Roman | Deon Meyer: Icarus
Die Leser von Deon Meyer haben mit Bennie Griessel schon einiges durchgestanden – private Enttäuschungen, Rückschläge im Beruf und Alkoholentzug. Aber immer hat sich der weiße Polizist vom Kap wieder aufgerafft. Und er hatte Menschen, die ihm dabei zur Seite standen. Befreundete Kollegen, die Sängerin Alexa Barnard, mit der er liiert ist, seine beiden Kinder, zu denen er losen Kontakt hat. Doch als er im aktuellen Roman Icarus erleben muss, wie einer seiner Kollegen sich selbst, seine Frau und seine beiden Töchter erschießt, weil er die eskalierende Gewalt um sich herum nicht mehr ertragen kann, droht auch Griessels eigene Existenz für immer wegzubrechen. Von DIETMAR JACOBSEN
Bennie Griessel trinkt wieder. Und er glaubt, sich mit dem Alkohol so arrangieren zu können, dass weder sein Privatleben noch seine berufliche Karriere bei der Polizei darunter leiden. Rückfällig geworden ist der erfolgreiche Ermittler einer südafrikanischen Spezialeinheit, als ein Kollege sich und seine ganze Familie erschossen hat, um der unerträglichen und täglich eskalierenden Gewalt am Kap zu entkommen.
Eine verzweifelte, aus Angst und Resignation resultierende Tat, die bei Deon Meyers Helden zu Beginn seines fünften Falles einen ebenso verzweifelten Rückfall in den Alkoholismus auslöst, der ihn sogar für eine Nacht ins Gefängnis bringt.
Seitensprünge ohne Risiko
Doch Griessel wird gebraucht – und sein farbiger Kollege und Freund Vaughn Cupido tut alles dafür, ihn einerseits zu decken und andererseits an die Kräfte der Vernunft in ihm zu appellieren. Denn der Fall, der die Polizisten just beschäftigt, entwickelt sich in rasender Geschwindigkeit zu einem bis in die höchsten Ränge von Staat und Gesellschaft reichenden Skandal.
Ernst Richter, der erst verschwunden und Tage später erdrosselt an einem Kapstädter Strand aufgefunden worden war, hatte mit einem dubiosen Geschäftsmodell Aufsehen erregt. Mit Hilfe der von ihm gegründeten Webseite »Alibi« konnte sich jeder vor den möglicherweise katastrophalen Folgen eines Seitensprungs absichern. Genügend Geld vorausgesetzt, bastelten Richter und seine Kollegen für notorische wie gelegentliche Fremdgänger und Fremdgängerinnen hieb- und stichfeste Ausreden, fingierten Konferenzen, Geschäftsreisen und Arbeitsessen mit allem Drum und Dran.
Kein Wunder, dass die Internetplattform vielen ein Dorn im Auge war – für einen vielleicht sogar der Grund, ihren Erfinder zu ermorden. Allein der Fall wird noch prekärer nach Richters Tod – denn nun droht plötzlich jemand damit, die Namen all der hochgestellten Persönlichkeiten im Netz zu veröffentlichen, denen Richters Firma zu Diensten war.
Wein vom Kap
Parallel zu Griessels und Cupidos Jagd nach dem Mörder Ernst Richters erzählt Icarus von Anfang an eine zweite Geschichte. Es ist die eines jener südafrikanischen Weingüter, deren Erzeugnisse erst in den Jahrzehnten nach der Apartheid international auf sich aufmerksam machten, mit Preis und Qualität überzeugten. Klein Zegen gehört der Familie du Toit. Und einen aus dieser Sippe, François du Toit, lässt Meyer in einem langem, sich über etliche Kapitel ziehenden Gespräch mit seiner Rechtsanwältin die Geschichte des Weinbaus am Kap seit dem 17. Jahrhundert rekapitulieren. Genau wie die Anwältin weiß der Leser am Anfang nicht, worauf die ganze Sache hinauslaufen soll, ahnt aber schnell, dass sich hier einer eine Schuld von der Seele reden will. Und liegt nicht falsch mit dem Gedanken, dass du Toits Geständnisse letztlich mit dem Tod Ernst Richters zu tun haben werden.
Lange – vielleicht ein bisschen zu lange – bleibt dem Leser der Zusammenhang der beiden Fälle verborgen. Umso geschickter lässt Deon Meyer schließlich das eine ins andere greifen. Zu den Betrügereien, die von den »Alibi«-Mitarbeitern raffiniert kaschiert werden, gesellt sich der Betrug mit der Nobelmarke »Bordeaux« im großen Stil. Womit wir wieder beim Alkohol wären, allerdings einem, den der harte Trinker Griessel gar nicht richtig ernst nehmen kann. Dem scheint am Ende aber doch noch aufzugehen, dass er sich professionelle Hilfe suchen muss, um aus dem Sumpf wieder herauszukommen, in den er sich allzu willenlos und schnell hat fallen lassen. Und wir hoffen mit ihm, dass er bei seinem nächsten Fall wieder trocken ist.
Titelangaben:
Deon Meyer: Icarus
Aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer
Berlin: Rütten & Loening 2015
432 Seiten. 19,99 Euro
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