Viele Spielstunden brachte RUDOLF INDERST in einem fiktional-dystopischen Detroit zu – daher war die neue Lektüre von Ann-Kathrin Günther für ihn auch besonders spannend.
Rudolf Inderst (RI): Guten Tag Frau Günther, vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit nehmen für unser Gespräch. Würden Sie sich bitte unseren Leser:innen vorstellen? Wie kann man sich Ihren Berufsalltag vorstellen?
Ann-Kathrin Günther (AKG): Guten Tag und vielen Dank, dass ich mein aktuelles Projekt vorstellen darf! Ich heiße Ann-Kathrin Günther und habe Ende 2023 meinen Master in Neuerer deutscher Literatur (NdL) absolviert. Bereits zuvor habe ich mich in meinem Bachelorstudium der Germanistik auf die neuere Literaturwissenschaft spezialisiert. Deshalb war es für mich nur sinnvoll, im selben Bereich weiterzumachen und jetzt mittlerweile seit Anfang 2024 als Doktorandin an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg an meiner Dissertation innerhalb der NdL zu arbeiten. Meine Dissertation beschäftigt sich wie auch einige meiner Arbeiten zuvor inhaltlich mit Videospielen als Untersuchungsgegenstand. Ich schreibe darin über die Rolle von Spieler:innen in digitalen Spielen. Aktuell kann man sich meinen Arbeitsalltag so vorstellen: Ich recherchiere Sekundärliteratur sowohl aus dem Bereich der Literaturwissenschaft, Narratologie und Erzähltheorie als auch aus der Spielforschung. Meine Gedanken zu den einzelnen Texten notiere ich mir dann und sammle sie in bestimmten Kategorien. Inhalte, die nicht so relevant für meine Dissertation sind, verwende ich dann für Paper in Sammelbänden oder Zeitschriften. Das können beispielsweise Aspekte der Remediation oder des Transmedial-Storytellings sein, die mir für die Analyse spezifischer Videospiele sinnvoll erscheinen. Weitere Inspirationen erhalte ich zudem durch das Besuchen von Tagungen, Konferenzen, Doktorand:innentreffen oder Ähnlichem.
Wir möchten heute gerne über Ihr frisch im Werner-Hülsbusch-Verlag erschienenes Buch ›Posthumanismus in fiktionalen Texten: Umgang mit dem Posthumanen in ›Ich bin dein Mensch‹ und ›Detroit: Become Human‹‹ sprechen. Was war Ihr ursprüngliches Forschungsinteresse?
Wie gesagt war ich schon früh in meinem Studium vor allem der neueren Literaturwissenschaft zugewandt und habe mich dabei Texten verschiedener Art gewidmet – insbesondere aber Videospielen. Ein weiterer Punkt, der mich inhaltlich in Seminaren interessiert hat, war der Umgang mit Künstlicher Intelligenz, Robotern und Androiden in unserer Gesellschaft und der Fragen gerade danach, was den Menschen eigentlich ausmacht und welche Verantwortung wir haben, wenn solche Technologien entwickelt und eingesetzt werden. Deshalb habe ich in meiner Masterarbeit ein Forschungsthema gewählt, das meine Interessen verknüpft und so entstand die Idee, über die Theorien des Posthumanismus‘ anhand von einer Erzählung und einem Videospiel zu schreiben. Auf dieser Basis ist nun auch dieses Buch entstanden. Posthumanistische Theorien über den Posthumanen sind selbst noch fiktive Wunschvorstellungen und deshalb eignet sich dieser Themenkomplex gut, um seine Darstellung in fiktionalen Texten zu untersuchen. Diese Sorte Texte spielen Szenarien durch, die zwar fiktiv, aber dennoch vorstellbar erscheinen, und sehr oft wird darin die menschliche Existenz und Koexistenz mit KI oder Androiden verhandelt. Gerade darum geht es in ›Ich bin dein Mensch‹ und ›Detroit: Become Human‹.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Verlag? Gab es zum Beispiel thematische oder inhaltliche Überarbeitungen?
