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Roman | Adriana Altaras: Doitscha

Was tun, wenn der halbwüchsige Sohn Partisan oder Zionist oder am besten beides werden will? Wenn er sich gleichermaßen befähigt fühlt, die Palästinafrage und die Eurozonenkrise zu lösen? Adriana Altaras beschreibt in ihrem neuen Roman Doitscha eine deutsch-jüdische Familienaufstellung nebst turbulenten Pubertätskämpfen. Von INGEBORG JAISER

DoitschaDie Rollen in dieser überbordenden Familienkomödie sind klar verteilt. Der Vater Georg: ein stoischer, mundfauler Westfale. Die Mutter und Ich-Erzählerin Adriana: eine überdrehte, überkandidelte, leicht meschuggene Jüdin.

Der erstgeborene Sohn David: supercool, hochbegabt und am liebsten ultraorthodox. Der jüngere Sohn Sammy: ein ganz Süßer – gleichermaßen vernarrt in Minigolf, ›Germany’s next Topmodel‹ und die ›Gala‹.

Familie und andere Katastrophen

All diese Extreme vereint an einem Ort, das kann nicht gut gehen! Vorzugsweise zum Abendessen, das David mit Jogginghosen auf Halbmast antritt, ständig die eingehenden SMS checkend, gehen die verbalen Bomben hoch. »Ey Doitscha, wie bist du denn drauf?« faucht der pubertierende Sohn seinen Vater an, dem westfälischen Katholiken und Lehrer in vierter Generation. Wie uncool!
»Doitscha zu sein ist an sich schon nicht einfach. Doitscha in einer jüdischen Enklave zu sein, ist doppelt bitter, weil der Doitscha dort weniger wert ist.« Wahlweise endet der Abend mit Geschrei, Gerangel oder Polizeieinsatz. Wenn es gut geht, nur mit Türenschlagen und einem überteuerten Versöhnungs-Sushi-Essen am nächsten Tag. Dabei täten es zwei Burger von Macces auch.

Deutsch-jüdisches Dilemma

Witzig und überspitzt, rasant und amüsant, zuweilen herrlich politisch unkorrekt berichtet Adriana Altaras vom Krisengebiet Familie, vom deutsch-jüdischen Dilemma unter einem Dach, mitten in Berlin-Schöneberg. Die Verteidigung der Golanhöhen ist offenbar nichts dagegen. Inspirationsquellen für diesen Roman bietet Altaras‘ eigene Familie zur Genüge.
»Sagen wir so: Nichts stimmt, wie es im Buch steht, und doch ist alles wahr«. Hat die Schauspielerin, Regisseurin und Schriftstellerin in ihrem Debüt Titos Brille noch die Geschichte ihrer Eltern aufgearbeitet, die Lager und Partisanentum überlebt haben, widmet sie sich nun der nächsten und übernächsten Generation.

Hochtourig und neurotisch

Dabei hat Adriana Altaras selbst kein leichtes Päckchen zu tragen. 1960 in Zagreb geboren, die ersten Jahre in Italien aufgewachsen, kann sie Mitte der Sechziger Jahre ihren ausgerechnet nach Deutschland übersiedelten Eltern folgen. Doch die kettenrauchenden, espressosüchtigen Workaholics verlagern ihre ganze Energie in den Aufbau einer jüdischen Gemeinde samt Synagoge in Gießen. Für die kleine Tochter bleibt da nur ein Waldorfinternat in Marburg (»Sie verdienten sich Bundesverdienstkreuze, mir wurde das Taschengeld erhöht, die Rechnung ging auf.«)

Doch als Mutter macht Adriana Altaras natürlich alles ganz anders. Zwingt den halbwüchsigen, aufmüpfigen Sohn David Sonntag früh um acht zum gemeinsamen Joggen (»Ich muss mir meine Kräfte genau einteilen, sonst wird man mich mit dem Notarztwagen aus dem Rotary Club in Zehlendorf abholen müssen«) und macht sich mit ihrer leicht hysterischen Überdrehtheit schon mal selbst zum Affen. Muss sie wirklich permanent durch die Lande touren zwischen nicht ganz koscheren Talkshows, zweifelhaften Lesungen in Troisdorf oder Oberursel und einer provozierenden Rede zum 9. November in der Frankfurter Paulskirche? Youngster Sammy schämt sich in Grund und Boden und vertieft sich noch mehr in die aktuelle ›Gala‹.

Stellungskriege mit dem Vater

Vielstimmig und facettenreich wird das Geschehen aus den wechselnden Perspektiven der Protagonisten kommentiert. Springt zwischen der hyperventilierenden, wild gestikulierenden, jüdischen Mutter (»Wie stellst Du Dir das vor? Eine Hand am Sack, die andere am Computer? Und dazwischen Stellungskriege mit Deinem Vater?«) und ihrem wortkargen, katholischen Ehemann (»Ich komme aus engen Verhältnissen – oder wie soll man das bezeichnen, wenn man in Greven im Münsterland Messdiener war?«). Dazwischen das Jammern der Söhne an der virtuellen Klagemauer. Herrlich komisch auch der innere Monolog des eben abnippelnden Onkel Aron, der noch mal sein Leben Revue passieren lässt: »Israel war für uns, was für die Surfer Hawaii und die Kiffer Goa war.« In dieser Familie hat man vor nichts Mores – nicht mal vorm Tod.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Adriana Altaras: Doitscha: Eine jüdische Mutter packt aus
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2014
272 Seiten. 18,99 Euro
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