Wolf Haas lässt seine Leser schon mal zappeln. Doch nach langer Wartezeit kehrt nun endlich Simon Brenner zurück, jener verschrobene, verkrachte Ermittler, der in derart abstruse Mordfälle verwickelt wird, dass sie jedes Krimi-Genre sprengen. In Müll, dem nunmehr neunten Band der skurrilen Serie, treten alte und neue Kollegen auf den Plan, ein Fuhrunternehmer mit achtzigprozentiger Blindheit und ein vietnamesischer Paketzusteller mit verdächtigen Aufstiegsambitionen. Von INGEBORG JAISER
Wie haben wir nur acht lange, harte, brennerlose Jahre überstanden? Eine bange Zeit, in der wir insgeheim um das Leben und das Fortbestehen des eigenwilligen Ermittlers fürchten mussten, bei all seinen Marotten und Malaisen. Während wir unter Entzugserscheinungen jene schwindelerregenden Ausschweifungen herbeisehnten, in denen Sätze ohne Verben daherkommen und mancher Plot ohne durchgehende Stringenz.
Feiern wir die Rückkehr von Simon Brenner. Endlich ist der zwischen Graz und Wien pendelnde Ex-Polizist (»In der Steinzeit, müsste man sagen, sprich voriges Jahrtausend«), Ex-Detektiv, Ex-Rettungsfahrer, Ex-Liebhaber an einem honorablen Arbeitsplatz gelandet. Nämlich auf dem Mistplatz – oder hochdeutsch: Wertstoffhof. »Das war vielleicht früher einmal so, dass die Müllarbeit nur für das Wegräumen der Vergangenheit gestanden ist. Aber heute: Recycling hin, Kreislauf her, sprich Zukunft gestalten. Darum war die Arbeit auf einmal so gut angeschrieben. Zehnmal besser als Kriminalpolizei.«
Pars pro toto
Doch eine eherne Gesetzmäßigkeit will es, dass immer da was passiert, wo der Brenner grad ist. Denn was in den einzelnen Wannen (oder hochdeutsch: Containern) auftaucht, ist nicht unbedingt eine schöne Leich. Eher ein zerstückelter, nicht korrekt entsorgter männlicher Körper, angefangen bei einem Knie. Da kennt man auf dem Mistplatz kein Pardon. »Aber egal, rechtes oder linkes Knie, in die Wanne 4 gehört kein Knie hinein. Da ist sogar egal, ob es ein menschliches Knie ist oder ein tierisches Knie, nicht einmal ein Titanknie darf da hinein, und das Knie von einer Wasserleitung auch nicht, weil Wanne 4 nur Sperrmüll.«
Dass die restlichen Körperteile – bis auf das Herz! – in verschiedenen Wannen auftauchen, dass zufällig ein früherer Kripo-Kollege namens Kopf ganz aus dem Bauch heraus die Ermittlungen führt und eine gewisse Iris, die immer auf dem Mistplatz herumstrawanzt, um ein Gespräch unter vier Augen ersucht, sorgt schon für erhebliche anatomische Verwirrung. Aber: »Man sagt ja auch, sich ein Bein ausreißen oder sich einen Haxen abfreuen. Oder meinetwegen jemanden den Kopf verdrehen.« Letzteres scheint der Iris jedenfalls beim haarknödeltragenden Softie-Praktikanten vom Mistplatz gelungen sein. Als der bislang kerngesunde Student unter ungeklärten Umständen gerade im bayrischen Chiemgau ums Leben kommt, gerät die grenzüberschreitende Organmafia ins Visier, die sich unterschiedliche Gesetze der beiden Länder zunutze macht. Zustimmung hier, Widerspruch da.
Mein lieber Schwan
Was Deutschland und Österreich trennt, ist also nicht nur »die gemeinsame Sprache«, wie ein beliebtes Bonmot verlauten lässt. Auch wenn gerade eine raffinierte Sprachakrobatik alle Brenner-Krimis auszeichnet. Da kommentiert ein geisterhaft auktorialer Erzähler das Geschehen, offenherzig, kumpelhaft und ein bisschen besserwisserisch. Ein geschwätziger Beobachter, der zwischen aufgebrachter Stammtischrede und austriakischer Suada changiert. Eine allwissende Stimme, die doch wie ein ausgetrickster innerer Monolog vom Brenner klingt. Einem schwadronierenden Wirtshausgeschwafel ähnelnd, abgehackt und mit umgangssprachlichen Attributen gespickt, wie: »frage nicht«, »ja was glaubst Du«, »das garantiere ich Dir«, »was soll ich sagen«, »mein lieber Schwan«, »Hilfsausdruck«. Als ob immer wieder um die Aufmerksamkeit des Lesers gebuhlt würde. Doch der wird ohnehin bereits nach wenigen Seiten vom typischen Brenner-Sound angefixt sein. Suchtpotential Hilfsausdruck.
Worin liegt das Erfolgsgeheimnis des 1960 in Maria Alm im österreichischen Pinzgau geborenen Schriftstellers Wolf Haas? Vielleicht in der Tatsache, dass er als Spross zweier im Gastgewerbe tätigen Elternteile bereits in jungen Jahren dem Volk aufs Maul schauen konnte? Vielleicht in seinen linguistischen Vorlieben, die ihn über Die sprachtheoretischen Grundlagen der konkreten Poesie promovieren ließen? Dabei ist der Brenner gar nicht als Serienfigur konzipiert worden, hat zwischendurch auch schon (fast) sterben müssen – doch so ein Anti-Held hat mehr als sieben Leben. Zahlreiche Verfilmungen (mit dem genialen Josef Hader), Theater- und Hörspieladaptionen, sowie eine anhängliche Fan-Gemeinde scheinen ihn unsterblich zu machen. So überlebt er natürlich auch den furiosen, fontänensprühenden, altglasklirrenden Showdown dieses Romans.
Titelangaben
Wolf Haas: Müll
Hamburg: Hoffmann & Campe 2022
286 Seiten. 24 Euro
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