Roman | Oliver Bottini: Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens
Der Tod einer jungen Frau steht am Beginn von Oliver Bottinis neuntem Roman ›Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens‹, der mit dem Deutschen Krimi-Preis 2018 (national) ausgezeichnet wurde. Zu Recht, den dieser Roman ist ein großes Leseerlebnis, findet DIETMAR JACOBSEN
Mit den bis dato sechs Romanen um die Freiburger Polizistin mit deutsch-französischen Wurzeln Louise Boní ist der heute in Berlin lebende Oliver Bottini bekannt geworden. Seit einem knappen Jahrfünft scheint sich das, was sich über diese Figur erzählen ließ, allerdings mehr und mehr erschöpft zu haben. Der Produktivität eines der besten deutschen Autoren von Kriminalromanen hat das freilich nicht geschadet.
Im Gegenteil: Mit ›Der kalte Traum‹(2012) und ›Ein paar Tage Licht‹ (2014) entstanden Bücher, die Zeit- und Spannungsromane in einem waren und sich mit ihren Geschichten an die großen Krisenherde unserer Tage heranwagten. Auch ›Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens‹ ist wieder bestens recherchiert, großartig erzählt und voller Figuren, die man nicht so schnell vergisst.
Lisa Marthen, Tochter eines deutschen Großgrundbesitzers im rumänischen Banat nahe der Kreisstadt Temesvar (Timişoara), wird, vergewaltigt und mit zahlreichen Messerstichen getötet, in der Nähe des Hofes ihres Vaters, den der in Erinnerung an sein mecklenburgisches Heimatdorf Neu-Prenzlin genannt hat, aufgefunden. Schnell gerät einer der Feldarbeiter, die Jörg Marthen in seiner Firma JM Romania beschäftigt, unter Verdacht. Denn dieser Adrian Lascu war in die 18-Jährige verliebt, wurde häufig mit ihr zusammen gesehen und ist, als die Polizei am Tatort eintrifft und die ersten Vernehmungen durchführt, wie vom Erdboden verschwunden.
Wer das Land hat, hat die Macht
Aber so einfach ist es nicht, glaubt der mit der Ermittlung beauftragte Polizeikommissar Ioan Cozma aus Temesvar von Beginn an. Selbst einer, der im Rumänien Ceauşescus Schuld auf sich geladen hat, will er eigentlich nur noch die Füße stillhalten, um nicht in den Fokus jener zu geraten, die im Namen der vielen Opfer des Diktators nach denen suchen, die einst für das System die Drecksarbeit erledigten. Doch nun muss er aus dem Schatten, in dem er es sich gemeinsam mit seinem alten Freund Cippo seit Jahren vor unbequemen Nachforschungen versteckt hielt, noch einmal ans Licht. Und je länger ihn der Fall Lisa Marthen beschäftigt und ihn in ein Labyrinth von Bodenspekulation, Kampf um jeden Hektar der fruchtbaren Banater Heide, Erpressung, Betrug und Gewalt führt, umso mehr begreift er sein Bemühen um die Wahrheit hinter dem furchtbare Verbrechen auch als Sühne für seine ihn Nacht für Nacht heimsuchende Vergangenheit.
Doch nicht nur Cozma findet keinen Schlaf. Auch dem im Nachwendedeutschland um seine Existenz betrogenen Jörg Marthen und dessen Jugendfreund Michael Winter, beide im mecklenburgischen Prenzlin aufgewachsen, liegt das Vergangene schwer auf der Seele. Winter hat seine ganze Familie in jenem Sandsturm verloren, der am 8. April 2011 auf der Autobahn A19 unweit von Rostock zahlreiche Opfer forderte. Marthen kam nicht gegen die Altkader der örtlichen LPG an, die sich nach der Wende das, was in der DDR großspurig unter dem Namen »Volkseigentum« rangierte, flugs unter den Nagel rissen. Um neu anzufangen, ging er schließlich nach Rumänien und baute sich durch Landkäufe nach und nach ein stattliches Unternehmen auf, in dem auch sein Jugendfreund Winter eine Perspektive für seine Zukunft fand. Der Tod von Marthens Tochter freilich holt die beiden Männer schockartig in die harte Realität zurück.
Ein Mord als Warnung
Denn es ist kein Mord aus Leidenschaft oder Eifersucht, dessen Aufklärung, weil eine junge Deutsche das Opfer war, oberste Priorität bei den rumänischen Ermittlungsbehörden besitzt. Stattdessen scheint eine der vielen Unsummen für das fruchtbare Land Marthens bietenden Parteien die Geduld mit dem sturen Mann verloren und ein so deutliches wie brutales Zeichen gesetzt zu haben. Wo es um Millionen für ein weltweit immer rareres Gut geht, zählen Menschenleben halt wenig bis nichts.
Meisterhaft verknüpft Oliver Bottini in seinem Roman Globales – den Landhunger von Staaten, die ihre Bevölkerung nur noch zu ernähren vermögen, wenn sie landwirtschaftliche Güter im Ausland produzieren – und Regionales – das schreckliche Erbe des rumänischen Sozialismus und die Ungerechtigkeiten bei der Auflösung der ostdeutschen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) –, Vergangenes und Gegenwärtiges, Individuelles und Gesellschaftliches. Jede seiner Figuren, auch die nur am Rande Auftretenden, trägt eine Beschädigung in sich.
Ob es die Hubschrauberpilotin Ana Desmerean ist, die unter den Securitate-Opfern, die seit Jahren überall im Lande ausgegraben und rehabilitiert werden, ihre Eltern vermutetet oder Jörg Marthens Schwester Anett, die in Prenzlin einen einsamen Kampf gegen fest im Sattel sitzende Altkader, die sich Nazibanden als Ordnungsgruppen halten, kämpft – sie alle leiden unter einem Bruch in ihrem Leben, der nicht zu heilen ist. Ja selbst Petre Fuia, der Mörder Lisa Marthens – der Leser kennt ihn, wie das bei Bottini häufiger der Fall ist, eher als die mit der Aufklärung des Verbrechens Betrauten – bekommt am Ende eine Lebensgeschichte zugeteilt, die ihn nicht mehr nur als kaltblütigen Täter, sondern auch als Opfer eines unmenschlichen Systems erscheinen lässt.
Bottini schafft ein großes Leseerlebnis
›Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens‹ zeigt Oliver Bottini auf der Höhe seiner Kunst. Kriminalromane, wie er sie schreibt, beweisen, welche Kraft in diesem oft geschmähten Genre stecken kann, wenn Spannung und Thrill nicht Selbstzweck sind, sondern darüber hinaus etwas mitzuteilen haben über unsere Gegenwart und unser Leben in einer Welt, von deren Problemen jeder betroffen ist und vor denen er sich auf Dauer weder abschirmen noch verstecken kann. Wenn das gelingt, dann kann selbst ein so sprödes Thema wie »Landwirtschaft« fesseln und zu einem großen Leseerlebnis werden.
Titelangaben
Oliver Bottini: Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens
Köln: DuMont Buchverlag 2017
414 Seiten. 22,- Euro
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| Dietmar Jacobsen über Oliver Bottini in TITEL kulturmagazin