noch mal verstärkt wird und sicher nicht jedem Spieler zusagt. In der Hinsicht hätte ein traditioneller JRPG-Stil, der hauptsächlich aus Orchesterstücken besteht, sicher ein breiteres Publikum angesprochen. Unabhängig vom Stil wirkt der Gesang nicht immer passend; beispielsweise in Missionsbesprechungen, bei denen ihr den Stimmen der Synchronsprecher zuhören solltet.
Einen sehr guten Eindruck machen die filmreifen Zwischensequenzen, die allesamt in Spielegrafik gerendert werden und dabei grandios aussehen. Die englischen Synchronsprecher leisten hier einen hervorragenden Job. Eine andere Sprache wird für die Stimmen nicht angeboten. Derart aufwendige Clips bekommt ihr nur in den Hauptmissionen zu sehen, einige Nebenmissionen können zwar ebenfalls Story-Sequenzen enthalten, diese sind jedoch deutlich simpler und in der Regel nicht synchronisiert.
Technisch gesehen holt XCX einiges aus der Wii U heraus und zählt zu den graphisch schönsten Spielen auf der Konsole. Damit die Ladezeiten bei der DVD-Version nicht allzu lange ausfallen, können vier optionale Datenpakete heruntergeladen werden, die zusammen etwa 10 GB Speicher benötigen. Dadurch lassen sich die Wartezeiten zum Beispiel bei der Schnellreise zwischen zwei Kontinenten von 20 auf etwa 10 Sekunden verkürzen. Positiv zu erwähnen sind die zahlreichen Einstellungen zu Kamerageschwindigkeit oder eingeblendeten Fenstern. Tatsächlich lassen sich alle Informationen im Sichtfeld einzeln abschalten, bis nur noch die Künste-Leiste im Kampf erscheint.
Fazit
›Xenoblade Chronicles X‹ ist ein Spiel mit viel Stärken und Schwächen. Im Vergleich zu seinem indirekten Vorgänger bietet es eine bessere Grafik, eine noch größere Welt und ein umfangreicheres Kampfsystem, das vor allem durch die Skells ein ganz neues Spielgefühl vermittelt. Die neuen Online-Funktionen sind sowohl im asynchronen, als auch im echten Mehrspielermodus eine Bereicherung und versprechen vor allem mit Freunden jede Menge Spaß. Im Austausch dagegen gibt es keinen richtigen Hauptcharakter mehr, da sich die stumme Spielfigur im Vergleich zu den lebendigen Begleitern wie ein Platzhalter anfühlt.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Musik, die sicher nicht jedem zusagt, trotz – oder grade wegen der gelegentlichen Gesangseinlagen. XCX bleibt eben ein Nischenprodukt, das jene belohnt, die sich auf seine Eigenheiten einlassen (können). Habt ihr also bereits andere JRPGs gespielt und das eine oder andere MMO-RPG ausprobiert, wollt jedoch auf eine gute Story nicht verzichten, dann könnte der Spagat, den XCX zwischen diesen beiden Genres aufspannt, genau das richtige für euch sein.
Titelangaben
Xenoblade Chronicles X
Nintendo / Monolith Soft
exklusiv erhältlich für WiiU
ab 49,99€ UVP