Die Zusammenarbeit verlief sehr gut und ich bin mit dem Endergebnis zufrieden. Der Verleger Werner Hülsbusch hatte einige inhaltliche und stilistische Anmerkungen, wie ich Sätze konkreter und besser formulieren kann. Vieles drehte sich vor allem um Aspekte des Posthumanismus‘, da dieser aus mehreren Wunschvorstellungen und Ideen zusammengesetzt ist und keine wissenschaftlich fundierte, einheitliche Theorie bildet. Gerade an den Stellen, an denen ich über posthumanistische Gedanken geschrieben habe, musste ich einiges präzisieren, um Missverständnisse zu vermeiden. Ich bin sehr froh, dass Herr Hülsbusch mit einem objektiven Auge auf diese Passagen geblickt und mir Ratschläge gegeben hat. Da dies meine erste selbstständige Publikation ist, musste ich öfter nachfragen, was er mit seinen Anmerkungen meint, oder besser kommunizieren, was ich umgekehrt meine. Deshalb bin ich froh, dass er so geduldig mit mir im ständigen Austausch stand.
Wie würden Sie Ihre Haupterkenntnisse der Untersuchung zusammenfassen?
Ich habe sowohl ›Ich bin dein Mensch‹ als auch ›Detroit: Become Human‹ wie einen fiktionalen Text behandelt und untersucht. Da ging es viel um die Analyse von Aspekten wie Figurendarstellung, Chronologie der Ereignisse, erzählerische Perspektiven und vor allem die Behandlung von Elementen aus posthumanistischen Ideen. Doch auch wenn die Texte nur fiktive Szenarien beschreiben, kann man gut herauslesen, was es mit den Menschen macht, wenn sie in ihrer Selbst mit künstlichen Wesen wie Androiden konfrontiert sind, die genauso aussehen und handeln wie sie, aber dennoch anders und auch besser erscheinen, da sie beispielsweise nie müde werden oder altern. Die gezeigten Ängste, Sorgen und Emotionen sind zwar Teil einer fiktiven Welt, aber sie wurden dennoch von echten Menschen kreiert und es sind dieselben, die auch unter anderem in Diskussionen über ChatGPT auftreten. Deshalb sind solche fiktional arbeitenden Texte ein guter Spielraum, um zu erproben, was sein könnte und wie die Menschen darauf reagieren könnten oder sollten. Daraus erwächst auch eine Verantwortung, da diese Szenarien wie ein globaler Einsatz von selbstdenkenden Androiden nicht real sind, aber wir uns aufgrund dieser Texte damit befassen und überlegen können, wie wir mit so etwas Ähnlichem in Zukunft verantwortungsbewusst umgehen wollen.
Lassen Sie uns als Abschluss noch ein wenig herauszoomen und etwas genereller über die Spielforschung sprechen. Was für einen Eindruck haben Sie in den letzten Jahren gewonnen – wie steht es um diese? Wo sehen Sie die größten Herausforderungen und Möglichkeiten?
Ich bin am Anfang eher durch Zufall auf das Feld der Spielforschung gestoßen, da diese – wenn überhaupt – an Universitäten oft leider nur ein Exkursthema gewesen ist. Mein Eindruck ist, dass sich da in den letzten Jahren schon einiges getan hat und es nun immer mehr Projekte, Initiativen oder Vereine gibt, die sich der Spielforschung verschreiben. Umgekehrt sehe ich beispielsweise in meiner Region auch immer mehr kleinere Entwicklerstudios entstehen. Das freut mich sehr, weil ich einfach gerne mit Videospielen und dieser Branche zu tun habe. Viele Forschende aus diesem Bereich sind für mich besonders offen und kollegial unterwegs. Ich habe zum Beispiel im Arbeitskreis Geisteswissenschaften und Digitale Spiele und der Ludobande viele nette und hilfsbereite Menschen kennengelernt, die sich ebenso mit der Spielforschung befassen und andere wie mich, die noch relativ am Anfang stehen, bereitwillig unterstützen. Es gibt natürlich noch jede Menge andere Netzwerke in dieser Richtung. Ich denke, solche Vernetzungen untereinander sind – egal in welchem Bereich – sehr wichtig und von Vorteil. Es bräuchte generell mehr Miteinander, auch in der Wissenschaft und Forschung. Deshalb würde ich sagen, es steht gut um die Spielforschung und ich sehe, dass sich aktuell mehr Möglichkeiten als Herausforderungen auftun.
Titelangaben
Ann-Kathrin Günther: Posthumanismus in fiktionalen Texten
Glückstadt: vwh-Verlag 2024
112 Seiten, 23,80 Euro
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